Wladimir Iljitsch Lenin hat­te in seinen Werken propagiert, dass dem arbei­t­en­den Volk die Ver­fü­gungs­ge­walt über den natür­lichen Reich­tum und dessen pro­duk­tive Nutzung zukomme.
Und dieser Bere­ich, so der Zusam­men­hang von gesellschaftlich­er Pro­duk­tion und indi­vidu­eller Kon­sum­tion, habe nicht nur der Befriedi­gung der Bedürfnisse, son­dern, als kom­mu­nis­tis­ches Endziel, der “Sicherung der höch­sten Wohlfahrt und der freien all­seit­i­gen Entwick­lung aller Mit­glieder der Gesellschaft” zu dienen. (Sämtliche Auszüge aus Alexan­der von Pech­mann, Die Eigen­tums­frage im 21. Jahrhun­dert)

Eine hehre Zielset­zung. Die Frage drängte sich nun allerd­ings auf, wie und durch wen diese Ver­fü­gungs­ge­walt aus­geübt wer­den solle. Für Lenin war die Antwort klar: Sie sollte ein­er kleinen Elite, den Bolschewi­ki, zukom­men, welche die Pro­duk­tion zuhan­den des Volkes steuert und kon­trol­liert. In “Staat und Rev­o­lu­tion” hielt er fest:
Sozial­is­mus ist undenkbar … ohne plan­mäs­sige staatliche Organ­i­sa­tion, die Dutzende Mil­lio­nen Men­schen zur streng­sten Ein­hal­tung ein­er ein­heitlichen Norm in der Erzeu­gung und Verteilung der Pro­duk­te anhält. 

Aber wie soll­ten die pro­duzierten Güter gerecht verteilt wer­den? Sollte sich zum Beispiel das “Gesetz vom (pro­por­tionalen) Arbeit­saufwand” an der geleis­teten Arbeit­szeit oder an dem durch die Arbeit geschaf­fe­nen Wert ori­en­tieren?
Auch waren sich die Bolschewi­ki dur­chaus nicht einig, wo die Pro­duk­tion­ss­chw­er­punk­te zu liegen hät­ten. Förderung der Schw­erindus­trie? Steigerung der land­wirtschaftlichen Pro­duk­tion? Möglichst rasche Erfül­lung der Kon­sumwün­sche des arbei­t­en­den Volkes?

Josef Stal­in been­dete schliesslich diese Debat­ten um die Aus­gestal­tung ein­er sozial­is­tis­chen Ökonomie abrupt, indem er deklar­i­erte, dass die Regeln der Ökonomie in Zukun­ft durch die Parteiführung fest­gelegt und durch den Staat umge­set­zt und ver­wirk­licht wür­den.
“Ökonomis­che Geset­ze des Sozial­is­mus”, so das Lehrbuch “Die Pla­nung der Volk­swirtschaft der UdSSR”, “sind Geset­ze, die geschaf­fen und angewen­det wer­den durch den sow­jetis­chen Staat. Die Geset­ze wer­den durch die ökonomis­che Poli­tik der bolschewis­tis­chen Partei und der Sow­jet­macht beschlossen … Die staatlichen Pläne für die Entwick­lung der Volk­swirtschaft der UdSSR haben die Kraft ökonomis­ch­er Geset­ze.”

Die Fol­gen dieses Entschei­ds sind bekan­nt: Plan­wirtschaft! Gos­plan, das Komi­tee für die Wirtschaft­s­pla­nung der Sow­je­tu­nion, stellte nun jew­eils Fün­f­jahre­s­pläne auf, welche die Vor­gaben für zu erbrin­gende Pro­duk­te und Dien­stleis­tun­gen sowie die Zuweisun­gen der erforder­lichen Ressourcen und Fonds bein­hal­teten, und die zugle­ich die ökonomis­chen Kennz­if­fern wie Menge der Investi­tio­nen, Höhe der Pro­duk­t­preise sowie der Löhne für die geleis­teten Arbeit­en festschrieben. 

Die Fol­gen dieser Plan­wirtschaft sind eben­falls bekan­nt: Bru­tale Umwand­lung des land­wirtschaftlichen Sek­tors gegen den Willen der Bauern (Kol­cho­sen, Sow­cho­sen), eine Indus­tri­al­isierung,  die durch Hun­dert­tausende von Ver­ban­nten in Straflagern uner­bit­tlich vor­angetrieben wurde und die zu grossen Hunger­snöten führte (Stal­in exportierte den Grossteil des Getrei­des, um Maschi­nen importieren zu kön­nen), — und ganz entschei­dend: das langsame Abwür­gen der indi­vidu­ellen Moti­va­tion und Ini­tia­tive in der Bevölkerung.

Wo lag der Denk­fehler der kom­mu­nis­tis­chen Parteiführung?
Natür­lich in der Überzeu­gung, sie allein sei berechtigter Repräsen­tant und Exeku­tor des Wil­lens des arbei­t­en­den Volkes. Es sei die Auf­gabe der Staats­macht, das Wohl des Volkes als rechtlichem Eigen­tümer plan­mäs­sig zu erhal­ten und zu fördern. Dem Staat — sprich: der Sow­jet­macht — komme alle Gewalt zu.

Es gibt kein besseres Beispiel, um diesen Irrweg deut­lich zu machen, als das anar­chis­tis­che Exper­i­ment, das in den 30er-Jahren kurz vor dem Aus­bruch des Bürg­erkriegs in Spanien stat­tfand. Innert kürzester Zeit entwick­el­ten sich vor allem ent­lang der spanis­chen Mit­telmeerküste blühende Kom­munen, welche die Pro­duk­tion­s­mit­tel eben­falls kollek­tiviert hat­ten. Der entschei­dende Unter­schied: Der Entschluss zur Kollek­tivierung kam von unten her als freie und bewusste Entschei­dung der dort leben­den Bevölkerung. Die zwar schon etwas in die Jahre gekommene Arte-Doku­men­ta­tion “Die Utopie leben! Anar­chis­mus ins Spanien” zeigt dies auf ein­drück­liche Weise.

Das spanis­che anar­chis­tis­che Exper­i­ment dauerte nur ein paar Jahre. Aber der Toten­gräber war nicht Gen­er­al Fran­co, der Spanien in eine faschis­tis­che Dik­tatur ver­wan­delte, son­dern — Josef Stal­in. Er befahl den spanis­chen Kom­mu­nis­ten, das Exper­i­ment mit Waf­fenge­walt zer­schla­gen. Zu gefährlich …

Alexan­der von Pech­mann schlägt in seinem Buch deshalb vor, das sow­jetis­che Mod­ell des “Staatssozial­is­mus”  — also der ein­heitlichen und zen­tralen Staat­sor­gan­i­sa­tion — in Beziehung zur “ori­en­tal­is­chen Despotie” als Form des Gemeineigen­tums zu set­zen. Denn auch die Sow­je­tu­nion kan­nte einen kul­tisch über­höht­en Ober­her­rn, der mit­tels staatlich­er Bürokratie für das Wohl seines Volkes sorgt.

Es gab inner­halb des kom­mu­nis­tis­chen Macht­bere­ichs aber auch andere sozial­is­tis­che Exper­i­mente, zum Beispiel in Jugoslaw­ien.

Dazu mehr in der näch­sten Folge am Fre­itag, den 11. Novem­ber

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