In der Sowjet­uni­on hat­ten die Sowjets — die Arbei­ter- und Sol­da­ten­rä­te — ihre Auto­no­mie schon bald an die bol­sche­wis­ti­sche Ein-Par­tei­en-Herr­schaft ver­lo­ren. Ein letz­tes Auf­bäu­men in der Kron­stadt Revo­lu­ti­on anfangs 1921 wur­de von Trotz­ki bru­tal nie­der­ge­schla­gen, — und damit die Hoff­nung auf einen frei­heit­li­chen Sozialismus.

Jugo­sla­wi­en ging nach dem zwei­ten Welt­krieg einen andern Weg. Zwar wur­den auch hier die Unter­neh­men ver­staat­licht, aber ver­bun­den mit dem Ver­such, das Prin­zip der Arbei­ter­selbst­ver­wal­tung in die Pra­xis umzu­set­zen. Und wie schon in Spa­ni­en mit der Aus­lö­schung der dor­ti­gen anar­chis­ti­schen Expe­ri­men­te ver­such­te Sta­lin auch in Jugo­sla­wi­en, das Land dem sowje­ti­schen Modell zu unter­wer­fen, indem es wegen “ideo­lo­gi­scher Abwei­chung” 1948 aus dem Kom­in­form aus­ge­schlos­sen wurde.

Im Gegen­satz zur strik­ten zen­tra­len staat­li­chen Pla­nung in der Sowjet­uni­on wur­de die Pro­duk­ti­on in der Eigen­tums­form der Pro­duk­ti­ons­kol­lek­ti­ve organisiert:
Die “Rech­nungs­füh­rung und Kon­trol­le” geschah in der Gestalt genos­sen­schaft­li­cher Selbst­ver­wal­tung: Die Arbeiter:innen ent­schie­den kol­lek­tiv über die Pro­duk­ti­ons­pla­nung, die Inves­ti­tio­nen und die Höhe der Löh­ne, und die Betriebs­lei­tung wur­de von den Arbeiter:innen selbst gewählt und kontrolliert.
((Sämt­li­che Aus­zü­ge aus Alex­an­der von Pech­mann, Die Eigen­tums­fra­ge im 21. Jahrhundert)

Das tönt aus frei­heit­li­cher sozia­lis­ti­scher Sicht aus­ge­spro­chen posi­tiv, — und ging trotz­dem schief, denn bei die­ser betrieb­li­chen Selbst­ver­wal­tung blie­ben sowohl die Koope­ra­ti­on zwi­schen den Pro­duk­ti­ons­ein­hei­ten als auch die Ver­tei­lung der Güter an die Kon­su­men­ten weit­ge­hend dem Markt­me­cha­nis­mus von Ange­bot und Nach­fra­ge über­las­sen. In der Fol­ge ver­schul­de­ten sich die Pro­duk­ti­ons­kol­lek­ti­ve bei den Ban­ken und muss­ten ihre Pro­duk­ti­on ein­stel­len. Wer Genaue­res über die Grün­de des Schei­terns des jugo­sla­wi­schen Expe­ri­ments wis­sen möch­te, fin­det eine gute Ein­füh­rung hier und hier.

Chi­na sei­ner­seits hat einen drit­ten Weg der “sozia­lis­ti­schen Markt­wirt­schaft” ein­ge­schla­gen, indem es die sozia­lis­ti­sche Eigen­tums­ord­nung mit Ele­men­ten des pri­va­ten Eigen­tums­rechts kom­bi­niert: Es gibt zwar wie in der Sowjet­uni­on Fünf­jah­res­plä­ne. Aber sie ent­hal­ten kei­ne detail­lier­ten Pro­duk­ti­ons­vor­ga­ben, son­dern for­mu­lie­ren ledig­lich Schwer­punk­te und Stra­te­gien der wirt­schaft­li­chen Entwicklung.
Als Kon­se­quenz die­ser Neu­be­stim­mung der Pla­nung exis­tiert in der Volks­re­pu­blik Chi­na seit dem Beginn der “Reform und Öff­nung” recht­lich eine Plu­ra­li­tät von Eigen­tums­for­men. Neben den gros­sen Unter­neh­men in staat­li­chem Eigen­tum gibt es For­men des kol­lek­ti­ven Eigen­tums in Gestalt dörf­li­cher oder fami­liä­rer Pro­duk­ti­ons­ge­nos­sen­schaf­ten ins­be­son­de­re im Agrar­be­reich sowie in wach­sen­dem Mas­se Unter­neh­men in pri­va­tem Eigen­tum. 2004 wur­de durch den Beschluss des Volks­kon­gres­ses der Schutz, aber auch die Kon­trol­le des pri­va­ten Sek­tors der Güter­her­stel­lung in der Ver­fas­sung ver­an­kert. (…) Auf die­se Wei­se unter­nimmt es die staat­li­che Füh­rung, die öko­no­mi­sche Ent­wick­lung einer­seits nach den staat­li­chen Vor­ga­ben der Fünf­jah­res­plä­ne, ande­rer­seits nach den Markt­me­cha­nis­men von Ange­bot und Nach­fra­ge zu orga­ni­sie­ren. 

Mit die­sem Kon­zept eines gemisch­ten Eigen­tums hat sich auch der Cha­rak­ter der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Chi­nas gewan­delt. Sie ver­steht sich nicht mehr aus­schliess­lich als die “Par­tei der Arbei­ter­klas­se”, son­dern als der poli­ti­sche “Trans­mis­si­ons­rie­men”, der zwi­schen den zen­tra­len Pla­nungs­vor­ga­ben des Staa­tes auf der einen Sei­te und den vie­len dezen­tra­len, regio­na­len, sek­to­ra­len und indi­vi­du­el­len Eigen­in­ter­es­sen und ‑initia­ti­ven auf der ande­ren Sei­te vermittelt. 

Chi­na ver­sucht also, mit der “sozia­lis­ti­schen Markt­wirt­schaft” die bei­den Extre­me einer zen­tra­len Pla­nung (Sowjet­uni­on) und einer dezen­tra­len Pro­duk­ti­ons­form  (Jugo­sla­wi­en) zusam­men mit der Aner­ken­nung des pri­va­ten Eigen­tums­rechts auch in der Pro­duk­ti­on so zu ver­knüp­fen, dass sie sich auf vor­teil­haf­te Wei­se ergänzen.
In die­sem Ver­fas­sungs­rah­men ist das pri­va­te Eigen­tum an den Pro­duk­ti­ons­mit­teln zwar recht­lich geschützt; ihr Gebrauch aber hat dem Wohl des Vol­kes zu dienen. 
Das Land hat sich mit die­sem Kon­zept inner­halb kur­zer Zeit zu einer der füh­ren­den Wirt­schafts­na­tio­nen entwickelt.

Was der poli­ti­sche Preis dafür ist, steht bekannt­lich auf einem ande­ren Blatt.

In der nächs­ten Fol­ge stel­len wir die Vor- und Nach­tei­le von pri­va­tem und Gemein­ei­gen­tum noch ein­mal gegen­über, bevor wir den Sprung in die kom­ple­xe glo­ba­le Wirt­schafts­welt des 21. Jahr­hun­derts wagen,  und dies wie immer in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 18. November.

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