Wer sich etwas in die aktuelle Forschung zu Hintergründen und Verlauf des Schwabenkrieges vertieft, kommt nicht umhin festzustellen, dass die Aussage im Soldatenbuch, die Schweiz habe sich im Schwabenkrieg die Unabhängigkeit vom Deutschen Reich erkämpft, reine Geschichtsklitterung ist.
Das zeigt sich sehr schön an den Friedensverhandlungen in Basel im September 1499, als sich die Eidgenossen vehement gegen den Satz im Vertragsentwurf wehrten, sie wieder “als Glieder des Reiches zu Gnaden und Hulden” kommen zu lassen, — sie also wieder ins Reich aufzunehmen. Ihr Argument: Sie hätten im Schwabenkrieg gar nie gegen das Reich gekämpft, ergo sei eine Wiederaufnahme hinfällig.
Auch ein weiterer angeführter Kriegsgrund, die Eidgenossen hätten sich gegen das neue Reichskammergericht und den “gemeinen Pfennig” — also gegen die Reichsreformbeschlüsse 1495 am Reichstag zu Worms — gewehrt, ist nicht stichhaltig. Es gab auch andere Reichsstände, welche die neuen Beschlüsse ablehnten. Kaiser Maximilian hatte schon vor dem Kriege die Geltung eidgenössischer Privilegien praktisch anerkannt, sodass die Reformbeschlüsse als Kriegsgrund keine besondere Bedeutung besessen haben können. … Mit dem Basler Frieden … erhielten die Eidgenossen von Maximilian eine bevorzugte Stellung innerhalb des Reiches eingeräumt. … Die Eidgenossen wurden … nun als des heiligen römischen Reiches “freye Stände”, als die sie sich noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts bezeichneten, anerkannt.
Dem mag man keine politische Bedeutung zumessen. Doch belehrt uns ein Blick in die Akten, dass zwischen der Haltung der Eidgenossen zum Reiche vor und nach dem Krieg kein Unterschied bestand. … Die Eidgenossen nannten sich seit dem Schwabenkriege gerne des “heiligen Römischen richs besonders gefryete ständ” ... (Karl Mommsen, Eidgenossen, Kaiser und Reich).
Werner Meyer hält Am Endes seines Artikels zum Schwabenkrieg “Krisen, Korruption und Kampfbegierde” fest: Konkrete politische Veränderungen hat der Krieg kaum gebracht. Man mag sich fragen, ob das politische Gesamtergebnis, die Wiederherstellung der Zustände vor dem Krieg, eine derart blutige Auseinandersetzung gerechtfertigt habe. … Manches am Schwabenkrieg ist heute vielleicht schwer nachzuvollziehen. Aber nationalstaatliche oder wehrideologische Deutungsmuster, die den patriotischen Wertvorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts entsprechen und dem blutigen Geschehen einen tieferen, politischen Sinn zu geben versuchen, bringen uns im Bemühen um das Verständnis der Vorgänge von 1499 jedenfalls nicht weiter.
Warum denn also Krieg, unter der — abgesehen von Tausenden von Toten in den diversen Schlachten — vor allem die Landbevölkerung dem Rhein entlang unsäglich litt, weil ihre Dörfer gebrandschatzt, ihr Vieh gestohlen und ihre Felder verwüstet wurden?
Einmal abgesehen von den Bündner Grenzstreitigkeiten, die zum Auslöser des Krieges wurden, spielte der Machtpoker zwischen Maximilian und Ludwig XII. von Frankreich um das Herzogtum Mailand eine wichtige Rolle. Und im Zusammenhang damit die Korruption.
Um die Truppen Maximilians im Kampf um Mailand zu binden, strebte Ludwig ein Bündnis mit den Eidgenossen an: Bereits 1498 nahmen des Königs Gesandte Verbindung mit den Eidgenossen auf, deren politische Führer sie mit dem Gilgenöl wirksam schmierten. In Solothurn zählte Schultheiss Niklaus Conrad zu den vehementesten Angehörigen der von Frankreich bestochenen Oberschicht.
Am 1. März 1499 legte Ludwig den Eidgenossen einen äusserst verlockenden Bündnisentwurf vor, in dem er alle Register der Überredungsdiplomatie zog. Schmeichelnd malte er ihnen vor, wie Frankreich und die Eidgenossenschaft als Verbündete die grösste Macht der Christenheit würden, die alle Feinde in Schrecken versetzen musste. Er verlangte das Recht der Söldnerwerbung und versprach, allen Orten für die Dauer ihres Krieges mit der Herrschaft Österreich reiche Subsidien auszuschütten. Auch wirtschaftliche Privilegien und sonstige Vergünstigungen stellte der “gabriche Küng” in Aussicht. Einem solchen Angebot konnten die eidgenössischen Oberen nicht widerstehen. Erfüllt von Gier nach den französischen Pensionen und Wirtschaftsprivilegien erklärten sich auch die mit Mailand verbündeten Orte bereit, dem Vertrag mit Frankreich beizutreten. Am 21. März wurde er abgeschlossen. — Maximilian hätte seinerseits liebend gerne ein paar Tausend eidgenössische Söldner eingekauft, aber er war weit weniger finanzstark als Ludwig. Und es galt schon damals: “Pas d’argent, pas de Suisses”.
Genaus so wichtig war allerdings auch der gegenseitige Hass, der sich seit Jahren aus verschiedenen Gründen zwischen den Eidgenossen, dem Schwäbischen Bund und den Landsknechten aufgebaut hatte: Schon um 1490 bestand zwischen den Schweizer Söldnern und den Landsknechten eine hasserfüllte Rivalität, für die der Schwabenkrieg von 1499 zur ersten grossen Ausmarchung werden sollte. Da viele Anführer der Landsknechthaufen aus dem süddeutschen Adel stammten, wurden zudem die ritterlichen Revanchegelüste in diese Söldnertruppe hineingetragen. Symptomatisch für die erwartungsvolle Kampfbegeisterung der Landsknechte waren deren drohende, übermütige Worte, die sie bei Jahresbeginn 1499 von Konstanz aus den Eidgenossen zugehen liessen, die nun ihrerseits für derartige Schmähreden auf Rache sannen. … In den Jahren unmittelbar vor 1499 hatte sich hüben und drüben eine emotional aufgeladene Gewaltbereitschaft aufgebaut, die nach einer gründlichen Abrechnung drängte und alle Friedensbemühungen zum Scheitern verurteilte.
Und nicht zuletzt spielte die Gier nach Ruhm und Beute eine Rolle: Eigene Wertvorstellungen, die sich an Ruhm, Ehre und Rache orientierten, prägten das Verhalten des Kriegertums. Sichtbare Zeichen des Erfolges — erschlagene Feinde, verbrannte Dörfer, erbeutete Fahnen und Geschütze hatten für die Krieger des Spätmittelalters, und zwar nicht bloss die eidgenössischen, einen eigenen Symbolwert. Beute aller Art wie Vieh, Lebensmittel, Waffen oder Gefangene (von denen man ein Lösegeld erpressen konnte), dienten nicht nur der eigenen Bereicherung und der Schädigung des Gegners. Beutestücke galten auch als Prestigeobjekte, die man zur Schau stellte und vor allem die Fahnen wie Opfergaben in den Kirchen aufhängte. Voller Stolz deklarierte ein Freiburger Hauptmann: “Alle Welt flücht und förchtet ir vor uns. Gott is des gelopt.”
Überhaupt müssen wir uns von der Vorstellung einer koordinierten Kriegsführung verabschieden: Nicht in den Griff zu bekommen war die Eigenmächtigkeit der Schweizer Kriegsknechte. Viele zogen es trotz Strafandrohungen vor, nach Hause zu ziehen oder in fremden Solddienst zu laufen, andere formierten sich zu selbständig agierenden Freiharsten, die sich nur dann den obrigkeitlichen Aufgeboten anschlossen, wenn es ihnen passte. Da ihre Anführer zu den prominentesten Raufbolden des eidgenössischen Kriegertums gehörten, musste die Obrigkeit ihre Aktionen meistens dulden und nachträglich sanktionieren. Das Berner Verbot, Freiharste zu bilden, zeigte in der rauhen Realität der Kriegsläufe so wenig Wirkung wie der gutgemeinte Tagsatzungsbeschluss, die im Felde stehenden Kriegsknechte hätten den Hauptleuten aller Orte zu gehorchen.
Wenn aber die Eidgenossen beteuerten, sich in diesem Krieg nie gegen das Reich erhoben zu haben, warum gerieten sie dann trotzdem in den Konflikt mit Maximilian, dem Oberhaupt des Reichs?
Dazu mehr in der kommenden Folge am Do, den 26. August
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