In der heutigen Geschichtsschreibung hat der Bundesbrief (so wie auch in der Zeit zwischen 1291 und seiner Entdeckung 1760) keinerlei Bedeutung. Schon gar nicht eine »Staatsgründende Bedeutung«. Er war zur Zeit der Abfassung ein Beistandspakt, wie viele andere auch, in der königslosen Zeit nach dem Tode von König Rudolf von Habsburg. Uri und Schwyz hatten z.B. zur gleichen Zeit auch einen Beistandspakt mit der Stadt Zürich.
Erst nach seiner Entdeckung 1760 bekam der Bundesbrief etwas Bedeutung, besonders im Erscheinungsjahr von Wilhelm Öchslins Buch »Die Anfänge der Schweizerischen Eidgenossenschaft«. Dort wurde der Bundesbrief nun zur Gründungsurkunde heraufstilisiert. Die Schweiz brauchte ja nach der 1848 erfolgten Bundesstaatsgründung so etwas wie eine glorreiche Geschichte. Und es war auch Balsam auf die Wunden der Innerschweiz, die zu den Verlierern dieser Bundesstaatsgründung gehörte.
Auch die enge Fassung des Begriffs Landsleute (Landsmann) — wie Christoph Blocher ihn in seinen Erstaugustreden definiert, kann heute nicht bestehen. Sonst müssten sich Basler gegen Berner Richter wehren …
Vergessen wir nicht: Geschichtsschreibung ist immer die Geschichte der Gewinner. Wer sich damit mehr auseinandersetzen will, dem sei ein Buch empfohlen, das sich explizit mit der Geschichte der Schweiz im Jahre 1291 befasst, Monat für Monat, und kann dort wesentlich mehr erfahren, das für die Entwicklung der Schweiz wichtiger war als der Bundesbrief:
Bruno Meier: 1291, Geschichte eines Jahres, Verlag Hier und Jetzt.
Wenn hier trotz Bundesbrief noch nichts über »fremde Richter« steht, hat das den Grund, dass dies in einem der nächsten Artikel genauer behandelt wird und dass dies heute kaum Bedeutung hat.
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Dies ist eine Artikelreihe, die sich mit der SVP-Initiative »Schweizer Recht statt fremde Richter« beschäftigt. Die Übersicht über alle bis jetzt erschienenen Artikel bekommen Sie HIER.
Quellen für diese Artikelserie: Schutzfaktor M, Amnesty international, Humanrights.ch, Frau Huber geht nach Strassburg (WOZ), admin.ch