Frank­reich domi­nier­te im 18. Jahr­hun­dert die aus­sen­po­li­ti­schen Bezie­hun­gen der Alten Eid­ge­nos­sen­schaft, aber nicht nur:
Es gehör­te … zu den prio­ri­tä­ren Auf­ga­ben sei­nes Ambassa­dors in Solo­thurn, für ein Min­dest­mass an Ein­ver­nehm­lich­keit zwi­schen den Orten zu sor­gen. Der fran­zö­si­sche Bot­schaf­ter schal­te­te sich unzäh­li­ge Male als Ver­mitt­ler bei eid­ge­nös­si­schen Kon­flik­ten ein, um das Aus­ein­an­der­bre­chen die­ses losen Ver­bunds zu ver­hin­dern und die pri­vi­le­gier­ten Bezie­hun­gen Frank­reichs zum gesam­ten Cor­pus hel­ve­ti­cum zu wah­ren. (Holen­stein, Mit­ten in Euro­pa)

Schon vor dem Ein­marsch der fran­zö­si­schen Trup­pen begann es im Anci­en Régime nach dem Sturm auf die Bas­til­le 1789 und der Erklä­rung der Men­schen­rech­te ziem­lich zu rumo­ren. Vor allem in den indus­tria­li­sier­ten und hoch­spe­zia­li­sier­ten land­wirt­schaft­li­chen Gebie­ten bra­chen Revol­ten gegen das ver­knö­cher­te Herr­schafts­sys­tem aus:
Im Waadt­land, in der Schaff­hau­ser Land­schaft und im Wal­lis wur­den 1790 und 1791 Volks­auf­stän­de mit oft bru­ta­ler Gewalt von der Obrig­keit nie­der­ge­schla­gen, und in den Rand­ge­bie­ten der Schweiz bedroh­ten Unru­hen die tra­di­tio­nel­le poli­ti­sche Ord­nung. In Genf, Grau­bün­den und im Bis­tum Basel stürz­te das alte Regime zusam­men. Trup­pen von Bern und Zürich waren fast stän­dig im Alarm­zu­stand. Als in den Jah­ren 1795 und 1796 im Zürich­see­ge­biet schwe­re Unru­hen aus­bra­chen, wur­de die Sta­bi­li­tät des gesam­ten poli­ti­schen Sys­tems gefähr­lich in Fra­ge gestellt. …
Die neu­en Ideen fan­den nicht nur auf dem Lan­de und in den Unter­ta­nen­städ­ten Anhän­ger. Auch in den herr­schen­den Fami­li­en weck­te die Aus­sicht auf eine grund­le­gen­de Reform des Staa­tes nach dem ame­ri­ka­ni­schen und fran­zö­si­schen Mus­ter wach­sen­de Sympathie.
(Geschich­te der Schweiz und der Schwei­zer, Basel 1986)

Für vie­le wache Zeit­ge­nos­sen war Frank­reich der Leucht­turm für eine neue Zeit. Johann Hein­rich Pes­ta­loz­zi unter­schrieb sei­ne Brie­fe mit “Bür­ger von Zürich und von Frank­reich”. Er war am 26. August 1792 neben 16 wei­te­ren bedeu­ten­den Per­sön­lich­kei­ten Euro­pas als ein­zi­ger Schwei­zer durch die fran­zö­si­sche Natio­nal­ver­samm­lung zum Ehren­bür­ger Frank­reichs ernannt wor­den.

Der ent­schei­den­de Anstoss für eine radi­ka­le Umwäl­zung der poli­ti­schen und sozia­len Struk­tu­ren kam durch den Ein­marsch der fran­zö­si­schen Trup­pen 1798. Die Moti­va­ti­on dafür war einer­seits das Bewusst­sein der “hei­li­gen Mis­si­on” Frank­reichs, die Idea­le der Revo­lu­ti­on über die Lan­des­gren­zen hin­aus­zu­tra­gen. “Vive les descen­dants de Guil­laume Tell!ver­kün­de­ten die ein­mar­schie­ren­den Befehls­ha­ber.
Gleich­zei­tig stand dahin­ter das stra­te­gi­sche Bedürf­nis, sich in der Aus­ein­an­der­set­zung mit den Mon­ar­chien mit einer Rei­he von ver­bün­de­ten Staa­ten zu umgeben.

Schon einen Monat spä­ter stand die von Peter Ochs und sei­nen Mit­strei­tern mit der fran­zö­si­schen Regie­rung aus­ge­han­del­te neue Ver­fas­sung der Helvetik:
Die hel­ve­ti­sche Repu­blik macht einen unzert­heil­ba­ren Staat aus. Es giebt kei­ne Gren­zen mehr zwi­schen den Can­to­nen und den unter­wor­fe­nen Lan­den, noch zwi­schen einem Can­ton und dem ande­ren. Die Ein­heit des Vater­lands und das all­ge­mei­ne Inter­es­se ver­tritt künf­tig das schwa­che Band, wel­ches fremd­ar­ti­ge, unglei­che, in kei­nem Ver­hält­nis ste­hen­de, klein­li­chen Loka­li­tä­ten und ein­hei­mi­schen Vor­urthei­len unter­wor­fe­ne Thei­le zusam­men­hielt, auf aus Gera­the­wohl lei­te­te. So lan­ge alle ein­zel­nen Thei­le schwach waren, muss­te auch das Gan­ze schwach seyn. Die ver­ei­nig­te Stär­ke Aller wird künf­tig eine alle­ge­mei­ne Stär­ke bewir­ken.

Das Expe­ri­ment “Hel­ve­tik” ging bekannt­lich trotz der ehren­wer­ten Absicht, ein neu­es, fort­schritt­li­ches und gerech­tes Staats­ge­bil­de zu schaf­fen, aus meh­re­ren Ursa­chen gründ­lich schief:
● Es war eine Staats­form, die trotz aller fort­schritt­li­chen und frei­heit­li­chen Ele­men­te von aus­sen dik­tiert wurde.
Die Befrei­er erwie­sen sich vor allem als Unter­drü­cker und Plünderer.
● Die Schweiz wur­de zum Schlacht­feld Europas.
● Der Sprung von einem locke­ren Staa­ten­bund zu einem zen­tra­lis­tisch geführ­ten Ein­heits­staat war schlicht zu gross.
● Die Regie­ren­den waren in der Fra­ge, wie stark das Volk bei die­sem Umbau ein­be­zo­gen wer­den soll­te, unter sich mas­siv zerstritten.

Die Fol­gen waren bis 1802 vier Staats­streich­ver­su­che, wel­che die Hel­ve­tik immer insta­bi­ler wer­den lies­sen. Da Napo­le­on dar­an war, sein Kai­ser­reich auf­zu­bau­en, die Schweiz inzwi­schen dank sei­ner Sie­ge die stra­te­gi­sche Bedeu­tung für ihn ver­lo­ren hat­te, er aber kei­ne Insta­bi­li­tät an der fran­zö­si­schen Gren­ze wünsch­te, ent­schloss er sich zu einem raf­fi­nier­ten Schach­zug. Er zog sei­ne Trup­pen 1802 aus der Eid­ge­nos­sen­schaft zurück:
Dar­auf brach sofort eine Rei­he von Volks­auf­stän­den aus. In Bern und in der Inner­schweiz grif­fen die Geg­ner der Repu­blik zu den Waf­fen. Die Trup­pen der Hel­ve­ti­schen Repu­blik genüg­ten nicht, um das Land unter Kon­trol­le zu brin­gen. Die Zen­tral­re­gie­rung ver­lor den letz­ten Rest von Auto­ri­tät und konn­te ein tota­les Cha­os nicht ver­hin­dern. … Frank­reich über­liess den Staat, den es  geschaf­fen hat­te, aber nicht mehr brauch­te, sei­nem eige­nen Schick­sal. Aber ohne Frank­reich war es nicht mög­lich, in der Schweiz wie­der Ord­nung herzustellen.
(Geschich­te der Schweiz und der Schwei­zer, Basel 1986) 

Wer im Geschichts­un­ter­richt auf­ge­passt hat, weiss, was nun geschah. Wer nicht, muss auf die nächs­te Folge

am kom­men­den Don­ners­tag, den 16. Dezem­ber warten 🙂

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