Eine solche hypothetische übergeordnete Instanz, die auch in der normativen Sphäre des Eigentums als Rechtsperson auftreten kann und durch eine Willensgemeinschaft — der Weltgesellschaft — anerkannt ist, gibt es tatsächlich:
… denn das gegenwärtige Rechtsinstitut der Vereinten Nationen … gründet auf einem Vertrag, der von allen Nationen des Erdballs geschlossen wurde, durch den sie zum einen als eigene und selbständige Rechtsperson anerkannt ist, und durch den zum anderen die Menschheit als Rechtsperson anerkannt worden ist: “We the peoples …” beginnt die UN-Charta analog zur amerikanischen Verfassung.
Mit der gemeinsamen vertraglichen Verpflichtung aller Nationen, auf die Ausübung der Gewalt gegeneinander zu verzichten, ist eine supranationale Rechtsperson entstanden, die Vereinten Nationen, die die Menschheit repräsentieren, deren zugehörige Sache, zunächst, der Frieden auf Erden ist, und die zu dessen Erhaltung “im Namen der Menschheit” handelt. (…)
Mit der Gründung verschiedener Kommissionen machten die Vereinten Nationen deutlich, dass sie als Person eigenen Rechts von ihrer Sache, dem Wohl der Menschheit, einen angemessenen Gebrauch machen wollen. Es konstituierte sich der Sicherheitsrat, dessen Aufgabe die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist. Der Wirtschafts- und Sozialrat wurde zuständige für die Zusammenarbeit aller Nationen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, die die Förderung des Lebensstandards, der Menschenrechte, der Kultur und Erziehung sowie der humanitären Hilfe umfasst, und hat dazu zahlreiche Kommissionen und Sonderorganisationen eingerichtet. Die Vereinten Nationen folgten mit der Einrichtung dieser Räte und Kommissionen einem Begriff von Eigentum, der die Sache des Eigentums als das Allgemeinwohl bestimmt, und der daraus hinsichtlich des Gebrauchs das Recht und die Pflicht der allgemeinen Vorsorge und Verwaltung … ableitet.
(Sämtliche Auszüge aus Alexander von Pechmann, Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert)
Wer diese Ausführungen von Pechmanns liest, den dürfte wohl der Gedanke beschleichen, dass heute in der UNO zwischen Anspruch und Realität eine gewaltige Lücke klafft. Man denke nur an den Sicherheitsrat, der in seiner jetzigen Form der ihm zugedachten Rolle bei weitem nicht mehr gerecht wird, — werden kann.
So kann man zwar durchaus zur Kenntnis nehmen, dass sich seit der Gründung 1948
die rechtliche Sache der Vereinten Nationen nicht mehr nur auf das Wohl der lebenden Menschheit beschränkte, sondern sich auf das Wohl der künftigen Generationen erweiterte und mit dieser Erweiterung die Erhaltung des “Erdsystems” zur Sache der Vereinten Nationen wurde, oder dass die UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987 erstmals “Nachhaltigkeit” als eine Entwicklung definiert hatte, “die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können”.
Oder man kann zur Kenntnis nehmen, dass sie 1992 feststellte, man dürfe die Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales nicht mehr isoliert betrachten. Oder dass sie 2015 beschloss,
den Planeten vor Schädigung zu schützen, unter anderem durch nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion, die nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und umgehende Massnahmen gegen den Klimawandel, damit die Erde die Bedürfnisse der heutigen und der kommenden Generationen decken kann.
Von Pechmann ist sich der oben angesprochenen gewaltigen Lücke zwischen Theorie und Praxis sehr wohl bewusst, aber es ist ihm nichtsdestotrotz wichtig darauf zu pochen,
dass die Menschheit, in Gestalt der Vereinten Nationen, von der Menschheit, in Gestalt aller vertragsabschliessender Nationen als rechtsetzender Willensgemeinschaft, als diejenige Rechtsperson anerkannt ist, der die von der Weltgesellschaft in Besitz genommene Erde als ihre Sache zugehört.
Sie ist rechtlich als Eigentümer der Erde anerkannt, um von ihrer Sache einen Gebrauch zu machen, der dem Wohl der Menschheit, der gegenwärtigen wie der zukünftigen Generationen, dient. (…)
Somit sind die Vereinten Nationen in der Sphäre des Rechts der allgemein anerkannte Eigentümer der Erde, der das Recht und die Pflicht hat, in der Sphäre des Besitzes das weltweite System der Produktion und Konsumtion der nützlichen Güter nach dem Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit und die weltweite Verteilung der nützlichen Güter nach dem Prinzip der sozialen Verträglichkeit zum Wohl der lebenden wie der kommenden Generationen zu gestalten.
Man ist geneigt, angesichts eines aggressiven Neoliberalismus und einer völlig aus den Fugen geratenen Finanzindustrie zusammen mit Faust auszurufen: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!
Alexander von Pechmann kommt auch seinerseits nicht um die Feststellung herum:
Wenn wir … fragen, welchen Gebrauch die Vereinten Nationen von ihrer Sache machen, so muss man allerdings feststellen, dass sie zwar formell das Recht haben, dass ihnen jedoch materiell die Mittel und damit die Macht fehlen, um von ihr einen tatsächlichen Gebrauch zu machen.
Das rechtliche Sollen und das physische Können fallen auseinander.
Wenn sich das so verhält: Wie weiter?
Dazu mehr in der nächsten Folge am kommenden Freitag, den 12. Mai.
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson / Fritz Brupbacher / A Basic Call to Consciousness / Leonhard Ragaz