Allen Frances ermit­telt als wichtiges Werkzeug poli­tis­ch­er Pro­pa­gan­da die Stereo­typ­isierung:
Stereo­typ­isierung ist der Schlüs­sel zu poli­tis­ch­er Polar­isierung und Gehirn­wäsche. … Es liefert ein schnelles Stenogramm, um Erfahrun­gen zu ver­ste­hen und Grup­pen­zuge­hörigkeit herzustellen. Wenn man erst ein­mal ein Vorurteil entwick­elt hat, ist es schw­er, dieses zu ändern, beson­ders wenn es von Grup­pen­mit­gliedern geteilt wird. Es ist ein Teufel­skreis: Polar­isierung unter Grup­pen führt zu Stereo­typ­isierung, was wiederum zu stärk­er­er Polar­isierung führt, die noch stärkere Stereo­typ­isierung nach sich zieht.

Unzure­ichen­des Wis­sen und man­gel­haftes Ver­ständ­nis für Men­schen, die anders sind als wir, sind ein frucht­bar­er Boden für neg­a­tive Stereo­typ­isierun­gen, beson­ders wenn Poli­tik­er uns zynisch gegeneinan­der aufhet­zen – immer zu ihrem eige­nen Vorteil, nie zu unserem. Stereo­typ­isierung ist der effizien­teste Weg, mit ein­fachen Prob­le­men umzuge­hen, doch der schädlich­ste bei kom­plex­en Sachver­hal­ten.

Das ist eine hap­pige Anklage. Es lohnt sich deshalb, dem Begriff “Stereo­typ” etwas genauer auf den Grund zu gehen. Wikipedia liefert dazu eine aus­führliche Analyse.

Ein­er, der sich inten­siv Gedanken zum Phänomen der Stereo­typen und ihrer Anwen­dung in der Poli­tik und in den Wirtschaftswis­senschaften machte, war der hochin­tel­li­gente und höchst ein­flussre­iche amerikanis­che Jour­nal­ist Wal­ter Lipp­mann. Lipp­mann war Berater mehrerer amerikanis­ch­er Präsi­den­ten und zum Beispiel ver­ant­wortlich für die berühmten 14 Punk­te von Woodrow Wil­son, mit denen dieser — erfol­g­los — das Dra­ma des Ersten Weltkriegs been­den wollte. Er prägte auch den Begriff “Kalter Krieg”.

Ich ver­suche, ein paar sein­er zen­tralen Gedanken und Beobach­tun­gen, die er 1922 in seinem berühmtesten Werk “Die öffentliche Mei­n­ung” veröf­fentlichte, mit Hil­fe des Vor­worts in der deutschen Fas­sung etwas zusam­men­z­u­fassen:

  • Wir Men­schen ver­fü­gen über keinen ein­fachen und direk­ten Zugang zur “äusseren, objek­tiv­en Welt”. Dazwis­chen ist eine “Pseudow­elt” aus inneren Bildern ange­siedelt. Wir reagieren und han­deln allein auf­grund dieser inneren Vorstel­lungswelt.
  • Die meis­ten dieser Bilder haben wir nicht sel­ber geschaf­fen. Sie stam­men aus äusseren Quellen und sind oft unbe­wusst oder halbbe­wusst. Deshalb beherrschen nicht wir die Bilder. Sie beherrschen uns.
  • Wer also diese Bilder beherrscht, kann uns beherrschen. Die Macht des “Bil­der­ma­chens” ist ein zen­trales Herrschaft­se­le­ment.
  • Wir leben immer mehr in ein­er “sekundär erfahre­nen Wirk­lichkeit”, in der wir Vorstel­lun­gen von Din­gen und Prozessen haben, ohne sie wirk­lich in der “primären Wirk­lichkeit” zu erfahren. Das sind die Stereo­typen, die wir uns tra­gen.
  • Die poli­tis­che Mei­n­ungs­bil­dung wird durch unsere Gefüh­le ges­teuert, die den inneren Bildern entsprin­gen.
  • Meis­tens schauen wir nicht zuerst und definieren dann, son­dern definieren erst und schauen dann. In dem großen blühen­den, sum­menden Durcheinan­der der äußeren Welt wählen wir aus, was unsere Kul­tur bere­its für uns definiert hat, und wir neigen dazu, nur das wahrzunehmen, was wir in der Gestalt aus­gewählt haben, die unsere Kul­tur für uns stereo­typ­isiert hat.” (Lipp­mann)
  • Die grosse Gefahr für die Gesellschaft beste­ht darin, dass wir uns dieser Tat­sachen gar nicht mehr bewusst sind und den Unter­schied zwis­chen Bild und Real­ität nicht mehr erken­nen. Wir glauben unre­flek­tiert an die “Wahrheit” der Bilder in unseren Köpfen.

Wer auch nur etwas reflek­tiert lebt, muss der Analyse Lipp­manns vor­be­halt­los zus­tim­men.

Sehr viel frag­würdi­ger ist die Schlussfol­gerung, die Lipp­mann daraus zog. Er war überzeugt, dass es ein hoff­nungslos­es Unter­fan­gen wäre, die Bevölkerung aufzu­fordern, diese innere “Pseudow­elt” a) zu erken­nen und b) aufzulösen. Es gehe deshalb nicht darum, den Men­schen zur Über­win­dung der in ihren Köpfen ver­ankerten Bilder zu ver­helfen, son­dern ger­ade umgekehrt die Bil­dung dieser Bilder so zu lenken und zu forcieren, dass die  Bevölkerung vorherse­hbar reagiert und so steuer­bar wird. Die Regierung der Bevölkerung geschieht also durch die Lenkung inner­er Bilder.

Damit sind wir wieder bei Bernays ange­langt, der fes­thielt:
Die bewusste und intel­li­gente Manip­u­la­tion der organ­isierten Gewohn­heit­en und Mei­n­un­gen der Massen ist ein wichtiges Ele­ment in der demokratis­chen Gesellschaft. Wer die unge­se­henen Gesellschaftsmech­a­nis­men manip­uliert, bildet eine unsicht­bare Regierung, welche die wahre Herrscher­ma­cht unseres Lan­des ist.

Wer aber soll die Lenkung dieser inneren Bilder zum Wohle der Gemein­schaft übernehmen?

Lipp­mann wollte sie wed­er den offiziellen Regierun­gen noch den Medi­en über­lassen. Er forderte eine “unab­hängige, sachkundi­ge Organ­i­sa­tion” von hochqual­i­fizierten Experten (Exper­tin­nen waren noch kein The­ma 😉 ), die im Hin­ter­grund zuhan­den von Poli­tik und Medi­en die “Pseudoumwelt” schafft. Um die Gefahr zu ban­nen, dass solche Experten ihrer­seits in einen Mach­trausch ver­fall­en, schlug er eine strik­te Tren­nung zwis­chen Exper­ten­tum und poli­tis­ch­er Mach­tausübung vor. Die heutige Sit­u­a­tion, dass PR-Agen­turen, Pres­sure Groups und Lob­by­is­ten direk­ten Zugang zur Leg­isla­tive erhal­ten, wäre ihm als Per­ver­sion erschienen. Er erkan­nte die Gefahr, dass gesellschaftliche Grup­pen mit Par­tiku­lar­in­ter­essen in der Gesellschaft Bilder zu erzeu­gen ver­suchen, die allein diesen Par­tiku­lar­in­ter­essen dienen.

Ein ander­er noch leben­der amerikanis­ch­er Intellek­tueller und überzeugter Anar­chist, der inzwis­chen 93-jährige, aber immer noch höchst luzide Noam Chom­sky, wies diesen Vorschlag Lipp­manns in einem Inter­view aus dem Jahre 2002 vehe­ment zurück.
Er (Lipp­mann) sagte .. es sollte eine kleine Gruppe von mächti­gen Leuten geben, und der Rest der Bevölkerung sollte Zuschauer sein, und man sollte sie zur Zus­tim­mung zwin­gen, indem man ihren Ver­stand kon­trol­liert, regle­men­tiert. Das ist die führende Idee von Demokrati­ethe­o­retik­ern und der Pub­lic-Rela­tions-Indus­trie. Und er pos­tuliert: Gewöhn­lich­er gesun­der Men­schen­ver­stand genügt, keine spezielle Aus­bil­dung, … um das zu entwirren und zu sehen, was wirk­lich passiert.

Lipp­mann war da offen­sichtlich einiges pes­simistis­ch­er. Aber er machte sich doch auch Gedanken, wie “der Mann und die Frau auf der Strasse” wieder etwas mehr innere Autonomie erlan­gen kön­nte. Sein Vorschlag: Mehr Bil­dung!
Konkreter:
- Wis­sen darum, wie der eigene Geist funk­tion­iert, wenn er mit unbekan­nten Fak­ten kon­fron­tiert wird.
- Beib­rin­gen, wie man Infor­ma­tio­nen und massen­medi­al erzeugte Bilder kri­tisch über­prüft.
- Ken­nt­nisse ver­gan­gener Pro­pa­gan­da zu ver­mit­teln.
- durch Kurse in ver­gle­ichen­der Geschichte und Anthro­polo­gie aufzeigen, wie unter­schiedliche kul­turelle Bilder unter­schiedlich­es Ver­hal­ten erzeu­gen
— u.a.m.

Zusam­menge­fasst kön­nte das heis­sen: Sich bewusst machen, welche Bilder wir in uns tra­gen und wie sie unser Gefühlsleben und unser Ver­hal­ten (und Abstim­mungsver­hal­ten) steuern.

Dazu gle­ich mal ein paar kleine Übungs­beispiele aus der Schweiz­er Poli­tik 🙂 :

In der näch­sten Folge am 19. März wen­den wir uns den “buzz­words” zu.

 

Birsfelden von hinten 21/4
"D' Zyt isch do"

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