Heute ver­lassen wir die Gedankengänge von Daniel Loick in “Miss­brauch des Eigen­tums” und wen­den uns im Zusam­men­hang mit den in der let­zten Folge erwäh­n­ten gesellschaft­spoli­tis­chen Exper­i­menten (Anar­chis­mus in Spanien, Kib­buz­im in Israel) einem Autor zu, der wie kein zweit­er das Span­nungs­feld zwis­chen “Haben” und “Sein” aus­lotete: Erich Fromm, einem der wichtig­sten Psy­cho­an­a­lytik­er und Philosophen des 20. Jahrhun­derts.

Fromm hat sich mit dem The­menkom­plex in zweien sein­er Werke auseinan­derge­set­zt: Im 1976Taschenbuch Haben oder Sein von Erich Fromm veröf­fentlicht­en “Haben oder Sein”, später gefol­gt von “Vom Haben zum Sein”.

Er ist der auch von Loick aufge­wor­fe­nen Frage, inwiefern Besitz nicht zu inner­er Frei­heit, son­dern zu inner­er Ver­sklavung führt, inten­siv nachge­gan­gen. So unter­schei­det er z.B. “funk­tionales” und “insti­tu­tion­al­isiertes Eigen­tum”, und fällt über let­zteres ein ver­nich­t­en­des Urteil:
Funk­tionales Eigen­tum ist ein exis­ten­zielles und aktuelles Bedürf­nis des Men­schen; insti­tu­tion­al­isiertes Eigen­tum hinge­gen befriedigt ein pathol­o­gis­ches Bedürf­nis, das durch bes­timmte sozio-ökonomis­che Umstände bed­ingt wird.
Jed­er Men­sch muss einen Kör­p­er haben, ein Dach über dem Kopf, Werkzeuge,Kartonierter Einband Vom Haben zum Sein von Erich FrommWaf­fen, Gefässe. Diese Dinge braucht er zu seinem biol­o­gis­chen Über­leben; andere Dinge braucht er zu seinem geisti­gen Über­leben, Orna­mente, Schmuck­stücke, kün­st­lerische und “heilige” Gegen­stände sowie die Werkzeuge, um diese herzustellen. Sie sind zwar Besitz in dem Sinne, dass ein Einzel­ner sie auss­chliesslich benutzt, aber sie sind den­noch funk­tionales Eigen­tum.

Funk­tionales Eigen­tum erlaubt uns die kreative Gestal­tung unseres Lebens, aber in unser­er mod­er­nen Kon­suma­tion­s­ge­sellschaft taucht auch eine neg­a­tive Seite auf:
Je weit­er sich eine Zivil­i­sa­tion entwick­elt, desto stärk­er wächst auch das funk­tionale Eigen­tum an Din­gen. Der Einzelne mag ver­schiedene Anzüge oder Klei­der haben, ein Haus, Arbeit sparende Geräte, Radio- und Fernse­hgeräte, Plat­ten­spiel­er und Plat­ten, Büch­er, Ten­niss­chläger oder Ski­er. (Man merkt, dass der Text aus dem Jahre 1976 stammt 😉 ). Alles, was er besitzt, muss in sein­er Bedeu­tung nicht ver­schieden sein von den funk­tionalen Besitzge­gen­stän­den, die wir in prim­i­tiv­en Kul­turen find­en. Es muss es nicht, doch es ist es oft. Der Wan­del in der Funk­tion der Besitzge­gen­stände tritt dort ein, wo das, was man besitzt, kein Mit­tel mehr für grössere Lebendigkeit und Pro­duk­tiv­ität ist, son­dern nur noch dem pas­siv-rezep­tiv­en Kon­sum­ieren dient.

Bekommt das Haben die bevorzugte Funk­tion, das Bedürf­nis nach immer noch mehr Kon­sum zu befriedi­gen, dann hört es auf, eine Bedin­gung für eine Ver­stärkung der Ori­en­tierung am Sein zu sein, und unter­schei­det sich grund­sät­zlich nicht von ein­er Ori­en­tierung, bei der alles getan wird, um den Besitz­s­tand zu wahren. (…)

Funk­tionales Haben bleibt also nur insofern funk­tion­al, als es einem pro­duk­tiv­en Gebrauch dient. Wenn nicht, wird es zu ein­er Spielart des besit­zori­en­tieren Habens:
(Es) dient nicht nur dem Gewinn ohne eigene Anstren­gung, son­dern kann auch noch andere Funk­tio­nen haben. In ein­er Gesellschaft, in der sich alles um Besitz dreht, gibt totes Eigen­tum seinem Besitzer zuerst und vor allem Macht. Wer viel besitzt, ist gewöhn­lich auch poli­tisch mächtig; wer mächtig ist, scheint auch ein gross­er Men­sch zu sein. Die Leute bewun­dern seine Grösse, weil sie lieber jeman­den bewun­dern als ihn fürcht­en. Der Reiche und Mächtige kann Ein­fluss nehmen, indem er die anderen entwed­er ein­schüchtert oder sie kauft.
(sämtliche Auszüge aus “Vom Haben zum Sein”)

Erich Fromm scheint defin­i­tiv ein her­aus­fordern­der Beobachter und Mah­n­er zu sein, weshalb wir ihm in den näch­sten Fol­gen zum The­ma Eigentum/Besitz das Wort geben  wer­den, bevor wir zu Daniel Loick zurück­kehren.

An anderen Serien inter­essiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hein­er Koech­lin / Simone Weil / Gus­tav Meyrink / Nar­rengeschicht­en / Bede Grif­fiths / Graf Cagliostro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­woche und Don­ald Trump / Die Welt­woche und der Kli­mawan­del / Die Welt­woche und der liebe Gott /Lebendi­ge Birs / Aus mein­er Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reich­sidee /Voge­sen Aus mein­er Bücherk­iste / Ralph Wal­do Emer­son / Fritz Brup­bach­er  / A Basic Call to Con­scious­ness Leon­hard Ragaz / Chris­ten­tum und Gno­sis / Hel­ve­tia — quo vadis? / Aldous Hux­ley / Dle WW und die Katholis­che Kirche / Trump Däm­merung

Helvetia - quo vadis? 20
Aldous Huxley - Wahrheitssucher 20

Deine Meinung