Unsere Medi­en­land­schaft ist zwar ein­deutig vielfältiger und kri­tis­ch­er als in den USA. Hochqual­i­fizierte Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten regen täglich zum Denken und Hin­ter­fra­gen an, — meinte der birsfaelder.li-Schreiberling in sein­er Besprechung zum Buch “Umgekehrter Total­i­taris­mus” im Hin­blick auf die Frage, wie gut die Demokratie in der Schweiz funktioniert.

Kleinere, aber inves­tiga­tive und unab­hängige Medi­en wie etwa die REPUBLIK, die WoZ oder der von der gemein­nützi­gen «Schweiz­erische Stiftung zur Förderung unab­hängiger Infor­ma­tion»SSUI betriebene Infos­per­ber zeu­gen davon. Aber das ist — lei­der — nicht die ganze Wahrheit.

Am 20. und 21. Feb­ru­ar erschienen in der Süd­deutschen Zeitung weit über 30 Artikel, — alle zum gle­ichen The­ma: Swiss Secrets, der neueste Skan­dal in der skan­dal­ge­plagten Cred­it Suisse. Über einen anony­men dig­i­tal­en Briefkas­ten waren der Zeitung ein Jahr zuvor über 30’000 Kon­to­dat­en zuge­spielt worden:
Die Nachricht der anony­men Quelle erre­icht die Süd­deutsche Zeitung ver­schlüs­selt, über den dig­i­tal­en Briefkas­ten der Redak­tion. „Secure Drop“ heißt die Anwen­dung, „Sicher­er Abwurf“, die von der Free­dom of the Press Foun­da­tion des Whistle­blow­ers Edward Snow­den weit­er­en­twick­elt und ver­bre­it­et wird. Jed­er Infor­mant bekommt von diesem Pro­gramm einen zufäl­lig gewählten Namen zugewiesen. Die Per­son, die ihre Infor­ma­tio­nen über eine Schweiz­er Bank bei der SZ deponierte, erschien im Sys­tem als „Soporif­ic Debtor“ — „Ein­schläfer­n­der Schuldner“.
Was sie dort vor gut einem Jahr hin­ter­lässt, ist allerd­ings alles andere als ein­schläfer­nd — es sind Tausende geheime Dat­en aus der Cred­it Suisse, ein­er der größten Banken der Welt.

Die anonyme Quelle lieferte auch gle­ich noch die Begrün­dung für diesen Schritt:
Ich glaube, dass das Schweiz­er Bankge­heim­nis unmoralisch ist. Der Vor­wand, die finanzielle Pri­vat­sphäre zu schützen, ist lediglich ein Feigen­blatt, um die schändliche Rolle der Schweiz­er Banken als Kol­lab­o­ra­teure von Steuer­hin­terziehern zu ver­schleiern. Auch wenn der Com­mon Report­ing Stan­dard [CRS, ein Ver­fahren zum inter­na­tionalen Bank­date­naus­tausch; Anmerkung der Redak­tion] ein Schritt in die richtige Rich­tung ist, um Steuer­hin­terziehung zu ver­hin­dern, fall­en viele Entwick­lungslän­der nicht unter dieses Abkom­men. Darüber hin­aus stellt das CRS-Erforder­nis der Gegen­seit­igkeit eine unver­hält­nis­mäßige finanzielle und infra­struk­turelle Belas­tung für die Entwick­lungslän­der dar, sodass sie auf abse­hbare Zeit von diesem Sys­tem aus­geschlossen bleiben. Diese Sit­u­a­tion ermöglicht Kor­rup­tion und bringt die Entwick­lungslän­der um drin­gend benötigte Steuere­in­nah­men. Diese Län­der sind also die Hauptlei­d­tra­gen­den der Schweiz­er Umkehrung des Robin-Hood-Prinzips.

Ein Jahr lang unter­sucht­en daraufhin 160 Jour­nal­is­ten und Jour­nal­istin­nen aus 40 Medi­en­häusern — darunter “Le Monde”, “The Guardian” und die “New York Times” — in Zusam­me­nar­beit mit dem OCCRP (Orga­nized Crime and Cor­rup­tion Report­ing Project) das Material.

Mitar­beit von Seit­en der Schweiz­er Medi­en: gle­ich null.

Der Grund ist bekan­nt. Schweiz­er Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten laufen auf­grund des 2015 in Kraft getrete­nen Bankenge­set­zes Gefahr, bis zu drei Jahren hin­ter Git­ter zu wan­dern, falls sie an der Veröf­fentlichung von Bank­dat­en mitwirken:
Im Jahr 2010 gab es einen Daten­klau, bei welchem CDs mit Dat­en von Bankkun­den, die Steuer­hin­terziehung betrieben haben, nach Deutsch­land gelangten, wo man diese aus­gew­ertet hat. Viele der betrof­fe­nen Bankkun­den haben sich fol­gend selb­st angezeigt, um einem Strafver­fahren zu ent­ge­hen und haben die Steuern nachgezahlt. Das war ein gross­es Ereig­nis und in der Schweiz war man sehr empört. In Deutsch­land hat man aber gerichtlich fest­gestellt, dass das recht­ens war.
Daraufhin hat die FDP eine par­la­men­tarische Ini­tia­tive ein­gere­icht, dass man das Bankenge­setz in diesem Punkt ver­schärft, was dann 2015 beschlossen wurde. Die Medi­en haben offen­sichtlich nicht gemerkt, welche schw­eren Fol­gen dies für den Jour­nal­is­mus hat. (Roger Blum in einem SRF-Interview)

Der OCCRP-Report ist eine ziem­lich bee­len­dende Lektüre.

Aber noch bee­len­den­der ist im Grunde die Tat­sache, dass unser Par­la­ment die Inter­essen der Banken immer noch über die Inter­essen ein­er wirk­lich offe­nen Demokratie stellt. Welch dun­kle Rolle Schweiz­er Banken in der Zwis­chenkriegszeit gespielt haben, kann man im birsfaelder.li hier nach­le­sen. Tame­dia-Chefredak­teur Arthur Rutishauser: Offen­bar zählt im Zweifel noch immer das Geschäft, nicht das Gesetz. Genau darum braucht es auch in der Schweiz Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten, die recher­chieren dür­fen. Dass das nur aus­ländis­che Kol­le­gen für uns erledi­gen müssen, ist eine Schande.

Im Rechen­schaft­s­text der anony­men Quelle ste­ht weiter:
Ich möchte beto­nen, dass die Ver­ant­wor­tung für diesen Zus­tand nicht bei den Schweiz­er Banken liegt, son­dern beim Schweiz­er Rechtssys­tem. Die Banken sind ein­fach gute Kap­i­tal­is­ten und max­imieren ihre Gewinne inner­halb des geset­zlichen Rah­mens, in dem sie operieren. Ein­fach aus­ge­drückt: Die Schweiz­er Geset­zge­ber sind für die Ermöglichung von Finanzkrim­i­nal­ität ver­ant­wortlich, und das Schweiz­er Volk hat auf­grund sein­er direk­ten Demokratie die Möglichkeit, etwas dage­gen zu unternehmen.

Die Bankiervere­ini­gung hat den Suisse-Secrets-Recherche­ver­bund selb­stver­ständlich hart kri­tisiert. In einem Kom­men­tar der CH-Media-Gruppe wird von “fehlgeleit­etem Rudeljour­nal­is­mus” gesprochen, der nur warme Luft pro­duziert habe. Und wie reagierte die Politszene?
Während linke Schweiz­er Poli­tik­erin­nen und Poli­tik­er die Enthül­lun­gen gle­ich am Mon­tag zum Anlass nah­men, neue Vorstöße zur Ver­schär­fung der Banken­regeln im Par­la­ment vorzu­bere­it­en, äußerten sich Poli­tik­er aus der FDP und der recht­skon­ser­v­a­tiv­en SVP kri­tisch zu den Suisse Secrets.
“Die Fälle, die hier gezeigt wer­den, reflek­tieren eine alte Welt” sagte der FDP-Stän­der­at Rue­di Noser der SZ. “Tat­sache ist aber, dass sich das geze­ich­nete Bild wed­er mit dem heuti­gen Finanz­platz Schweiz noch mit der heuti­gen Cred­it Suisse deckt.”
Der Ver­leger, Jour­nal­ist und SVP-Abge­ord­nete Roger Köp­pel wütete in seinem Video-For­mat “Welt­woche Dai­ly” regel­recht gegen die SZ, “ein ganz linkes Blatt”, deren Jour­nal­is­ten “ihre linke Pri­vat­moral” über alles set­zen und nicht ver­ste­hen wür­den, dass das Bankkun­denge­setz “eine zivil­isatorische Errun­gen­schaft” gewe­sen sei, das dem Schutz der Pri­vat­sphäre gedi­ent habe.
(Süd­deutsche Zeitung, Scharfe Kri­tik aus der Schweiz an SZ-Enthüllungen)

Wir erin­nern uns: Poli­tik­er wie Rue­di Noser oder Roger Köp­pel bekämpften vor nicht allzu langer Zeit auch vehe­ment die Konz­ern­ver­ant­wor­tungsini­tia­tive. Hon­ni soit qui mal y pense.

Man darf auf die Fort­set­zung der Geschichte ges­pan­nt sein.

P.S. Hier ein guter Kom­men­tar auf Infosperber.

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