Am 12. Sep­tem­ber 1848 wurde die Schweiz vom Staaten­bund zum Bun­desstaat. Die Tagsatzung hat­te nach der Abstim­mung über die Bun­desver­fas­sung in den Kan­tone diese in Kraft geset­zt.

2018 forderte Nation­al­rat Heinz Siegen­thaler den 12. Sep­tem­ber zum Feiertag zu machen:
»Die hochgeschätzten Güter wie direk­te Demokratie, Rechtsstaat, Gewal­tenteilung und Föder­al­is­mus wur­den am 12. Sep­tem­ber 1848 aus der Taufe gehoben. Die Inkraft­set­zung der ersten Bun­desver­fas­sung ist ein ein­ma­liges und in der Geschichte unseres Bun­desstaates unverzicht­bares Ereig­nis. Um dieses Ereig­nis gebührend zu würdi­gen, ist es ange­bracht, ihm mit einem Feiertag auf eid­genös­sis­ch­er Ebene jährlich zu gedenken.«

Der Bun­desrat lehnte das ab mit Ver­weis auf seine Begrün­dung ein­er früheren Anfrage von Nation­al­rätin Kiener Nellen. Und so hat (lei­der) die Bun­desver­fas­sung von 1848 keinen Feiertag bekom­men, obwohl sie für die Schweiz weit wichtiger war als der 1. August.

Die Begrün­dung des Bun­desrates:

»Als föder­al­is­tis­ch­er Rechtsstaat ken­nt die Schweiz keine allein verbindliche amtliche Geschichtss­chrei­bung, son­dern Meinungs‑, Infor­ma­tions- und Forschungs­frei­heit (Art. 16 und Art. 20 der Bun­desver­fas­sung). Insofern hat der Bun­desrat auch kein “verbindlich­es Datum für die Geburtsstunde der heuti­gen Schweiz” festzule­gen.

Wie Rom nicht in einem Tag gebaut wor­den ist, erstreckt sich die Entste­hung der Eidgenossen­schaft über Jahrhun­derte. Grosse Zäsuren (1513 Dreizehn Alte Orte — daran erin­nern die Sterne des Fün­flibers, 1798 Hel­vetis­che Repub­lik, 1803 Medi­a­tion, 1815 Schweiz der 22 Kan­tone — daran erin­nert in Genf noch der zu ihrer Ehre benan­nte Platz) haben darin eben­so eine Rolle gespielt wie Rückschläge und Umwege der Entwick­lung. Dass im Ver­laufe des Jahres 1848 inner­halb dieses grossen säku­laren Prozess­es mehrere wichtige Dat­en den endgülti­gen Über­gang vom Staaten­bund zum Bun­desstaat markieren, unter­liegt hinge­gen kaum einem Zweifel:

1. Am 15. Feb­ru­ar 1848 wider­sprach die Tagsatzung der Note Frankre­ichs, Öster­re­ichs und Preussens vom 1. Jan­u­ar 1848, welche betont hat­te, die Schweiz­erische Eidgenossen­schaft habe sich “1814 und 1815 lediglich unter der Mitwirkung der Gross­mächte kon­sti­tu­iert” und der Bun­desver­trag von 1815 könne daher legit­im nur mit ein­mütiger Zus­tim­mung sämtlich­er Kan­tone der Schweiz­erischen Eidgenossen­schaft abgeän­dert wer­den. Die Antwort der Tagsatzung schloss, dass “trotz den wieder­holten Ver­hand­lun­gen über die Revi­sion des Fün­fzehn­er-Ver­trages … die … Eidgenossen­schaft weit davon ent­fer­nt ist, nach ein­er Ver­fas­sung zu streben, durch welche der Wille der Kan­tone und der föder­a­tive Charak­ter der Schweiz mis­sachtet würde. Auch beansprucht sie, als fun­da­men­tale Voraus­set­zung jed­er nationalen Unab­hängigkeit, das jedem sou­verä­nen Staate zuste­hende Recht der freien Gestal­tung ihrer Ein­rich­tun­gen. Sie hat nie darauf verzichtet. Aus dem gle­ichen Grund muss sie entsch­ieden jeden beson­deren Schutz, den man sich zugun­sten eines Kan­tons oder zugun­sten der Organ­i­sa­tion der Eidgenossen­schaft her­aus­nehmen wollte, wie man dies in der Note behauptet hat, zurück­weisen.”

2. Aussen­poli­tisch von Bedeu­tung waren sodann Sturz und Flucht der Kräfte der Restau­ra­tion im Aus­land: des franzö­sis­chen Pre­mier­min­is­ters François Guizot (24. Feb­ru­ar 1848) und des öster­re­ichis­chen Kan­zlers Kle­mens Wen­zel von Met­ter­nich (13. März 1848).

3. Vom 15. Mai bis zum 27. Juni 1848 arbeit­ete die Tagsatzung die Bun­desver­fas­sung aus. Sie set­zte in Artikel 1 ihrer Über­gangs­bes­tim­mungen (UeB) fest, dass die Kan­tone nach Mass­gabe ihres kan­tonalen Ver­fas­sungsrecht­es über die Annahme der Bun­desver­fas­sung zu befind­en hät­ten, und bes­timmte in Artikel 2: “Die Ergeb­nisse der Abstim­mung sind dem Vororte zuhan­den der Tagsatzung mitzuteilen, welche entschei­det, ob die neue Bun­desver­fas­sung angenom­men sei.” Dies tat die Tagsatzung am 12. Sep­tem­ber 1848. In Artikel 4 Absatz 2 UeB legte die Bun­desver­fas­sung fest: “Diejeni­gen Vorschriften der Kan­tonsver­fas­sun­gen, welche mit den übri­gen Bes­tim­mungen der Bun­desver­fas­sung im Wider­spruche ste­hen, sind vom Tage an, mit welchem diese let­ztere als angenom­men erk­lärt wird, aufge­hoben.” In Artikel 7 UeB schliesslich ord­nete die Bun­desver­fas­sung an: “Sobald die Bun­desver­samm­lung und der Bun­desrat kon­sti­tu­iert sein wer­den, tritt der Bun­desver­trag vom 7. August 1815 auss­er Kraft.” Als let­ztere der bei­den genan­nten Behör­den wurde der Bun­desrat von der Vere­inigten Bun­desver­samm­lung am 16. Novem­ber 1848 erst­mals gewählt. Der Bun­desver­trag von 1815 trat also am 16. Novem­ber 1848 völ­lig auss­er Kraft. Artikel 7 UeB BV (1848) hat­te freilich einzig den Sinn, einem ver­tragslosen Zus­tand vorzubeu­gen, der einzelne Kan­tone aus der Eidgenossen­schaft ent­lassen hätte.

4. Entschei­den­der als alle Dat­en war der Umstand, dass sich die unter­lege­nen Son­der­bund­skan­tone, welche die Bun­desver­fas­sung abgelehnt hat­ten, dem Über­gang zum Bun­desstaat beugten, die verord­neten Wahlen für den Nation­al­rat vol­l­zo­gen und die neuen Bun­des­be­hör­den nicht boykot­tierten. Diese Hal­tung hat­te ihren Grund auch im Zusam­men­bruch der Restau­ra­tion rund um die Eidgenossen­schaft und in den Erfahrun­gen aus dem ver­lore­nen Son­der­bund­skrieg. In diesem Sinne kann der 12. Sep­tem­ber 1848 nicht als das einzige, aber als das vielle­icht wichtig­ste Datum ange­se­hen wer­den: An diesem Tag ver­loren die Kan­tonsver­fas­sun­gen ihren Rang als vor­be­halt­los höch­ste Verpflich­tung, und auch die unter­lege­nen Kan­tone nah­men dies hin.

Ein wun­der­schön­er Zufall der Geschichte will zudem, dass auf den Tag genau zwanzig Jahre später — am 12. Sep­tem­ber 1868 — Johannes Brahms in Rüsch­likon im Kan­ton Zürich beim Hören eines Alphorns sich jene Melodie notierte, welche das Alphorn­mo­tiv des Schlusssatzes sein­er 1. Sym­phonie op. 68 bildet. Als Geburt­stags­geschenk war dies jedoch nicht gedacht.«

Mir scheint, dass auch der Bun­desrat den Wert der fik­tiv­en Staats­grün­dung über die Bun­desver­fas­sung stellt.

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