Wenn der Gemeinderat zum Apéro einlädt, dann zieht das offenbar. Selbst wenn davor eine Gemeindeversammlung stattfindet. Nur so ist der jedenfalls ist der unübliche Grossaufmarsch von fast 200 Stimmberechtigten einigermassen vernünftig zu erklären. Wieviele davon vorher extra gefastet haben, damit der enorme Speckgugelhopf-Verzehr auch erklärt werden kann, ist uns leider nicht bekannt.
Vor dem Heben des Glases war aber Schwerstarbeit angesagt, stand doch das “Diversity”-Reglement von Franz Büchler auf der Vorspeiseliste. Die Versammlung war grösstenteils dazu bereit, eine basisdemokratisch vorbildliche Diskussion über das den Regionalmedien zufolge visionäre Wohnbauregelwerk zu führen. Die SP und die EVP hätten es zwar gerne ein bisschen griffiger gehabt, aber auf dem freien Markt der FDP gab es das leider nicht. Eine strikte Genossenschafts-Untergrenze, festgelegt in einem beschwerdefreundlichen Ad-hoc-Nebensatz, vermochte keine Mehrheiten zu finden. Trotzdem konnte am Schluss das Reglement des Gemeinderates mit einem preisgünstigen Titel verabschiedet werden. Der Antragssteller und die zahlreich erschienenen Genossenschaftler*innen waren zufrieden.
Auch die Tiefbauministerin konnte mit dem Verlauf des Abends zufrieden sein. Für ihre beiden Projekte für Strassen- und Leitungsunterhalt gab es widerstandslos Geld. Es wollte auch niemand wissen, warum man den Unterhalt in der Vergangenheit so derart schleifen liess, dass rund ein Viertel der Kanalisationsleitungen quasi verlottert sind und weshalb das nun mit etwa dem gleichen Personal (und dessen Bestand) nun nicht mehr der Fall sein soll. Wahrscheinlich lassen Bader und Rhyn nun halt etwas anderes schleifen. Gibt ja noch genügend anderes, für das sie zuständig wären und das nicht mehr so ganz in Schuss ist.
Geld, um böse Folgen verhindern, hätte man grundsätzlich. Das sagt zumindest das Budget 2020. Wobei das Überschüssli im Schatten des Investitionsbergs dann doch etwas mickrig wirkt. Dabei ist die Prognose für die laufende Rechnung nun doch schon drei Jahre im Hoch. Dies auch wegen den Mietzinsbeiträgen, die 2016 revidiert wurden, so dass sie nun angeblich “qualitiativ” wesentlich besser daher kommen, als vor der Revision des Reglements. Die dürftig präsentierten Zahlen können leider nur den quantitativen Aspekt belegen. Dass im Ablauf der Dienstleistung die Qualität stimmt, müsste eigentlich selbstverständlich und unabhängig vom reglement sein. Offenbar war es das aber in der 13-jährigen Schirmherrschaft der Berichterstatterin nicht immer so, wenn wir ihre Analyse richtig verstanden haben. Aber vielleicht war es auch nur ein Missverständnis.
Und weil es bald Weihnachten ist und das Thema “sichere Atomkraft” ausserhalb wilder Verschwörungstheorien nach einem langen Versammlungsabend besser zur Geltung kommen sollte, zitieren wir hier einen älteren (leider verstorbenen) Herrn, der das Thema relativ schnell auf den Punkt bringen kann:
Christoph Meury
Dez 17, 2019
Interessant ist doch zumindest die Beobachtung, dass es nicht die staatstragenden Parteien waren, welche um die zukünftige Wohnbaupolitik besorgt waren und bezahlbaren Wohnraum für die BürgerInnen reglementarisch fixiert haben wollten, sondern eben Franz Büchler als Einzelmaske. Lediglich die EVP hat im Vorfeld diesbezüglich einen Vorstoss lanciert. Derweilen sowohl die SP, wie auch die Grünen mit allerlei Grünzeug und Fingerzeigpolitik beschäftigt waren und die FDP immer noch grossmehrheitlich an den Mythos des sich selbst- und zum Wohle aller regulierenden Marktes glaubt (Gott hab sie selig!). Nichtsdestotrotz haben aber alle bei der Vernehmlassung tüchtig und konstruktiv mitgewirkt, daher ist am Schluss auch ein richtungsweisendes Regelwerk entstanden. Dafür darf sich die Gemeinde schon mal selber auf die Schultern klopfen. Chapeau!
Alex Gasser
Dez 17, 2019
Ich habe mir persönlich schon die Frage gestellt, ob wir wirklich alle Lebenslagen reglementieren müssen, oder ob klare Richtlinien nicht genügen würden. Ich versuche mir auch vorzustellen, wie der Wohnungsmix in einem Neubau aussehen wird: 80% der Wohnungen haben den üblichen modernen Standard und bei 20%, weil ja billigere Mieten, fehlen “Luxus” wie Tiefkühler, Injektionsherd etc.
Gerne würde ich den Billigwohnungs-Erstellenden zu Weihnachten ein Stück Land und einige hunderttausend Franken schenken, damit sie einen Neubau nach Reglement erstellen können. Mal schauen, wie das Resultat aussehen würde.
Nun haben wir ein Reglement, hinter dem die Gemeindeversammlung stehen kann — und hoffentlich auch durchzusetzen weiss.
Franz Büchler
Dez 17, 2019
Lieber Alex
Da beginnt die Sache mit den Regeln ja schon. Ich denke der Injektionsherd wurde zum Konfusionsherd, der aber als Induktionsherd gemeint war. Regeln regeln eben auch die Sprache und die treffenden Ausdrücke.
Ich bin für einen liberalen Staat. Und wir können diesen liberalen Staat nur erhalten, indem wir konsequent liberal sind. Da liegt dann auch ein Minarett- und Verschleierungsverbot einfach nicht drin. Ebenso nicht drin liegt Hass und Hetze gegen Minderheiten, seien dies nun Schwule oder Lesben, Arme oder Reiche, Muslime oder Christen. Liberal heisst dann eben nicht nur liberal für mich, sondern liberal für alle.
Das Mantra »Freiheit und Selbstverantwortung — weniger Staat« hat sich totgelaufen. Spätestens seit 2008 wissen wir auch, dass dies nicht stimmt. Weder das mit der Selbstverantwortung (Banken fallieren) noch das mit dem Staat (der Banken retten muss). Und dafür bezahlen wir noch heute.
Darum brauchen wir verbindliche Regeln. Denn liberal ist nicht libertär.
Christoph Meury
Dez 17, 2019
Der Einwand von Alex Gasser ist unfair. Das gestern verabschiedete Reglement verlangt lediglich einen Wohnungsmix und einen Anteil an Wohnungen mit günstigen Mieten. Die günstigen Mieten werden sich aber nicht in der Ausstattung niederschlagen. Diese Kosten sind Peanuts und kein Bauherr wird unterschiedliche Einrichtungen in einem MFH vorsehen. Auch bei einer Genossenschaft sieht die Berechnung für die Kostenmiete gleich aus, wie beim institutionellen Anbieter. Variablen sind: Der Baurechtszins, die Wohnungsgrundfläche, die Wohnungslage (Parterre, Strassenlage, etc.) und logischerweise die Rendite. Alle anderen Parameter sind für alle Anbieter gleich. Auch Genossenschaften müssen Rückstellungen & Amortisationen einkalkulieren.
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Im übrigen: Welche Lebensbereiche sind in einer zivilisierten Gesellschaft nicht geregelt? Auch die FPD stützt sich wesentlich auf einen Staat welcher grosse & stabile Rechtssicherheit bietet. Das ist nämlich die Grundlage jeglicher Geschäftstätigkeiten. Dazu gehört u.a. auch der Schutz des Eigentums. Da wäre Alex Gasser vielleicht auch nicht gewillt Abstriche zu machen. Das Gesundheitswesen, die Landwirtschaft, etc. sind in höchstem Masse reglementiert. Damit sind alle soweit d’accord. Also wo ist das Problem beim Wohneigentum? Vorallem, wenn das Gemeinwesen den Boden zur Verfügung stellt, oder eine höhere Nutzung/Mehrwert durch eine Sonderregelung zulässt?
ueli kaufmann
Dez 17, 2019
Lieber Alex, nichts reguliert sich von selbst, weder der freie Markt, noch soziale Ideen.Ohne Reglemente gewinnen die Stärkeren, sprich Reicheren, die zumeist ihren Reichtum darum gescheffelt haben, weil keine Reglemente oder schlechte in Kraft waren. Das ist keine Neiddiskussion. Toll und gut, wie sich die Mehrheit der GV entschieden hat. Ich kann wieder stolz sein, hier zu leben. Stell dir ein Fussballspiel vor, ohne Regeln, dafür mit Selbstregulierung.
Noch zum Bericht von Florian:
Trotz 200 Gemeindeversammlungsteilnehmern*innen werden wohl einige unter unseren Leser*innen sein, die sich mit recht fragen, was der Verpuffungs-Gau von Loriot, quasi als Weisheit zum Beitrag von Florian soll. Wer anwesend war, möge doch Abwesende informieren.
gaby lagger
Dez 17, 2019
Lieber Ueli
das haben gestern die Anwesenden auch schon nicht verstanden!
Franz Büchler
Dez 17, 2019
Liebe Gemeindeversammlungsteilnehmer*innen,
Am Ende der Versammlung hat (Erich?) Gubler versucht den Teilnehmenden klar zu machen, wie gefährlich Kernenergie ist. Leider habe ich nicht alles verstanden, mein behindertes Gehör liess dies in der allgemein aufkommenden Unruhe nicht zu. Er machte dies auf sehr wortreiche und komplizierte Art. Das Publikum war nicht bereit darauf einzugehen. Im Eifer hat er dies absolut nicht gemerkt oder verstanden. Ich denke auch, er war ziemlich verwirrt. Für mich tragisch.
Das war für alle schwierig, für den Sprechenden wie auch die angesprochenen. Der Film von Loriot nahm auf diesen »Vortrag« Bezug. Ich hoffe, das ist jetzt für alle klar.
Alex Gasser
Dez 17, 2019
Aber, aber lieber Christoph und Ueli
Ich bin doch kein unfairer Mensch. Ich gestatte mir einfach aufgrund meiner Lebenserfahrung — immerhin haben wir einen 58 Mio Bau erstellt — und ohne Parteizugehörigkeit, eine paar eigene Gedanken zu machen.
Falls Ihr es nicht gesehen habt, ich habe dem Reglement zugestimmt.
Schöne Weihnachten.
Betty C.
Dez 18, 2019
Super wie Florian Dettwiler schreibt !
florian dettwiler
Dez 18, 2019
Danke