In den 70er- und 80er-Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts ging eine Art Weck­ruf durch die indi­ge­nen Gemein­schaf­ten Nord­ame­ri­kas, spä­ter auch in Süd­ame­ri­ka. Es war, wie wenn sie aus einer tie­fen Lethar­gie der Ver­zweif­lung wie­der zu neu­em Selbst­be­wusst­sein erwa­chen würden.
Dele­ga­ti­on auf Dele­ga­ti­on klopf­te in Genf bei der Men­schen­rechts­kom­mis­si­on an und poch­te auf Selbst­be­stim­mung und Wie­der­gut­ma­chung all des Unrechts, dass den indi­ge­nen Gemein­schaf­ten durch die weis­sen Sied­ler ange­tan wor­den war.

In den USA bil­de­te sich das Ame­ri­can Indian Move­ment (AIM), in dem jun­ge rebel­li­sche Indi­ge­ne aus den Städ­ten auf ihre Rech­te poch­ten. Im Elders Coun­cil tra­fen sich älte­re Trä­ger ihrer jewei­li­gen spi­ri­tu­el­len Tra­di­ti­on, um die fast ver­lo­ren gegan­ge­ne Weis­heit ihrer Gemein­schaf­ten wie­der leben­dig wer­den zu las­sen und einer jün­ge­ren Genera­ti­on weiterzugeben.

Par­al­lel dazu kam es in der Schweiz und Euro­pa zur Grün­dung von Unter­stüt­zungs­grup­pen wie INCOMINIDIOS oder die Gesell­schaft für bedroh­te Völ­ker.

Als beson­ders aktiv erwies sich ein Autoren­kol­lek­tiv der Mohawk Nati­on, eines der Mit­glie­der der Iro­ke­sen-Kon­fö­de­ra­ti­on, das ab 1970 die “Akwe­sas­ne Notes” her­aus­gab, eine Zeit­schrift, in der Geschich­te, Pro­ble­me und Zukunfts­per­spek­ti­ven der indi­ge­nen Gemein­schaf­ten in Nord­ame­ri­ka inten­siv dis­ku­tiert wur­den. Ange­sichts der vie­len Miss­ver­ständ­nis­se, denen sie sich von sei­ten der weis­sen Nord­ame­ri­ka­ner aus­ge­setzt sahen, und um ihre Welt­sicht und Kri­tik an der Zivi­li­sa­ti­on der Weis­sen dar­zu­le­gen, stell­ten sie 1977 ihren Auf­ruf an die west­li­che Welt vor: A Basic Call to Con­scious­ness . The Hau de no sau nee Address to the Wes­tern World.

Seit­her sind 45 Jah­re ver­gan­gen, aber was sie zu sagen haben, ist heu­te aktu­el­ler denn je. Im Klap­pen­text hiel­ten sie fest:

Die Hau de no sau nee — die Kon­fö­de­ra­ti­on der Sechs Natio­nen oder Iro­ke­sen — waren einst ein mäch­ti­ges Volk, das im nord­öst­li­chen Teil des nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents leb­te. “Hau de no sau nee” bedeu­tet “Leu­te, die bau­en” und ist der Eigen­na­me des Vol­kes des Lang­hau­ses: der Mohawks, Oneid­as, Onon­da­gas, Cayu­gas, Sene­cas und der Tuscaroras.
Die Lebens­wei­se des Vol­kes des Lang­hau­ses war schon immer zutiefst spi­ri­tu­ell: ihre Regie­rung, ihre Wirt­schaft, alles, was Hau de no sau nee ist, hat tie­fe spi­ri­tu­el­le Wur­zeln. Ihr Gro­ßes Gesetz ent­hielt vie­le Ideen, die in der Ver­fas­sung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten ver­an­kert wur­den. Dazu gehör­te auch ein Sys­tem der gegen­sei­ti­gen Kon­trol­le, das die Ent­ste­hung einer ver­ti­ka­len Hier­ar­chie mit den damit ver­bun­de­nen Kon­flik­ten verhinderte.
Im Sep­tem­ber 1977 stell­ten die Hau de no sau nee die in die­sem Buch ent­hal­te­nen Aus­füh­run­gen den Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen der Ver­ein­ten Natio­nen in Genf, Schweiz, vor. Die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen hat­ten um Tex­te gebe­ten, die die Bedin­gun­gen der Unter­drü­ckung der Urein­woh­ner Ame­ri­kas beschreiben.

Die­se Posi­ti­ons­pa­pie­re ver­mit­teln den Stand­punkt der Natur­völ­ker des Pla­ne­ten: Die Men­schen miss­brau­chen sich gegen­sei­tig, den Pla­ne­ten, auf dem sie leben, und sich sel­ber. Die Zer­stö­rung der natür­li­chen Welt und ihrer Völ­ker ist der deut­lichs­te Indi­ka­tor für die geis­ti­ge Armut der Mensch­heit. Dies ist eine Anspra­che an die west­li­che Welt, die die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on ein­deu­tig als den Urhe­ber die­ses Miss­brauchs der Mensch­heit und der Natur identifiziert.
Die Posi­ti­on der Hau de no sau nee wird aus der Per­spek­ti­ve eines Vol­kes vor­ge­tra­gen, des­sen his­to­ri­sche Wur­zeln Zehn­tau­sen­de von Jah­ren zurück­rei­chen. Es ist eine geo­lo­gi­sche Per­spek­ti­ve, in der der moder­ne Mensch ein Klein­kind ist, das nur ein klei­nes Fleck­chen Zeit im rie­si­gen Spek­trum der mensch­li­chen Erfah­rung ein­nimmt. Es ist gewis­ser­ma­ßen die moder­ne Welt mit den Augen des Pleis­to­zäns gesehen.

Dies ist ein Auf­ruf zu einem Bewusst­sein für das Hei­li­ge Netz des Lebens im Universum.

Kri­tik lässt man sich in der Regel nicht so gern gefal­len. Und schon gar nicht von Gemein­schaf­ten, deren sozia­le Orga­ni­sa­ti­on man lan­ge Zeit als rück­stän­dig betrach­te­te und des­halb nicht ernst zu neh­men brauch­te. Erst in jün­ge­rer Zeit fin­gen His­to­ri­ker und Eth­no­lo­gen an, z.B. den Anspruch der Iro­ke­sen, sub­stan­ti­ell zur Ent­ste­hung der ame­ri­ka­ni­schen Demo­kra­tie bei­getra­gen zu haben, genau­er zu unter­su­chen — und zu bestä­ti­gen. Der aktu­el­le Best­sel­ler “Anfän­ge” von Graeber/Wengrow ist das bes­te Bei­spiel dafür, dass die Geschich­te indi­ge­ner Gemein­schaf­ten neu geschrie­ben wer­den muss. Denn bekannt­lich gilt immer noch: Geschich­te schreibt der Sieger …

Wo und wann die geneig­te Lese­rin und der geneig­te Leser den Aus­füh­run­gen — und Ankla­gen — in “Basic Call of Con­scious­ness” zustim­men wird oder nicht,  ist offen. Anre­gend und oft nach­denk­lich stim­mend wird die Lek­tü­re mit Sicher­heit sein. Ab mor­gen geht’s los 🙂

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A Basic Call to Consciousness 2

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