Man wird dur­chaus behaupten kön­nen, dass die Macht- und Herrschaftsver­hält­nisse in den eid­genös­sis­chen Repub­liken der frühen Neuzeit ohne Berück­sich­ti­gung der aussen­poli­tis­chen Ver­flech­tun­gen der Kan­tone nicht zu ver­ste­hen sind.
So bringt André Holen­stein die poli­tis­che Sit­u­a­tion im Ancien Régime auf den Punkt.

Wir haben gese­hen, wie stark die Alte Eidgenossen­schaft wirtschaftlich mit den sie umgeben­den Mächt­en ver­flocht­en war, allen voran mit Frankre­ich. Und wir haben gese­hen, dass diese Ver­flech­tun­gen die Macht­stel­lung ein­er kleinen Elite in den Orten fes­ti­gen half. Der “Zement” dafür: Geld.
Die Rück­kop­pelung zwis­chen Aussen­beziehun­gen und lokaler Vorherrschaft man­i­festierte sich auch im Pen­sio­nen­we­sen. Pen­sio­nen (Jahrgelder) hiessen die in den Allianzen fest­gelegten Zahlun­gen der aus­ländis­chen Mächte an die Kan­tone sowie an ein­flussre­iche Fig­uren in den regieren­den Kreisen. Ein­er­seits materieller Aus­druck der beson­deren Beziehung zwis­chen den Orten und der auswär­ti­gen Macht, waren sie ander­er­seits auch ein hand­festes Instru­ment der Poli­tik und Diplo­matie.

Im 16. Jahrhun­dert macht­en die Pen­sio­nen in Freiburg zwei Drit­tel der Staat­sein­nah­men aus, in Luzern immer­hin noch 40 %. Spitzen­re­it­er war Appen­zell, wo sie sich z.B. 1582/83 auf etwa 80% beliefen.

Neben den Pen­sio­nen, die an die Kan­tone aus­geschüt­tet wur­den, gab es noch eine zweite Kat­e­gorie: die Par­tiku­lar- oder Pri­vat­pen­sio­nen. Es ist wohl nicht weit herge­holt, wenn man ihnen das Etikett “Bestechung” umhängt: Es waren heim­liche Zahlun­gen an einen aus­gewählten Kreis, die den Staat­en Insid­er-Infos zukom­men liessen und bei Abstim­mungen deren Inter­essen ver­trat­en. Ganz cle­vere Poli­tik­er liessen sich gle­ich von mehreren aus­ländis­chen Mächt­en bezahlen. Diese Gelder macht­en anfangs des 18. Jahrhun­derts einen erkleck­lichen Anteil an den Gesamtein­nah­men aus, in Solothurn — das in Sachen Pen­sio­nen ein absoluter Spitzen­re­it­er war — ein Vier­tel, in Freiburg und Schwyz über ein Drit­tel, in Luzern prak­tisch die Hälfte.

Bei der Fein­verteilung der Pri­vat­pen­sio­nen in den einzel­nen Kan­to­nen übten die soge­nan­nten Pen­sio­ne­nausteil­er («dis­trib­u­teurs» beziehungsweise «Fak­tion­is­ten») grossen Ein­fluss aus. Diese beson­ders loyalen Ver­trauensper­so­n­en soll­ten das ihnen von der auswär­ti­gen Macht zur Ver­fü­gung gestellte Geld opti­mal im Inter­esse des zahlen­den Dien­s­ther­rn und Patrons ver­wen­den – für Stim­menkauf, für die Steuerung wichtiger Entschei­dun­gen in den Räten oder bei der Lands­ge­meinde, für die Wahl von Parteigängern in wichtige Lan­desämter, für die Beschaf­fung von Infor­ma­tio­nen und anderes mehr. Die Charge des Pen­sio­ne­nausteil­ers lag in den Hän­den jen­er Fam­i­lie, die die Fran­zosen­partei im Ort anführte. In den Inneren Orten hiel­ten diesel­ben Fam­i­lien über Gen­er­a­tio­nen hin­weg diese Posi­tion inne – in Schwyz die Red­ing, in Zug die Zurlauben, in Uri die Schmid, in Nid­walden die Acher­mann und die von Flüe in Obwalden.

Die katholis­chen Orte hat­ten nicht nur die Nase vorn, was den Umfang der Pen­sion­szahlun­gen bet­rifft, son­dern auch in Sachen Käu­flichkeit:
In auf­schlussre­ich­er Weise schwank­te der Anteil der Pri­vat­pen­sio­nen von Kan­ton zu Kan­ton stark. Während die reformierten Städte Basel, Zürich, Bern und Schaffhausen nur öffentliche Pen­sio­nen ent­ge­gen­nah­men und Appen­zell Ausser­rho­den sowie Evan­ge­lisch Glarus als einzige protes­tantis­che Orte Pri­vat­pen­sio­nen empfin­gen, bekun­de­ten die katholis­chen Kan­tone keine Skru­pel beim Emp­fang von Pri­vat­pen­sio­nen. Beson­ders in Katholisch Glarus, Luzern, Uri und Obwalden fiel ihr Anteil an den Gesamt­pen­sio­nen stark ins Gewicht.

Die Poli­tik­er der katholis­chen Orte gal­ten grund­sät­zlich als käu­flich­er als ihre reformierten Kol­le­gen. Dies machte sie in den Augen des franzö­sis­chen Ambas­sadors Roger Bru­lart de Puysieux (1640–1719) ver­lässlich­er. In ein­er Denkschrift von 1708 hielt er fest, in den katholis­chen Kan­to­nen müsse man nur die fünf, sechs wichtig­sten Poli­tik­er für sich gewin­nen, um eine Sache zu schaukeln.

Die Poli­tik­er in den Lands­ge­mein­dekan­to­nen “schaukel­ten die Sache” dann jew­eils so, dass sie ganz ein­fach die benötigten Stim­men kauften.

Die Folge des Pen­sio­nen­we­sens war also, dass die Machtver­hält­nisse in den Orten in direk­ter Abhängigkeit von aus­ländis­chen Inter­essen standen. Die grössten Rival­itäten ent­standen jew­eils zwis­chen der pro- und antifranzö­sis­chen Parteiung.

All das kratzt doch ziem­lich inten­siv am hehren Geschichts­bild, das uns jew­eils in der Schule ver­mit­telt wurde. Um diese Pseu­do-Sou­veränität aufzubrechen, brauchte es Ereignisse, welche die Alte Eidgenossen­schaft in ihren Grund­festen erschüt­terten: die franzö­sis­che Besatzung und das Exper­i­ment der Hel­vetik. Und es brauchte eine neue Gen­er­a­tion von Demokrat­en — allen voran Ignaz Trox­ler — die den Kampf gegen den alten “Filz” auf­nah­men. Er sollte noch Jahrzehnte dauern …

Darüber mehr am kom­menden Don­ner­stag, den 9. Dezem­ber!

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