Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebens­stan­dard, der Gesund­heit und Wohl für sich selbst und die eige­ne Fami­lie gewährleistet, ein­schließ­lich Nah­rung, Klei­dung, Woh­nung, ärztliche Ver­sor­gung und not­wen­di­ge sozia­le Leis­tun­gen gewährleistet sowie das Recht auf Sicher­heit im Fal­le von Arbeits­lo­sig­keit, Krank­heit, Invalidität oder Ver­wit­wung, im Alter sowie bei ander­wei­ti­gem Ver­lust sei­ner Unter­halts­mit­tel durch unver­schul­de­te Umstände.
So heisst es in Arti­kel 25 der All­ge­mei­nen Erklae­rung der Men­schen­rech­te von 1948.

Von der Ver­wirk­li­chung die­ses Rechts sind wir heu­te noch astro­no­misch weit entfernt.
Ein paar Bei­spie­le gefällig?
 Heu­te lebt unge­fähr ein Drit­tel der Welt­be­völ­ke­rung in den Slums von Mega- und Hyper­städ­ten (mit mehr als 20 Mil­lio­nen Ein­woh­nern). Zur­zeit wächt die Slum­be­völ­ke­rung welt­weit um 25 Mil­lio­nen pro Jahr.**
Das UN-Pro­jekt von 2015, dem Hun­ger in der Welt bis 2030 ein Ende zu set­zen, ist jetzt schon geschei­tert. Im Jah­re 2021 waren bis zu 828 Mil­lio­nen Men­schen unter­ernährt. 45% aller toten Kin­der sind an Man­gel­er­näh­rung gestorben.
2,6 Mil­li­ar­den leben ohne sani­tä­re Einrichtungen.
 Mehr als eine Mil­li­ar­de Men­schen haben kei­nen Zugang zu sau­be­rem Trink­was­ser. Täg­lich ster­ben 5000 Kin­der an Durch­fall­erkran­kun­gen nach dem Genuss von ver­un­rei­nig­tem Wasser.
Gemäss WHO ist ein Drit­tel aller Todes­fäl­le auf armuts­be­ding­te Ursa­chen wie Masern, Mala­ria oder Durch­fall zurückzuführen.

Sol­che Zah­len sind seit lan­gem bekannt, aber wir ver­drän­gen sie in der Regel, — oft ver­bun­den mit einem Gefühl der Ohn­macht: Was kön­nen wir als Ein­zel­ne denn tun, aus­ser ab und für Cari­tas, Brot für Brü­der, usw. zu spenden?

Wir kön­nen die bru­ta­le Armut tat­säch­lich nicht mit irgend­ei­nem Zau­ber­stab aus der Welt schaf­fen. Aber wir kön­nen — und wir haben die Pflicht dazu — uns mit den struk­tu­rel­len Ursa­chen für die­se Armut aus­ein­an­der­set­zen. Und da geht es, wenn wir nur tief genug boh­ren, “ans Ein­ge­mach­te” unse­rer aktu­el­len Eigentumsordnung.

Alex­an­der von Pech­mann unter­schei­det zwei Arten von Armut:
Die ers­te Art der Armut lässt sich als phy­si­sche Armut bezeich­nen, weil die Ursa­chen des Güter­man­gels empi­risch kon­sta­tier­ba­re Ereig­nis­se und Vor­gän­ge sind, - z.B. Miss­ern­ten, her­vor­ge­ru­fen durch kli­ma­ti­sche Ereig­nis­se wie Dürren.
Die zwei­te Armut hin­ge­gen lässt sich als “meta­phy­si­sche” Armut bezeich­nen, weil und inso­fern ihre Ursa­che das nor­ma­tiv Recht­li­che ist. Die­se Armut exis­tiert, weil der Aus­schluss von Besitz auf der Aner­ken­nung des pri­va­ten Eigen­tums­rechts durch eine Wil­lens­ge­mein­schaft grün­det. Sie exis­tiert, weil sie gewollt ist. (…) Unter den Bedin­gun­gen der gegen­wär­tig domi­nie­ren­den bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Eigen­tums­ord­nung ist es nun in der Tat so, dass die Ursa­che des man­geln­den Besit­zes an Gütern das Rechts­in­sti­tut des pri­va­ten Eigen­tums ist … Denn da sich die­se Eigen­tums­ord­nung … gera­de dadurch aus­zeich­net, dass in ihr im Bereich der Pro­duk­ti­on eine unge­ahn­te und unge­heu­re Men­ge von nütz­li­chen Gütern her­ge­stellt wird, kann der Man­gel an Gütern nicht oder nur in den sel­tens­ten Fäl­len phy­si­scher Natur sein, son­dern besteht in dem Recht der pri­va­ten Eigen­tü­mer, alle ande­ren vom Gebrauch der vor­han­de­nen Güter auszuschliessen. 

Der Klas­se der pri­va­ten Eigen­tü­mer, den Rei­chen also, steht not­wen­dig die Klas­se der Armen gegen­über, denen als Nicht-Eigen­tü­mern die Besitz­nah­me und der Gebrauch der pro­du­zier­ten Güter recht­lich ver­wehrt, d.h. ver­bo­ten ist. Wenn es daher so ist, dass über den gegen­wär­tig glo­bal pro­du­zier­ten Reich­tum die Klas­se der pri­va­ten Eigen­tü­mer als eine klei­ne Grup­pe der Welt­be­völ­ke­rung ver­fügt, dann ist umge­kehrt die Klas­se der Nicht-Eigen­tü­mer als gros­se Mas­se der Welt­be­völ­ke­rung vom Besitz und Gebrauch des pro­du­zier­ten Reich­tums ausgeschlossen. 

Erin­nern wir uns nun an die Tat­sa­che, dass — wie von Pech­mann hier aus­führt — in der bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­schen Eigen­tums­ord­nung zwei Arten des Eigen­tums exis­tie­ren. Das “Eigen­tum” der Armen sind ihre Fähig­kei­ten, die sie den Rei­chen als “Diens­te” zum Ver­kauf anbie­ten und so dank ihrem Lohn in den Besitz der nöti­gen Güter gelangen.

Und hier kommt der sprin­gen­de Punkt:
Sie gelan­gen jedoch nur dann in deren Besitz, wenn sie ihre Diens­te tat­säch­lich ver­kau­fen. Die­se Bedin­gung des Ver­kaufs ist aller­dings nur dann erfüllt, wenn der pri­va­te Eigen­tü­mer der Pro­duk­ti­ons­mit­tel ihre Arbeits­kraft kauft, um durch ihren Gebrauch zugleich sei­nen Wert zu ver­meh­ren. Kauft er sie nicht, bleibt der Arme zwar Eigen­tü­mer sei­ner inne­ren Fähig­kei­ten, aber ohne Zugang zum Besitz der äus­se­ren nöti­gen Güter. 

Dar­aus resul­tiert die Exis­tenz von drei Gruppen:
1. Die Grup­pe der Lohnarbeiter*innen, die durch den Ver­kauf ihrer Fähig­kei­ten als Arbeits­kraft in den Besitz der für ihr Leben nöti­gen Güter gelangen.
2. Die Grup­pe jener, die ihre Arbeits­kraft zwar ver­kau­fen, deren Lohn aber nicht hin­reicht, um in den Besitz der für ihr Leben nöti­gen Güter zu gelangen.
3. Die Grup­pe der Arbeits­lo­sen, die ihre Arbeits­kraft nicht ver­kau­fen und daher auch nicht in den Besitz der für ihr Leben not­wen­di­gen Güter gelangen.

Eine ähn­li­che Unter­schei­dung fin­det sich schon bei Karl Marx, der neben den Lohn­ar­bei­tern von einer “indus­tri­el­len Reser­ve­ar­mee” und einem “Inva­li­den­haus der akti­ven Arbei­ter­ar­mee” sprach.

Wie aber wird das Aus­mass der Armut auf die­ser Erde genau erfasst? Von Pech­mann sieht, wie schon bei der Welt der Rei­chen, gros­se Schwie­rig­kei­ten, aller­dings aus ande­ren Grün­den. Sie bestehen darin,
dass die Lage der Armen in der Regel beschö­nigt wird. Denn die Armut wird von staat­li­chen Behör­den erfasst, die das nahe­lie­gen­de Inter­es­se dar­an haben, das Aus­mass der Armut in ihren Län­dern zu ver­schlei­ern. Zu ihrer sta­tis­ti­schen Erfas­sung wer­den daher vor allem zwei indi­rek­te Metho­den ver­wen­det: die Erhe­bung des Umfangs der bestehen­den Arbeits­lo­sig­keit sowie der Höhe des ver­füg­ba­ren Geldes. 

Aber auch sie sind mit Tücken ver­bun­den. Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 24. März.

** Ein­drück­li­che Schil­de­run­gen sol­cher Slums in Süd­ame­ri­ka fin­den sich z.B. aktu­ell in den Repor­ta­gen von Josef Ester­mann im Info­sper­ber: Lima/Peru, Tumaco/Kolumbien

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