Gegen­über den bis­her skiz­zier­ten — also der römi­schen und der christ­lich-feu­da­len Eigen­tums­ord­nung — zeich­net sich die bür­ger­li­che Eigen­tums­ord­nung zunächst dadurch aus, dass in ihr jeder Mensch, ohne Anse­hen der Per­son, Eigen­tü­mer einer Sache sein kann. War die Anzahl von Men­schen, die Eigen­tü­mer waren, bis­lang durch Geburt und Stand bestimmt und begrenzt, sind in der bür­ger­li­chen Rechts­ord­nung zwar kei­nes­wegs alle Men­schen Eigen­tü­mer, aber sie kön­nen alle Eigen­tü­mer sein. (Sämt­li­che Aus­zü­ge aus Alex­an­der von Pech­mann, Die Eigen­tums­fra­ge im 21. Jahrhundert)

Das tönt ja gut, aber es stellt sich jetzt natür­lich die Fra­ge, wie man von einem poten­ti­el­len Eigen­tü­mer zu einer wirk­li­chen Eigen­tü­me­rin wird.
Denn so klar bestimmt auch der Per­so­nen­kreis zu sein scheint — “jeder Mensch” — so pro­ble­ma­tisch ist aller­dings, was ers­tens der Grund oder die Ursa­che dafür ist, dass die Sache dem Eigen­tü­mer zuge­hört, und zwei­tens der Inhalt der Sache ist, die ihm zuge­hört. Denn die Sache ist nicht, wie in der römi­schen Rechts­ord­nung, “das Haus”, über das der Eigen­tü­mer qua Geburt und Her­kunft ver­fügt; sie ist aber auch nicht, wie in der feu­da­len, ein über­tra­ge­nes Gut, das den Eigen­tü­mer nach natür­li­chem Recht auf das Gemein­wohl ver­pflich­tet.

John Locke, der gros­se eng­li­sche Arzt, Phi­lo­soph und Auf­klä­rer, gab als ers­ter eine kla­re Ant­wort auf die­se Fra­ge. Das Recht auf pri­va­tes Eigen­tum lei­tet sich von der Arbeit her. Sei­ne Über­le­gung ging so:
Zwar hat Gott die Erde den Men­schen gemein­sam zum Besitz gege­ben. Aber dadurch, dass ich etwa den Apfel vom Baum pflü­cke oder den Fisch aus dem Was­ser zie­he, ver­än­de­re ich ihren natür­li­chen Zustand und füge den Din­gen etwas hin­zu. Der Apfel … gelangt so nicht nur in mei­nen phy­si­schen Besitz; er wird zugleich recht­lich mein Eigen­tum, weil ich sei­nen Zustand durch mei­ne Hand­lung, das Pflü­cken, ver­än­dert habe. Durch die­se Hand­lung habe ich das natür­li­che Ding in eine Sache ver­wan­delt, die recht­lich mir zugehört. 

In die­sem Apfel ist jetzt sozu­sa­gen mei­ne Arbeit ent­hal­ten. Durch die Arbeit wird den Din­gen etwas von der Per­son hin­zu­ge­fügt: Die Per­son “ver­ge­gen­ständ­licht” sich gleich­sam in ihnen, und die­se wer­den dadurch ein Teil von ihr … Und es ist die­se — nen­nen wir es — “Ich­haf­tig­keit”, durch die äus­se­re Din­ge zu einer untrenn­bar pri­va­ten Sache wer­den. Für Locke grün­det daher das Recht auf pri­va­tes Eigen­tum nicht auf einem Ver­trag, son­dern geht jedem Ver­trag vor­aus; es ist ein “natür­li­ches” durch die eige­ne Arbeit erwor­be­nes Recht, das zugleich das Recht auf gemein­sa­men Besitz aus­schliesst. Ein Ein­griff in das pri­va­te Eigen­tum ist folg­lich ein Angriff auf die Per­son selbst, der daher ver­ur­teilt und bestraft wer­den muss. 

Wäh­rend also bis anhin der Wert von Gütern an ihrer Nütz­lich­keit bemes­sen wur­de, bemisst sich nach Locke der Wert an der in ihnen ent­hal­te­nen Arbeit. Und die­sen Wert kann man mit­tels der Geld­wirt­schaft mes­sen und rea­li­sie­ren: Denn indem man über­ein­kam, gewis­sen nutz­lo­sen, aber blei­ben­den Din­gen wie Gold und Sil­ber einen Wert zu ver­lei­hen, konn­te man den Wert der nütz­li­chen Din­ge durch ihren Ver­kauf “ver­sil­bern” (…) Auf­grund die­ser Über­ein­kunft stellt sich der durch Arbeit geschaf­fe­ne Wert der Güter im Geld dar.

Locke unter­schied also Nütz­lich­keit und Wert: Wäh­rend die Nütz­lich­keit eines Gutes dar­in besteht, es zu gebrau­chen oder zu kon­su­mie­ren, besteht der Gebrauch hin­sicht­lich des Wer­tes dar­in, ihn durch erneu­te Arbeit zu ver­meh­ren. Doch das führt zwangs­läu­fig zu unter­schied­lich gros­sem Eigentum.

Bei der Fra­ge nun, ob die­ser Unter­schied in der Eigen­tums­grös­se zwi­schen den Men­schen rech­tens sei, ist der cal­vi­nis­ti­sche Ein­fluss auf sein Den­ken nicht zu übersehen:
Gott hat die Welt zwar den Men­schen gemein­sam gege­ben, aber den Fleis­si­gen und Ver­stän­di­gen zu ihrem Nut­zen. Je gott­ge­fäl­li­ger und fleis­si­ger daher einer ist, des­to grös­ser wird auch der Wert sei­nes Eigen­tums. Mit der Ein­füh­rung des Gel­des nun aber haben die Men­schen aus zuge­stimmt, dass der Arbeit­sa­me über ein Mehr an Eigen­tum ver­fü­gen kann, als er selbst zu nut­zen ver­mag. (…) Der mit die­ser Wert­ver­meh­rung ent­ste­hen­den Ungleich­heit der Ver­mö­gen aber, so endet Lockes Grund­le­gung des pri­va­ten Eigen­tums, haben die Men­schen zuge­stimmt, indem sie in den Gebrauch des Gel­des als Trä­ger des Werts ein­wil­lig­ten. Die ste­te Ver­meh­rung des pri­va­ten Eigen­tums, so das Fazit, ist also nichts Wider­na­tür­li­ches und Wider­recht­li­ches, son­dern ist im Gegen­teil sowohl der von Gott gege­be­ne Auf­trag an die Fleis­si­gen und Ver­stän­di­gen als auch die von Men­schen all­ge­mein gebil­lig­te Pra­xis. ...
Das Mehr-Arbei­ten und Mehr-Erwer­ben ist also nicht mehr Fol­ge einer unmo­ra­li­schen Besitz­gier, son­dern Aus­druck gott­ge­fäl­li­gen Lebens.

Doch zurück zur obi­gen Apfel-Pflück-Geschich­te. Was aber mache ich, wenn sich sämt­li­che Apfel­bäu­me schon in ande­rem Besitz befinden?

Die­ser Fra­ge gehen wir in der nächs­ten Fol­ge nach, und dies wie immer in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 14. Oktober

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