Doublespeak ist eine Sprache, die absichtlich die Bedeutung von Wörtern verschleiert, verzerrt oder umkehrt. … Doublespeak ist am engsten mit der politischen Sprache verbunden. (Wikipedia)
“Terminator* Trump, das Endspiel”, titelt Roger Köppel dramatisch in seinem neuen Editorial zum Kapitol-Drama.
Und dann geht’s auch gleich los. “Es findet eine klassische Säuberung statt wie in der früheren Sowjetunion. Ein in Ungnade gefallener Politiker wird von den neuen Machthabern gewaltsam gelöscht, aus der Bildfläche wegradiert”, meint der WW-Chefredaktor angesichts der “Twitter”- und “Facebook”-Sperrung und dem drohenden zweiten Impeachment seines Idols. Und er fährt fort: “Was wir hier erleben, ist die Konstruktion einer falschen Erzählung, die Fabrikation von Wirklichkeit. Trumps angebliche Hass- und Hetzrede vom Mittwoch, gleichsam die Tatwaffe, wird gar nicht zitiert. Sie wird nur interpretiert. Das hat einen triftigen Grund: Man findet keine Sätze darin, in denen Trump zu Gewalt und Rechtsbruch anstiftet. Im Gegenteil. … Er hält seine Unterstützer ausdrücklich an, ihren Unmut “friedlich und patriotisch” kundzutun. Zwar fällt irgendwo das Wörtchen “wild”, doch die Verwendung dieses Adjektivs ist selbst in der aktuellen Kochtopf-Stimmung noch kein amtsenthebungsfähiges Verbrechen. “Friedlich und patriotisch”: Es braucht hier schon die inquisitorische Fantasie eines Schauprozessantwalts aus den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts in Moskau, um aus solchen Worten den unumstösslichen Beweis für Trumps angebliche Anstiftung zu Aufruhr und Gewalt herauszufälschen.”
Päng!! Alles klar?
Eines muss man dem Chefredaktor lassen. Er ist äusserst geschickt darin, rhetorische Nebelpetarden zu zünden, um die tatsächlichen Fakten gekonnt zu verschleiern. Denn um eine solche Nebelpetarde handelt es sich bei seiner eloquenten Entrüstung. Warum?
Köppel verweist zwar durchaus zu recht darauf, dass in Trumps “angeblicher Hass- und Hetzrede” kein direkter Aufruf zur Gewalt zu finden ist. Aber darum geht es gar nicht.
- Es geht darum, dass Donald Trump seit Beginn seiner Amtszeit systematisch und konsequent darauf hinarbeitete, soviele Zweifel wie möglich an der Sauberkeit des Wahlprozesses zu säen:
- Schon vor den Präsidentschaftswahlen 2016 verkündete er ohne den geringsten Beweis, dass die Wahl gegen ihn manipuliert werde, und er weigerte sich zweimal zu sagen, dass er das Ergebnis akzeptieren würde: “Ich werde es mir zu gegebener Zeit ansehen. I will keep you in suspense.” — Selbstverständlich war das nach seinem knappen Sieg kein Thema mehr ..
- Als sich im letzten Frühling das Coronavirus auszubreiten begann und sich Staaten Gedanken machten, die Briefwahl auszubauen, um sichere Wahlen zu garantieren, twitterte Trump am 7. April sofort: “Nun, Briefwahlen — sie betrügen. Okay? Menschen betrügen. Briefwahlen sind eine sehr gefährliche Sache für dieses Land, weil sie Betrüger sind. Sie gehen und sammeln sie …” - Damit war der Ton gesetzt, und Trump wiederholte sich in den folgenden Monaten endlos.
Im Juni behauptete er, die Briefwahl ermögliche “eine Flut von Stimmen, die von ausländischen Akteuren gesendet werden”, — eine völlig aus der Luft gegriffene Behauptung.
Im Juli lehnte er es anlässlich eines Interviews mit seinem Haussender “Fox News” ab zu erklären, dass er das Ergebnis der Wahl unbedingt akzeptieren würde, und er wiederholte ohne jegliche Grundlage seine Betrugsvorwürfe.
So ging es weiter und weiter, — ganz nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein. Man muss eine dreiste Lüge nur immer wiederholen, und sie sickert langsam aber sicher in das Bewusstsein und schliesslich wie ein langsam wirkendes Gift in das Unterbewusstsein von Millionen.
Aber was hat das mit Doublespeak zu tun? Trump machte ja sonnenklar, was er von Wahlen hielt: Solange sie ihn nicht zum Sieger erklären würden, waren sie gefälscht.
Die Doublespeak-Technik wendete er an, um sich die Unterstützung der diversen Gruppen am äussersten rechten Rand zu sichern. Es begann mit Charlottesville, als er von „sehr anständigen Leuten“ in den Reihen der rassistischen „Unite the Right“-Demonstranten sprach. Nach einem Aufschrei in der Öffentlichkeit meinte er plötzlich nur noch “die guten Bürger” von Charlotteville — Doublespeak.
Es ging weiter mit den “Proud Boys”: “Stand back and stand by.” “Stand by” kann man auf verschiedene Weise interpretieren. Die “Proud Boys” verstanden sehr wohl, was er meinte und nahmen die Aussage mit Handkuss als informellen Slogan an — Doublespeak.
Dann kam die Sache mit QAnon, der Verschwörungstheorie, die sich innert kürzester Zeit in den USA wie ein Flächenbrand ausbreitete: Eine pädophile demokratische Elite werde zusammen mit dem “Deep State” in den USA die Kontrolle übernehmen. Einzige Rettungsmöglichkeit: Donald Trump!
“Qs erste Posts knüpften an ein Zitat Trumps an, der am 5. Oktober 2017 vor einem Treffen mit seinen Militärberatern von einer „Ruhe vor dem Sturm“ gesprochen und auf Nachfragen ergänzt hatte, man werde herausfinden, was damit gemeint sei. Trumps Anhänger bezogen das Zitat auf alle möglichen erwarteten Ereignisse, etwa ein Vorgehen gegen angebliche geheime Pädophilie-Clubs von Demokraten oder gegen Robert Muellers Sonderermittlung zur Beeinflussung des Wahlkampfs in den Vereinigten Staaten 2016.(Wikipedia)
Obwohl QAnon vom FBI als inländische Terrorbedrohung deklariert wurde, bekräftigte Trump öffentlich wiederholt, nichts über die Gruppe zu wissen, ausser dass die QAnon-Anhänger gegen Pädophile kämpften, ihn mögen würden und er das zu schätzen wisse. In kleinerem Kreise anlässlich der Gratulation zum Sieg einer Republikanerin in Georgia, die sich zu QAnon bekennt, liess er allerdings durchblicken, QAnon bestehe aus Menschen, die “grundsätzlich an eine gute Regierung glauben” — Doublespeak.
Sein Doublespeak und die jahrelange perfide Unterminierung eines glaubwürdigen Wahlprozesses trugen erwartungsgemäss Früchte: Eine breite Koalition von rechtsradikalen Gruppierungen, QAnon-Anhängern und anderen Verschwörungstheoretikern nahm Trump beim Wort und drang in das Kapitol ein, um die Bestätigung von Biden als neuen Präsidenten zu verhindern. Es ging ja schliesslich um nichts weniger als darum, die Vereinigten Staaten — ihre Vereinigten Staaten — vor dem Untergang zu retten!!
Trump liess sich erst nach stundenlangem Zögern dazu bewegen, sich halbherzig von den Eindringlingen zu distanzieren. Vizepräsident Mike Pence hatte er vor die Wahl gestellt, entweder als “Patriot” oder “Schlappschwanz (pussy!)” in die Geschichte einzugehen, und als dieser sich gegen Trump und für die Verfassung aussprach, schrie der Mob “Hang Mike Pence!”.
Hat sich der Rauch von Köppels Nebelpetarde ein wenig gelichtet?
In einem Punkt hat er allerdings recht: Die berüchtigten Schauprozesse im Moskau der Dreissigerjahre unter Stalin sind tatsächlich ein perfektes Beispiel für Doublespeak und politische Manipulation, aber die jetzigen Vorgänge in Washington damit zu vergleichen, ist so absurd wie lächerlich. Während die Angeklagten in Moskau allesamt sofort vor dem Erschiessungskommando landeten, riskiert Trump höchstens ein Verbot, weiterhin ein politisches Amt bekleiden zu dürfen, — und das zu Recht. Der Vergleich Köppels ist ein weiteres klassisches Beispiel dafür, was man gemeinhin als “Demagogie” zu bezeichnen pflegt.
P.S. Es gibt auch Doublespeak-Bilder wie das unsägliche — und von Roger Köppel selbstverständlich bejubelte — Apfel-/Wurmplakat der SVP vom August 2019:
Dass es daraufhin in der SVP selber zu einem kleinen Aufstand kam, z.B. hier, ist immerhin ein ermutigendes Zeichen dafür, dass der “Trumpismus” in der Schweiz — noch — nicht voll Fuss gefasst hat …
*Der Terminator agiert im Gegensatz zu vielen anderen „Bösewichten“ stets sehr rational und schnell. Er verschwendet keine Zeit mit unnötigen Drohungen oder Erklärungen und nutzt sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um sein Ziel zu erreichen. Mitleid, Reue oder gar Angst sind ihm fremd (aus der Filmbeschreibung in Wikipedia)
Und Daniel Binswanger von der REPUBLIK bringt es wie gewohnt genauf auf den Punkt:
Franz Büchler
Jan. 15, 2021
Irgendwie fühle ich mich da an 1984 von George Orwell erinnert. Wer das Buch noch in seiner Regalhaltung hat, schaue sich die »Kleine Grammatik« ganz am Ende des Romans an. »Newspeak« und »doublethink« ergänzen dann die ganze Sache noch weiter …