Das rev­o­lu­tionäre Frankre­ich hat­te alles Inter­esse, die Eidgenossen­schaft in seinem Ein­fluss­bere­ich zu behal­ten. Peter Ochs wurde deshalb in Paris ehren­voll emp­fan­gen und kon­nte Gespräche mit dem Direk­to­ri­umsmit­glied und Fre­und Jean-François Reubell, mit Aussen­min­is­ter Tal­leyrand und mit Napoleon führen. An einem rauschen­den Fest zu Ehren des siegre­ichen Gen­er­als in Ital­ien war Ochs ein Ehren­gast.

Diese Gespräche gipfel­ten in ein­er klaren Forderung an Ochs: Die Schweiz muss rev­o­lu­tion­iert wer­den!

Die entschei­dende Frage war natür­lich, auf welche Weise. Fréder­ic Laharpe, der sich eben­falls in Paris aufhielt und in Kon­takt mit Napoleon stand, hat­te ger­ade eine Peti­tion ein­gere­icht, die eine franzö­sis­che Inter­ven­tion in der Waadt forderte. Er wusste sich auch mit dem Gen­er­al und dem Direk­to­ri­um einig, dass die Rev­o­lu­tion in eine ein­heitliche Repub­lik mün­den müsse. Reubell brachte es auf den Punkt:
Wenn ich mir die in kleine unab­hängige demokratis­che Repub­liken geth­eilte Schweiz vorstelle, so scheint mir, ich sehe eine Schüs­sel voll kleinen Pasteten, von welchen man, ohne des­gle­ichen zu thun, die eine nach der andern wegk­narpelt.
Etwas weniger blu­mig: Über­lebenss­chan­cen eines solchen Gebildes gle­ich null.

Während Napoleon sich schon damals für den sagen­haften Staatss­chatz in Bern zu inter­essieren begann — eine Inva­sion Eng­lands war im Gespräch, später mod­i­fiziert durch einen Angriff auf Aeg­pyten, und das würde kosten! -, hoffte Ochs sein­er­seits immer noch, diese Rev­o­lu­tion möge dank der Ein­sicht der Regieren­den auf unblutige Weise von oben herab  und ohne die gütige Bei­hil­fe der franzö­sis­chen Armeen zus­tandekom­men. Seine Idee: Basel kön­nte den Anfang machen und die Unter­ta­nenge­bi­ete ein­laden, sich zu ein­er Nation­alver­samm­lung zusam­men­zuschliessen. Nach und nach wür­den sich dann die anderen Kan­tone anschliessen.

Als ersten Schritt beauf­tragte er deshalb Mitte Dezem­ber 1797  seinen Schwa­ger Peter Vis­ch­er, in der Jan­u­ar­sitzung des Grossen Rats die Gle­ich­stel­lung aller Unter­ta­nen zu beantra­gen. Als die Fran­zosen zur gle­ichen Zeit das Bis­tum Basel beset­zten, brachte Vis­ch­er den Antrag noch im Dezem­ber in der ausseror­dentlichen Sitzung des Grossen Rates vor. Die Empörung der Rat­sher­ren war riesig: Vis­ch­er wurde niedergeschrien und der Antrag wurde nicht ein­mal für würdig befun­den, im Pro­tokoll ver­merkt zu wer­den …

Nach einem rauschen­den Fest bei Aussen­min­is­ter Tal­leyrand am 3. Jan­u­ar 1798 kam es zur entschei­den­den Sitzung beim Direk­tor Louis-Marie de La Rev­el­lière-Lépeaux. Aber bevor wir uns dessen Inhalt wid­men, wollen wir mit Ochs am Fest teil­nehmen:
Ein Architekt hat Hof und Garten in ein Heer­lager der Ital­ien­armee ver­wan­delt, die Treppe ist voller Myrten, sel­tene Blu­men und Sträuch­er sind in den Salons verteilt, dazwis­chen hän­gen Repro­duk­tio­nen von Kunst­werken, die Bona­parte aus Ital­ien geschickt hat, in ein­er Art Tem­pel ste­ht die Bru­tus-Büste vom römis­chen Kapi­tol; in den Sälen blitzen Bergkristalleuchter in die vie­len Spiegel hinein, Girlan­den schwin­gen sich von Wand zu Wand. Über­all duftet es betörend nach Ambra, über­all ertönt Musik.
Geladen sind «nur» 500 Gäste. Aber die schön­sten und ele­gan­testen Damen von Paris, unge­mein kost­bar entk­lei­det als antike Got­theit­en. Ist es, weil Tal­leyrand den Verzicht auf Toi­let­tenbe­standteile englis­ch­er Prove­nienz gefordert hat, dass diese Schön­heit­en alles Wol­lene und Baum­wol­lene gegen durch­sichtige Schleier ver­tauscht haben? Immer­hin wer­den die untern Blössen wettgemacht durch Haa­rauf­baut­en aus Kränzen, Girlan­den, Zweigen und Frücht­en, alles gebührend ver­sil­bert und ver­gold­et, damit nie­mand etwa denken kön­nte, die Armut habe diese Geschöpfe der­art gerupft in die Jan­u­ar­nacht getrieben. (…)
All das zu Ehren von … nein, nicht von Bona­parte, son­dern von sein­er Frau Joséphine! Beim ersten Trinkspruch don­nert es im Garten und die Schrift: «VIVE LA RÉPUBLIQUE» leuchtet am Nachthim­mel auf. Macht nichts, wenn die République gle­ich erlöscht, find­et Bona­parte, solange sich alles um ihn und seine Frau dreht … (Kopp, Peter Ochs)

Am näch­sten Mor­gen erhielt Ochs den Auf­trag für den Entwurf ein­er kün­fti­gen Ver­fas­sung der Eidgenossen­schaft. Wenn man eine Ver­samm­lung die Ver­fas­sung ausar­beit­en lasse, meinte La Rev­el­lière-Lépeaux, wür­den sich nur Eng­land und Öster­re­ich ein­mis­chen. Ochs zögerte, da er damit gegen die Instruk­tio­nen der eige­nen Regierung han­delte. Auch schwank­te er zwis­chen Bun­desstaat und Ein­heitsstaat. Es lohnt sich, seine Aus­führun­gen zur Ken­nt­nis zu nehmen, warum er schliesslich dem Ein­heitsstaat den Vorzug gab:
Mehrere Tage ver­strichen, bis ich mich zum Ein­heitssys­tem bes­timmt erk­lären kon­nte. Alle kün­fti­gen und­wider­sprech­liche Vortheile des­sel­ben schwebten mir zwar ohne Aus­nahme und leb­haft vor Augen. Allein die Schwierigkeit­en von Seit­en der Lands­ge­mein­den von sechs Can­tons: Schwierigkeit­en von Seit­en der Aris­tokrat­en, die bey einem föder­a­tiv­en Sys­tem gün­stigere Aus­sicht­en zur Wieder­her­stel­lung ihrer ver­lore­nen Gewalt noth­wendig find­en mussten; Schwierigkeit­en von Seit­en jen­er Patri­oten, die in einem engeren Wirkungskreise leichter angestellt zu wer­den ver­hof­fen wür­den, und daher mehr ver­wal­ten, mehr befehlen, mehr bestellen, mehr bedeuten zu kön­nen wün­schen dürften.
Drey Betra­ch­tun­gen gaben zulet­zt den Auss­chlag:
1. Durch das Ein­heitssys­tem wird das gemein­same Gebi­et der Can­tone durch Frankre­ich selb­st vor jed­er Teilung oder Tren­nung gesichert.
2. Gle­ich­heit ohne Ein­heit wird zu einem Bürg­erkrieg führen, denn in jen­em Can­ton wird das Volk Lands­ge­mein­den ein­führen wollen, in jen­em andern wer­den die Aris­tokrat­en alle möglichen Ver­suche zu ihrer WiederE­in­set­zung anstellen; dort wer­den oester­re­ichis­ch­gesin­nte, hier franzö­sis­ch­gesin­nte tra­cht­en, sich auss­chliesslich empor zu schwin­gen … (Men­schen­rechte und Rev­o­lu­tion. Peter Ochs)

Ochs war sich des Risikos, das er mit der Redak­tion eines Ver­fas­sungsen­twur­fes eing­ing, dur­chaus bewusst. Aber auch dies­mal wollte er seinem Schwur, alles für die Befreiung der Unter­ta­nen zu unternehmen, treu bleiben. Am 10. Jan­u­ar 1798 über­re­ichte er dem Direk­to­ri­um einen ersten Entwurf.

Zwei Wochen vorher hat­te die let­zte Tagsatzung der Alten Eidgenossen­schaft in Aarau stattge­fun­den, an der man noch ein­mal die alten Bünde beschwor. Es war eine Farce. Bern block­ierte sämtliche Diskus­sio­nen zu den Unter­ta­nenge­bi­eten. Doch das Rad der Geschichte liess sich nicht mehr zurück­drehen: Am 20. Jan­u­ar rev­o­lu­tion­ierte sich Basel als erster eid­genös­sis­ch­er Stand friedlich und selb­ständig.

Näch­ste Folge am kom­menden Don­ner­stag, den 7. April!

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Die Reichsidee 35

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