1478 — also zwei Jah­re nach der Schlacht von Grand­son — schil­der­te der Frei­bur­ger Chro­nist Peter von Mols­heim das Gebet der Eid­ge­nos­sen vor der Schlacht folgendermassen:
Do gesa­chen sy [die Eid­ge­nos­sen] den her­zo­gen mit einem unsäg­li­chen mech­ti­gen volk, die man schas­te für 9000 man, bereit und in guter Ord­nung hal­ten und gerüst, an sy ze zie­chen, das ouch schier beschach. Do knü­wo­te jeder­man nider mit zer­ta­nen armen und bet­tet jekli­cher fünf pater­nos­ter und fünf ave Maria, als das die fro­men Eyd­gnos­sen jewel­ten bis­har in guter gewon­heit har­bracht hand. Do das die Bur­gu­ner gesa­chen, do mein­ten sy, die Eyd­gnos­sen wären dar­umb nider­ge­fal­len, das sy den her­zo­gen umb gnad bet­tend und sich an ir erge­ben wet­ten, und vien­gen an ze schri­gen all mit lut­ter vygen­kli­chem schry­en das gar ein wild getemer [nhd. Lärm] ward.

Peter Och­sen­bein, der die­ser Tra­di­ti­on in sei­nem Arti­kel “Beten mit zer­ta­nen Armen — ein alteid­ge­nös­si­scher Brauch” aus­führ­lich nach­ge­gan­gen ist, hält dazu fest: Die Eid­ge­nos­sen knien unmit­tel­bar vor einem blu­ti­gen Tref­fen auf dem Schlacht­feld nie­der und rufen Gott und die Hei­li­gen mit “zer­ta­nen armen” um Bei­stand und Sieg an. Die­se ein­drück­li­che Sze­ne ist uns aus der älte­ren schwei­ze­ri­schen Chro­nis­tik bes­tens vertraut. …
Die Ver­bin­dung des Her­ren­ge­be­tes  (Mt 6,9–13) mit dem Gruss des Engels an Maria (Lc 1,28 und 1,42) war bereits seit dem 13. Jahr­hun­dert all­ge­mein üblich. Die fünf­fa­che Wie­der­ho­lung die­ser bei­den, meist auch von Lai­en noch in latei­ni­scher Spra­che aus­wen­dig rezi­tier­ten Ora­tio­nen lässt sich in spät­mit­tel­al­ter­li­chen Quel­len (vor allem in Gebet­bü­chern) viel­fach nach­wei­sen. Sehr oft wer­den mit der Fünf­zahl der genann­ten Rei­hen­ge­be­te die fünf Wun­den Chris­ti geehrt. 

Das Ver­trau­en in eine höhe­re Macht zeigt sich zum Bei­spiel auch an der Tat­sa­che, dass der Angriff der Eid­ge­nos­sen an der Schlacht von Mur­ten bewusst auf den Tag der zehn­tau­send Rit­ter gelegt wur­de, da an die­sem Tag schon die Schlacht bei Lau­pen sieg­reich geen­det hat­te. Der Bas­ler Haupt­mann Peter Rot schrieb am 18. Juni 1476 dem Bas­ler Rat, dass wohl «am 10’000-Rittertag gestrit­ten wer­de, weil da die hei­li­gen 10’000 Rit­ter … unse­re Für­bit­ter beim all­mäch­ti­gen Gott sind.» Und unmit­tel­bar nach der Schlacht schrieb er: «Wie hart und erbar­mungs­los der Angriff und die Schlacht ablie­fen, wol­len wir Euch nach der Rück­kehr berich­ten. Der ewi­ge all­mäch­ti­ge Gott, die wür­di­ge und keu­sche, rei­ne Jung­frau und Mut­ter Maria und die hei­li­gen 10’000 Mär­ty­rer haben für uns gefoch­ten, denn die Sache war nicht mensch­lich. Dem all­mäch­ti­gen Gott, sei­ner wür­di­gen Mut­ter und den hei­li­gen 10’000 Mär­ty­rern sei Lob und Dank, sei Lob und Ehre

Macht es über­haupt noch Sinn, heu­te auf die alteid­ge­nös­si­sche reli­giö­se Eigen­heit des Betens “mit zer­ta­nen Armen” ein­zu­ge­hen? — Durch­aus, denn einer­seits darf man nicht unter­schät­zen, welch inne­re Kraft ein tie­fes Ver­trau­en in gött­li­che Füh­rung frei­set­zen kann, und ande­rer­seits war sie nicht nur auf die mili­tä­ri­sche Ebe­ne beschränkt, son­dern scheint gera­de­zu ein natio­na­ler Gebets­ges­tus gewe­sen zu sein, wie Peter Och­sen­bein anhand des “Gros­sen Gebe­tes der Eid­ge­nos­sen” nach­ge­wie­sen hat. Der Chro­nist Niklaus Schra­din brach­te die­se Erfah­rung auf den Punkt, wenn er schrieb, die gnad got­tes mengklich wol trach­ten kan /dass die stergki nit flüsszdt ussz der eid­ge­nos­sen­schaft, /allein so hat sy von gott die kraft.

Guy P. Mar­chal: Die “stergki”, die “krafft”, die hier ange­spro­chen wird, ist jene der erfolg­rei­chen Waf­fen, jene der eid­ge­nös­si­schen Sie­ge. … Got­tes Gna­de und Kraft hat sich für alle erkenn­bar an den Eid­ge­nos­sen erwie­sen in den frü­he­ren Schlach­ten und auch jetzt wie­der im Schwa­ben­krieg. Das Got­tes­ur­teil der Schlacht hat gezeigt, dass Gott auf der Sei­te der Eid­ge­nos­sen steht.  … Natür­lich stell­ten die­se sieg­rei­chen Schlach­ten die Höhe­punk­te einer heroi­schen Epo­che dar. Aber sie hat­ten noch eine viel tie­fe­re Bedeu­tung: Sie waren der greif­ba­re Beweis dafür, dass man unter beson­de­rem gött­li­chen Schut­ze stand, dass man offen­sicht­lich wirk­lich das aus­er­wähl­te Volk war. Damit beinhal­te­ten die­se Sie­ge aber auch eine Recht­fer­ti­gung der beson­de­ren Ent­wick­lung der Eid­ge­nos­sen­schaft, die der Stän­de­ord­nung und der Ord­nung des christ­li­chen Regi­ments so entgegenlief.

Die­se Über­zeu­gung zeigt sich wun­der­schön bei den sog. T‑O-Kar­ten des Chro­nis­ten Albrecht von Bon­stet­ten, wo in einem Erd­kreis O die drei bekann­ten Erd­tei­le Afri­ka, Asi­en und Euro­pa ein­ge­schrie­ben wur­den. Für das christ­li­che Mit­tel­al­ter gilt: Welt­ge­schich­te ist Heils­ge­schich­te. Wo der waag­rech­te und der senk­rech­te Bal­ken zusam­men­kom­men, wird daher in der Regel Jeru­sa­lem ein­ge­zeich­net, — nicht aber bei Bon­stet­ten ( Kurt Mess­mer, Die Kunst des Mög­li­chen. Zur Ent­ste­hung der Eid­ge­nos­sen­schaft im 15. Jahr­hun­dert):

Wie unter einem Ver­grös­se­rungs­glas erscheint Euro­pa und wird sei­ner­seits drei­tei­lig abge­steckt. Die Alpen tren­nen Ita­li­en von Gal­li­en und Ale­man­ni­en … Für die vier­te Kar­te wählt Bon­stet­ten ein noch stär­ke­res Brenn­glas. Dar­un­ter erscheint die Eid­ge­nos­sen­schaft als Mit­tel­punkt des Erd­krei­ses, die Rigi, “Köni­gin der Ber­ge”, als Tem­pel­berg, wie man ihn von Jeru­sa­lem her kennt. Die­ser punct der zer­tei­lung sint gemein der Eyd­ge­nos­sen­schaft lan­den, gli­cher wis als das herz und der punkt des mit­tels. Die Eid­ge­nos­sen wer­den zum aus­er­wähl­ten Volk, zum Herz und Mit­tel­punkt der Welt.

Bon­stet­ten, Huma­nist und Dekan des Klos­ters Ein­sie­deln, — im Bild in Anbe­tung vor der Him­mels­kö­ni­gin Maria -, sowohl mit Kai­ser Fried­rich III., sei­nem Sohn Maxi­mi­li­an I. und König Lud­wig XI. von Frank­reich befreun­det, befreun­de­te sich also genau­so mit der gott­ge­woll­ten Exis­tenz der Eid­ge­nos­sen­schaft. Sein elsäs­si­scher Huma­nis­ten­ge­nos­se Jakob Wimp­fe­ling sah das aller­dings völ­lig anders. Im Zen­trum sei­ner lite­ra­ri­schen Feh­de: das eid­ge­nös­si­sche Gebet “mit zer­ta­nen Armen” …

Dar­über mehr in der nächs­ten Fol­ge am Don­ners­tag, den 16. Sep­tem­ber!

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