Fritz Brup­ba­cher hat­te Lydia Petrow­na bekannt­lich als Stu­den­tin in Zürich ken­nen­ge­lernt, sich von ihr für sozia­lis­ti­sche Idea­le begeis­tern las­sen, sich in sie ver­liebt und sie schliess­lich gehei­ra­tet. Es war aller­dings eine Ehe der beson­de­ren Art: Weil Lydia ihr Leben dem Kampf für die rus­si­schen Bau­ern wid­men, Brup­ba­cher sei­ner­seits sie nicht nach Russ­land beglei­ten woll­te, leb­ten sie bis auf sel­te­ne Besu­che getrennt. Umso inten­si­ver war der fast täg­li­che Brief­wech­sel über vie­le Jah­re hin­weg, bis ihre Wege schliess­lich auseinandergingen.

Lydia Petrow­na war Mit­glied der Sozialrevolutionäre:
Das Pro­gramm der Sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­re for­der­te in ers­ter Linie eine „Sozia­li­sie­rung des Lan­des“: Durch eine Boden­re­form oder durch wil­de Ent­eig­nun­gen soll­te der Groß­grund­be­sitz in Gemein­be­sitz der Klein­bau­ern über­führt wer­den. Dane­ben tra­ten sie ein für die Errich­tung einer demo­kra­ti­schen Repu­blik nach föde­ra­ti­ven Grund­sät­zen, die Ein­füh­rung des all­ge­mei­nen Wahl­rechts, die Rede‑, Presse‑,  Gewissens‑, Ver­samm­lungs– und Kor­po­ra­ti­ons­frei­heit, die Tren­nung von Kir­che und Staat, die all­ge­mei­ne unent­gelt­li­che Bil­dung und die Abschaf­fung des ste­hen­den Hee­res. In der Arbei­ter­fra­ge waren die Sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­re Anhän­ger des Acht­stun­den­ta­ges, der Sozi­al­ver­si­che­rung auf Kos­ten des Staa­tes und der Fabrik­be­sit­zer sowie der Orga­ni­sie­rung von Gewerk­schaf­ten. (Wiki­pe­dia)

Als Berufs­re­vo­lu­tio­nä­rin leb­te sie unter den Bau­ern, hielt ille­ga­le Ver­samm­lun­gen zur Agrar­fra­ge ab und ver­brei­te­te revo­lu­tio­nä­re Literatur.
Sie berei­te­te aber auch den Par­ti­sa­nen­krieg vor, den man als eine Art Vor­schu­le für den geplan­ten bewaff­ne­ten Auf­stand betrach­te­te. Kamp­fes­or­ga­ni­sa­tio­nen wur­den zu die­sem Zweck aus­ge­baut. Denn «alles roch nach Gewalt», wenn man auch ein biß­chen skep­tisch war über einen nahen bewaff­ne­ten Aufstand.
Die Bau­ern war­te­ten, wie sie sag­ten, auf einen neu­en Gene­ral­streik, vor allem einen Eisen­bah­ner­streik, der die Armee von den Dör­fern abschnei­den und so den Bau­ern die Mög­lich­keit geben wür­de, die Guts­be­sit­zer zu ver­ja­gen, sich des Viehs zu bemäch­ti­gen und den guts­herr­li­chen Boden sich anzu­eig­nen. (Bru­pa­cher, Ketzer)

Die Par­tei hat­te ihr 235 Dör­fer im Umkreis von 140 Kilo­me­tern zugeteilt:
Man macht sich damit eine Vor­stel­lung von der Rari­tät der Revo­lu­tio­nä­re auf dem Land. Ein­mal schrieb sie mir, daß sich in der Par­tei­kas­se 35 Kope­ken befän­den. Sie sel­ber spar­te sich jede Kope­ke am Mund ab, um revo­lu­tio­nä­re Lite­ra­tur und Waf­fen zu kau­fen, die man brauch­te, um Ueber­fäl­le auf die Güter der Groß­grund­be­sit­zer zu orga­ni­sie­ren, um die­sen vor allem Waf­fen weg­zu­neh­men für wei­te­re Ueber­fäl­le und Aktio­nen. Eine Schreib­ma­schi­ne, die man aus dem Güter­la­ger der Bahn geraubt, dien­te dazu, die revo­lu­tio­nä­ren Pro­kla­ma­tio­nen, die Lydia Petrow­na schrieb, zu vervielfältigen.

Wie müh­sam und gefähr­lich die­ses revo­lu­tio­nä­re Enga­ge­ment war, zeigt sich an den Schil­de­run­gen Petrow­nas, die zwi­schen Ent­täu­schung und immer wie­der neu auf­flam­men­der Hoff­nung schwankten.
Oft misch­ten sich Kri­mi­nel­le unter die Revo­lu­tio­nä­re. Die Bau­ern sel­ber zeig­ten wenig Initia­ti­ve und wären schon mit klei­nen Ver­bes­se­run­gen ihrer Lebens­um­stän­de zufrie­den gewesen.
Beliebt waren die Expro­pria­tio­nen der staat­li­chen Schnaps­lä­den. Oft hat­te Lydia Petrow­na schwe­ren Kon­flikt wegen der Ten­denz der Expro­pria­to­ren, in ihre eige­ne Tasche hin­ein zu expro­pri­ie­ren. Immer wider­hall­te der Schrei nach Land. Man raubt, was man kann, und zahlt weder Ren­te noch Steu­er. (…) War Lydia Petrow­na anfangs allein gewe­sen, so wur­de ihre Woh­nung im Lau­fe der Zeit zu dem reins­ten Sprech­zim­mer ; sie sah täg­lich bis zu zwan­zig Bau­ern, die sie über alles mög­li­che befrag­ten und mit denen vom Schnup­fen bis zur bewaff­ne­ten Expro­pria­ti­on zu reden war.

Brup­ba­cher nahm so, wenn auch aus der Fer­ne, am revo­lu­tio­nä­ren Kampf in Russ­land teil:
Durch das täg­li­che brief­li­che Erle­ben der rus­si­schen Bau­em­be­we­gung ver­wuchs ich eigent­lich mit der rus­si­schen Bewe­gung. Teil­te ihre Hoff­nun­gen und ihre Befürch­tun­gen. Kam auch nie her­aus aus der stän­di­gen Angst für Lydia Petrow­na, die durch ihre Tätig­keit tag­täg­lich der Gefahr der Ver­haf­tung aus­ge­setzt war.

Und so kam es denn auch: 1909 wur­de der Lei­ter der ter­ro­ris­ti­schen Abtei­lung der Sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­re, Asew, als Spit­zel und Pro­vo­ka­teur ent­larvt. Da Petrow­na mit ihm bekannt war, wur­de Brup­ba­cher gewarnt, und es gelang ihm, sie in der Schweiz in Sicher­heit zu brin­gen. Doch sei­ne Frau woll­te zurück nach Russ­land, wur­de an der Gren­ze ver­haf­tet, ins Gefäng­nis gewor­fen und schliess­lich in die Ver­ban­nung im Nor­den des Gou­ver­ne­ments Arch­an­gelsk  geschickt. Als sie ein Jahr spä­ter an Hun­ger­ty­phus erkrank­te, pack­te Brup­ba­cher kur­zer­hand den Kof­fer und fuhr unter dem Namen sei­nes Freun­des und Mit­kämp­fers Max Tobler nach Russland.

Dazu mehr in einer spä­te­ren Fol­ge. In der nächs­ten Fol­ge keh­ren wir zu Fritz Brup­ba­cher in der Schweiz zurück, und dies wie immer

am kom­men­den Sams­tag, den 8. April

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