Da hat­ten wir es doch — dank dem Ref­er­en­dum zum Waf­fen­recht — kür­zlich von der Schweiz­er Geschichte, der Frei­heit, der Selb­ständigkeit, der Sou­veränität und der Unab­hängigkeit. Und auch davon, dass wir Schweiz­erin­nen und Schweiz­er ein biss­chen an unserem Geschichts­bild arbeit­en sollten.
Und da sprechen im Moment alle, nur nicht die Regieren­den, vom Rah­menabkom­men mit der EU und den Bilat­eralen Verträ­gen, die es nach Ansicht von ANUS (Aktion für eine Neu­trale und Unab­hängige Schweiz) und SVP eigentlich zu kündi­gen gilt.

Unter dem Titel »Die Schweiz — oder die Kun­st der Abhängigkeit« hat Joëlle Kuntz ein sehr infor­ma­tives Buch zum The­ma geschrieben. Die Schweiz besitze die aussergewöhn­liche Fähigkeit, zahlre­iche Bindun­gen mit ihren Nach­barn einzuge­hen. Diese Fähigkeit habe es ihr ermöglicht, durch all die Jahrhun­derte zu über­leben und zu gedeihen.
Auch ein Stück Geschichtss­chrei­bung aus der Sicht der Romandie.

Die Autorin
Joëlle Kuntz, im Kan­ton St. Gallen geboren, gehört heute zu den führen­den Jour­nal­istIn­nen der Westschweiz. Beru­fliche Sta­tio­nen waren: ‘Radio suisse romande’, ‘La Lib­erté’ (Freiburg), ‘L’Im­par­tial’ heute arcin­fo (Neuen­burg), ‘L’Heb­do’, ‘Le Nou­veau Quo­ti­di­en’ (stel­lvertre­tende Chefredak­torin), ‘Le Temps’ (Lei­t­erin der Rubrik Opin­ions mit Gas­tau­toren). Heute pen­sion­iert schreibt sie weit­er­hin Gastkolum­nen zu his­torischen The­men für ‘Le Temps’.

Zum Inhalt aus ver­schiede­nen Buchbesprechungen

NZZ: »Wo ste­ht die Schweiz im 21. Jahrhun­dert? In diesem Essay geht Joëlle Kuntz als Jour­nal­istin den Grün­den für das Unbe­ha­gen nach, das sich rund um den Begriff der nationalen Unab­hängigkeit entwick­elt hat. Weshalb appel­lieren wir an sie? Weshalb wan­delt sich das Gefühl der Sicher­heit, das sie uns ehe­dem ver­mit­telte, in Unsicher­heit? Weshalb erscheint uns die Unab­hängigkeit, einen­gend wie sie sich dar­bi­etet, eher als Belas­tung denn als Kraftquelle und Hil­fe? Kuntz ord­net die schweiz­erische Unab­hängigkeit ein in ihr geschichtlich­es und geografis­ches Umfeld. Sie legt dar, wie sich die Span­nung zwis­chen moralis­ch­er Unab­hängigkeit und prak­tis­ch­er Abhängigkeit entwick­elte. Schliesslich zeigt sie die Stärken der Schweiz auf: einen prag­ma­tis­chen Umgang mit der Abhängigkeit, die Fähigkeit des Zusam­men­lebens, ihre Gabe des Ver­han­delns, der Föder­al­is­mus und die Offen­heit für Vielfalt, ihre ver­tiefte Ken­nt­nis der Weltwirtschaft, der Forschung und der Dien­stleis­tungswirtschaft und plädiert dafür, dass defen­sives Denken ein­er Bejahung der Inter­de­pen­denz Platz macht. «

pw-portal.de (Por­tal für Poli­tik­wis­senschaft): »Wenn ein Diplo­mat das Buch ein­er Jour­nal­istin über­set­zt, ist das eine Botschaft. Wenn dieser Botschafter der ehe­ma­lige Chef des eid­genös­sis­chen Inte­gra­tions­büros ist, der zudem später als Leit­er der Schweiz­erischen Mis­sion bei der EU in Brüs­sel die Inter­essen der Eidgenossen­schaft auf europäis­chem Par­kett vertreten hat, ist das ein offenkundi­ges poli­tis­ches Sig­nal: Mit dem Buch ver­mit­telt Benedikt von Tscharn­er den deutschsprachi­gen Lesern die Sicht ein­er führen­den franzö­sis­chsprachi­gen Jour­nal­istin der Schweiz und über­brückt so den eid­genös­sis­chen Sprach­graben zwis­chen Deutschschweiz und Westschweiz – gerne auch Rösti­graben genan­nt, an dem manche der Eidgenossen Rück­en an Rück­en ste­hen. Ker­nan­liegen der Autorin Joëlle Kuntz ist es, ihren Lesern die Rel­a­tiv­ität der nationalen Unab­hängigkeit vor Augen zu führen, die neben der eben­falls umstrit­te­nen Neu­tral­ität in der Schweiz gle­ich­wohl oft­mals und gerne wie eine Mon­stranz hochge­hal­ten wird. Allerd­ings ist die frühere Bedeu­tung der Unab­hängigkeit in ein­er fort­laufend stärk­er glob­al­isierten Welt immer eingeschränk­ter und erscheint eher als Belas­tung denn als Kraftquell. In ihrem Essay ord­net Kuntz die schweiz­erische Unab­hängigkeit in den his­torischen und geografis­chen Kon­text ein. Deut­lich wird dabei, wie der mit­teleu­ropäis­che Kle­in­staat seine Abhängigkeit­en und Ver­flech­tun­gen mit den Nach­barn seit der frühen Neuzeit pro­duk­tiv nutzte – zum Vorteil aller Beteiligten. Die Autorin geht dabei auf eine Vielzahl von Aspek­ten ein, vom Fluch und Segen der poli­tis­chen Flüchtlinge, von den Freuden und Lei­den des Bankge­heimniss­es bis zum Selb­stver­ständ­nis der Schweiz als Friedensin­sel im stür­mis­chen 20. Jahrhun­dert. Gele­gentlich mäan­dert der Essay allzu feuil­leton­is­tisch durch Zeit und Raum, doch gibt Kuntz ihren Mit­bürg­ern, aber auch den aus­ländis­chen Lesern, eine Vielzahl anre­gen­der Über­legun­gen zu den Per­spek­tiv­en der Schweiz mit auf den Weg.«

Schweiz­erische Gesellschaft für Aussen­poli­tik: »Das Büch­lein kommt genau zur richti­gen Zeit. Nach dem 9. Feb­ru­ar kön­nen wir uns nicht mehr um die Auf­gabe drück­en, unsere Posi­tion in Europa neu zu bes­tim­men. Soll dies nicht auf aus­ge­trete­nen Pfaden erfol­gen (und damit vorherse­hbar frucht­los ver­laufen), ist eine Über­prü­fung unser­er Optik angezeigt. Genau dazu gibt der kluge Essai von Joëlle Kuntz Anstoss, Anleitung und Food for thought.«
Kuntz, Leitar­tik­lerin der Westschweiz­er Zeitung Le Temps, führt uns ken­nt­nis­re­ich vor Augen, was eigentlich evi­dent, im hel­vetis­chen Diskurs indes eige­nar­tig abwe­send ist: dass unsere Geschichte nicht min­der eine Geschichte der Abhängigkeit­en als eine solche der Unab­hängigkeit ist. Weshalb sich dessen schä­men? Warum sich der Evi­denz ver­weigern? Und mit welchen Folgen?
Aus dieser kleinen, aber entschei­den­den Ver­schiebung der Per­spek­tive ergeben sich – für viele wahrschein­lich über­raschende – Ein­sicht­en: Schweiz­erische Aussen­poli­tik war nie etwas anderes als das Man­age­ment wech­sel­seit­iger Abhängigkeit­en. Dabei hat die Eidgenossen­schaft reiche Ver­hand­lungser­fahrung gesam­melt und beachtliche Geschick­lichkeit entwick­elt, um mit Abhängigkeit­en umzuge­hen und den eige­nen Bewe­gungsspiel­raum zu opti­mieren. Gemein­sames über Tren­nen­des zu stellen, im Innern wie nach aussen, ist beste eid­genös­sis­che Tradition.«

Schön, dass Sie bis hier durchge­hal­ten haben. Und wenn Sie jet­zt noch mehr über Joëlle Kuntz und ihre Ideen erfahren wollen, kön­nen Sie auf Youtube noch eine »SF Stern­stunde Philoso­phie« schauen oder in »Wat­son« sich dem The­ma Unab­hängigkeit in einem Inter­view mit Joëlle Kuntz widmen.

Zum Buch
Joëlle Kuntz , Benedikt von Tscharn­er (Über­set­zer), Die Schweiz – oder die Kun­st der Abhängigkeit, Zwis­chen­ruf, 120 Seit­en, Buch broschiert, ISBN: 978–3‑03823–908‑6, Ver­lag Neue Zürcher Zeitung

Und die Weisheit zur Sache:

Unab­hängigkeit und Abhängigkeit lassen sich nicht immer in einen Gegen­satz zueinan­der stellen, wed­er zeitlich noch sach­lich. Man macht einen Schritt auf dem Weg zum
Ver­ständ­nis der Schweiz­er Geschichte, wenn man weiss, dass bei­de existieren und dass die Abhängigkeit jenen Kerk­er nicht ver­di­ent, in den die Unab­hängigkeit sie ges­per­rt hat.
(Joëlle Kuntz)

Die rechten Winkel auf der Schweizerfahne
Mattiello am Mittwoch 20/19

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