Wenn man den Blick auf die Aus­wan­de­run­gen nörd­lich der Alpen rich­tet, ver­schiebt sich das Bild der Berufs­gat­tun­gen, die im Aus­land ihr Heil such­ten. Zu nen­nen wären hier

Künst­lerSeit der Refor­ma­ti­on gal­ten ins­be­son­de­re die bil­der­feind­li­chen refor­mier­ten Kan­to­ne als schwie­ri­ges Pflas­ter für Künst­ler, da die­se in der frü­hen Neu­zeit noch zu einem erheb­li­chen Teil von kirch­li­chen Auf­trä­gen leb­ten. … Die auf Spar­sam­keit und unmit­tel­ba­re Nütz­lich­keit bedach­ten eid­ge­nös­si­schen Repu­bli­ken waren mit Auf­trä­gen für pro­fa­ne Reprä­sen­ta­ti­ons­bau­ten wesent­lich knau­se­ri­ger als die Mon­ar­chen und der Adel in den euro­päi­schen Fürs­ten­staa­ten, für die eine osten­ta­ti­ve Zur­schau­stel­lung höfi­schen Glan­zes und die mäze­na­ti­sche För­de­rung der Kunst zum stän­di­schen Selbst­ver­ständ­nis gehörten.

Johann Hein­rich Füss­li, der in Ber­lin und Lon­don Kar­rie­re mach­te, schil­der­te das Pro­blem so:
Es ist schwe­rer, als man glaubt, eine Geschich­te der Künst­ler zu schrei­ben, von einer Nati­on, wo der grös­se­re Teil bei einer edlen Ein­falt der Sit­ten und einer glück­li­chen Mit­tel­mäs­sig­keit der Reich­tü­mer ihren Auf­wand mehr auf das Nöti­ge ver­wen­det, und wo folg­lich der Künst­ler, um zu einer wah­ren Grös­se zu gelan­gen, aus Man­gel von Kunst Sachen, und folg­lich auch Auf­mun­te­rung, sein Vater­land ver­las­sen, und aus­wärts sich bil­den muss, will er dann die Früch­te sei­ner Kunst genies­sen, so fin­det er sein Glück leich­ter und gewis­ser in Königs Städ­ten und in Län­dern, wo Pracht und Auf­wand kei­ne Gren­zen haben.

● Haus­leh­rer und ‑leh­re­rin­nen: Fran­zö­sisch­kennt­nis­se waren im vor­re­vo­lu­tio­nä­ren Euro­pa so wich­tig wie heu­te das Eng­lisch. Sie bil­de­ten die Vor­aus­set­zung für eine beruf­li­che Kar­rie­re in Poli­tik und Diplo­ma­tie und waren in der Ober­schicht unab­ding­bar. Pro­tes­tan­ti­sche Fürs­ten, Ade­li­ge und rei­che Bür­ger in Deutsch­land, Nie­der­lan­den, Skan­di­na­vi­en und Russ­land hol­ten die Pri­vat­leh­rer und Gou­ver­nan­ten für ihre Kin­der des­halb lie­ber aus der refor­mier­ten fran­zö­sisch­spra­chi­gen Schweiz als im katho­li­schen Frank­reich. Man schätzt, dass sich im 18. und 19. Jahr­hun­dert Hun­der­te von Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer dafür zur Ver­fü­gung stellten.

Stell­ver­tre­tend für zahl­rei­che ande­re kann hier Fré­dé­ric-César de la Har­pe (1754–1838) genannt wer­den, der Waadt­län­der Revo­lu­tio­när und Mit­glied des Hel­ve­ti­schen Direk­to­ri­ums 1798–1800. Zwi­schen 1783 und 1795 war er für die Erzie­hung von Alex­an­der und Kon­stan­tin Roma­now, der bei­den Enkel von Zarin Katha­ri­na II. von Russ­land, ver­ant­wort­lich gewe­sen und hat­te damit die Basis für eine lebens­lan­ge, enge Bezie­hung zur rus­si­schen Zaren­fa­mi­lie gelegt.
Zusam­men mit einer ande­ren Waadt­län­de­rin, Jean­ne Hut-Maze­let, nutz­te de la Har­pe sei­ne guten Bezie­hun­gen zu Zar Alex­an­der I., um dafür zu sor­gen, dass die Waadt nach dem Sturz Napo­le­ons nicht wie­der zum Ber­ner Unter­ta­nen­land wurde.

● Gelehr­te: Im Ver­gleich zum Aus­land, wo Wis­sen­schafts­aka­de­mien und Reform­uni­ver­si­tä­ten das höhe­re Bil­dungs­we­sen und die Dyna­mik der For­schung in Medi­zin und Natur­wis­sen­schaf­ten bestimm­ten, fällt die Rück­stän­dig­keit der höhe­ren Bil­dungs­ein­rich­tun­gen in der Schweiz des Anci­en Régime auf. … Die alte Schweiz … bot ihren Gelehr­ten kei­ne deren Fähig­kei­ten ent­spre­chen­den Beschäf­ti­gungs­mög­lich­kei­ten. Ihre For­schung betrie­ben die Schwei­zer Gelehr­ten in ihrer Frei­zeit und als Mit­glie­der zahl­rei­cher pri­va­ter gelehr­ter Gesell­schaf­ten, sicher­ten sich dane­ben aber ihre Exis­tenz in einem Brot­be­ruf als Pfar­rer oder Magis­tra­ten, sofern sie nicht als Pri­vat­ge­lehr­te von ihrem Ver­mö­gen leben konnten.

Die Obrig­kei­ten im Anci­en Regime waren an der Finan­zie­rung wis­sen­schaft­li­cher For­schung nicht inter­es­siert. So kam es, dass ein so her­vor­ra­gen­der Gelehr­ter wie der Ber­ner Albrecht von Hal­ler, Begrün­der der expe­ri­men­tel­len Phy­sio­lo­gie und Bota­ni­ker, an der Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen forsch­te. Die Reich­wei­te sei­nes Kor­re­spon­denz­net­zes zeig­te sei­nen Rang und Ein­fluss an. Hal­lers Netz­werk umfass­te 1200 Kor­re­spon­den­ten und reich­te von Schwe­den bis Süd­spa­ni­en und von Irland bis Mos­kau. Er kehr­te erst nach Hau­se zurück, als es dar­um ging, sei­ne Fami­li­en­in­ter­es­sen im aris­to­kra­ti­schen Bern zu ver­tre­ten. Neun­mal ver­such­te er, dank sei­ner euro­pa­wei­ten wis­sen­schaft­li­chen Repu­ta­ti­on in den Klei­nen Rat gewählt zu wer­den. Erfolg­los, er hat­te nicht die rich­ti­ge Geburt.

Im 18. Jahr­hun­dert stamm­te zeit­wei­lig ein Drit­tel der Mit­glie­der der Ber­li­ner Aka­de­mie aus der Schweiz. Beson­ders ein­drück­lich war die Schwei­zer Prä­senz an der rus­si­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten in St. Peters­burg, wo ein eigent­li­ches hel­ve­ti­sches Netz­werk die Poli­tik der Aka­de­mie im 18. Jahr­hun­dert wesent­lich bestimm­te.

Ins­be­son­de­re die Mathe­ma­ti­ker-Dynas­tien Ber­noul­li und Euler aus Basel waren pro­mi­nent ver­tre­ten. Die Fami­lie Euler bestimm­te mass­geb­lich die Ent­wick­lung der Peters­bur­ger Aka­de­mie mit und stieg bis in höchs­te Staats­äm­ter auf. Die tem­po­rä­re oder dau­er­haf­te Aus­wan­de­rung schwei­ze­ri­scher Gelehr­ter brach nach die­sen ers­ten Pio­nier­ge­nera­tio­nen kei­nes­falls ab, son­dern setz­te sich im 19. Jahr­hun­dert ver­stärkt fort und war damit Teil einer ins­ge­samt beacht­li­chen Wan­de­rung von Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zern nach Russ­land, die mit der Rus­si­schen Revo­lu­ti­on 1917 abrupt abbrach.

Genau­so ein­drück­lich war aber auch die wirt­schaft­li­che Ver­flech­tung der Alten Eid­ge­nos­sen­schaft mit dem übri­gen Europa.

Dazu mehr am kom­men­den Don­ners­tag, den 28. Oktober

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