Die Schweiz kennt kei­ne Geset­zes­in­itia­ti­ve. Volks­be­geh­ren müs­sen heut­zu­ta­ge immer über die Ver­fas­sung geän­dert wer­den, auch wenn sie gera­de so gut über ein Gesetz geän­dert wer­den könnten.

Wenn das Volks­be­geh­ren nun im Steu­er­recht Ände­run­gen for­dert, müs­sen sie so abge­fasst sein, dass einer­seits klar wird, was das Begeh­ren will, ande­rer­seits soll nicht das fer­ti­ge Gesetz in der Ver­fas­sung ste­hen (wie dies die SVP immer wie­der versucht).

Schau­en wir uns also zuerst ein­mal an, was zur Besteue­rung in der Ver­fas­sung steht. Da grei­fe ich ein­fach her­aus, was dazugehört:

Prä­am­bel
Das Schwei­zer­volk und die Kan­to­ne, in der Ver­ant­wor­tung gegenüber der Schöp­fung, im Bestre­ben, den Bund zu erneu­ern, um Frei­heit und Demo­kra­tie, Unab­hän­gig­keit und Frie­den in Soli­da­ri­tät und Offen­heit gegenüber der Welt zu stär­ken, im Wil­len, in gegen­sei­ti­ger Rücksichtnahme und Ach­tung ihre Viel­falt in der Ein­heit zu leben, im Bewusst­sein der gemein­sa­men Errun­gen­schaf­ten und der Ver­ant­wor­tung gegenüber den künftigen Genera­tio­nen, gewiss, dass frei nur ist, wer sei­ne Frei­heit gebraucht, und dass die Stär­ke des Vol­kes sich misst am Wohl der Schwa­chen, geben sich fol­gen­de Verfassung.

Zeigt ein­fach an, dass sich das Schwei­zer­volk kein Volk von Ego­is­ten sein soll. Dass also all die Iden­ti­tä­ren irgend­wie am fal­schen Platz sind.

Art. 2 Zweck
1 Die Schwei­ze­ri­sche Eid­ge­nos­sen­schaft schützt die Frei­heit und die Rech­te des
Vol­kes und wahrt die Unab­hän­gig­keit und die Sicher­heit des Landes.
2 Sie för­dert die gemein­sa­me Wohl­fahrt, die nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung, den inne­ren Zusam­men­halt und die kul­tu­rel­le Viel­falt des Landes.
3 Sie sorgt für eine mög­lichst gros­se Chan­cen­gleich­heit unter den Bürgerinnen und Bürgern.

Wenn die Besteue­rung unge­recht ist, wer­den Wohl­fahrt, inne­rer Zusam­men­halt und Chan­cen­gleich­heit wohl kaum zum Zuge kommen.

Art. 127 Grund­sät­ze der Besteuerung
1 Die Aus­ge­stal­tung der Steu­ern, nament­lich der Kreis der Steu­er­pflich­ti­gen, der Gegen­stand der Steu­er und deren Bemes­sung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln.
2 Soweit es die Art der Steu­er zulässt, sind dabei ins­be­son­de­re die Grund­sät­ze der All­ge­mein­heit und der Gleich­mäs­sig­keit der Besteue­rung sowie der Grund­satz der Besteue­rung nach der wirt­schaft­li­chen Leis­tungs­fä­hig­keit zu beachten.

Im Arti­kel 127 wird deut­lich gesagt, was im Gesetz (und nicht in der Ver­fas­sung!) zu regeln ist. Und die Gleich­mäs­sig­keit wird, mei­ne ich, deut­lich her­vor­ge­ho­ben. Zu bei­den Punk­ten kom­men wir spä­ter noch.

Und nun der Initia­tiv­text am Stück.

Die Bun­des­ver­fas­sung wird wie folgt geändert:

Art. 127a Besteue­rung von Kapi­tal­ein­kom­men und Arbeitseinkommen
1 Kapi­tal­ein­kom­mens­tei­le über einem durch das Gesetz fest­ge­leg­ten Betrag sind im Umfang von 150 Pro­zent steuerbar.
2 Der Mehr­ertrag, der sich aus der Besteue­rung der Kapi­tal­ein­kom­mens­tei­le nach Absatz 1 im Umfang von 150 Pro­zent statt 100 Pro­zent ergibt, ist für die Ermäs­si­gung der Besteue­rung von Per­so­nen mit tie­fen oder mitt­le­ren Arbeits­ein­kom­men oder für Trans­fer­zah­lun­gen zuguns­ten der sozia­len Wohl­fahrt einzusetzen.
3 Das Gesetz regelt die Einzelheiten.

Und hier nun die ein­zel­nen Tei­le mit dem Kom­men­tar der Initi­an­ten. Die­se Kom­men­ta­re sind nicht unwe­sent­lich. Es ist üblich, dass die Kom­men­ta­re in den bei­den Par­la­men­ten bei der Gesetz­ge­bung beach­tet werden.

1 Kapi­tal­ein­kom­mens­tei­le über einem durch das Gesetz fest­ge­leg­ten Betrag sind im Umfang von 150 Pro­zent steuerbar.
Kapi­tal­ein­kom­mens­tei­le: Kapi­tal­ein­kom­men sind alle Ein­kom­men, die man erhält, wenn man bereits vor­han­de­nes Ver­mö­gen ange­legt hat. Bei­spie­le dafür sind Zin­sen, Divi­den­den (= jähr­li­che Aus­zah­lun­gen auf­grund von Akti­en­be­sitz), Akti­en­kurs­ge­win­ne usw.
Frei­be­trag: Kapi­tal­ein­kom­men sol­len erst ab einem Frei­be­trag höher besteu­ert wer­den. Die Initiant*innen schla­gen für Allein­ste­hen­de einen Frei­be­trag von 100’000 Fran­ken vor. Nur wer mehr als 100’000 CHF in Kapi­tal­ein­kom­men erhält, wird also mehr Steu­ern bezah­len. Die Initi­an­ten schrei­ben die­sen Betrag nicht in die Ver­fas­sung. Sie wol­len so den Par­la­men­ten die Mög­lich­keit geben, nach ihrem Gus­to den Betrag im Gesetz zu regeln. Die 100’000.— mögen eine Richt­grös­se sein, die Räte könn­ten auch mehr beschlies­sen, was sie aller­dings kaum tun werden.

Die jähr­li­chen Kapi­tal­ein­kom­men über 100’000 Fran­ken sol­len andert­halb Mal so stark wie Arbeits­ein­kom­men (z.B. Lohn) besteu­ert werden.

2 Der Mehr­ertrag, der sich aus der Besteue­rung der Kapi­tal­ein­kom­mens­tei­le nach Absatz 1 im Umfang von 150 Pro­zent statt 100 Pro­zent ergibt, ist für die Ermäs­si­gung der Besteue­rung von Per­so­nen mit tie­fen oder mitt­le­ren Arbeits­ein­kom­men oder für Trans­fer­zah­lun­gen zuguns­ten der sozia­len Wohl­fahrt einzusetzen.
Mehr­ertrag: Mit der Initia­ti­ve wür­de der Bund, die Kan­to­ne und die Gemein­den etwa 10 Mil­li­ar­den Fran­ken zusätz­lich einnehmen.
Trans­fer­zah­lun­gen: Die Mehr­ein­nah­men kön­nen auch in den Ser­vice Public oder den Sozi­al­staat inves­tiert wer­den, also z.B. für höhe­re Prä­mi­en­ver­bil­li­gun­gen, Kitas oder einen Aus­bau des Övs.

3 Das Gesetz regelt die Einzelheiten.
Bei einer Annah­me der Initia­ti­ve müss­ten die eid­ge­nös­si­schen Par­la­men­te die genaue Umset­zung dis­ku­tie­ren und beschlies­sen. Details, die in der Initia­ti­ve nicht geklärt sind, wer­den dann in einem Gesetz demo­kra­tisch festgelegt.

Soweit der Initia­tiv­text und die Kom­men­ta­re der Initianten.
Kom­men wir zu den Kritiken:

Bun­des­rat Ueli Maurer
sag­te an einer Medi­en­kon­fe­renz, die Initia­ti­ve sei schäd­lich für den Wirt­schafts­stand­ort. Ers­tens beinhal­te die Initia­ti­ve Unklar­hei­ten, zwei­tens könn­te sie Inves­to­ren und Inves­to­rin­nen ver­grau­len. Drit­tens gebe es heu­te schon eine gros­se Umver­tei­lung in der Schweiz. Ins­ge­samt sei es gefähr­lich, Kapi­tal höher zu besteu­ern, «denn wir wol­len Kapi­tal, wir wol­len Arbeits­plät­ze». Eine höhe­re Besteue­rung könn­te Inves­to­ren und Inves­to­rin­nen dazu brin­gen, ihr Geld zu ver­la­gern. Bür­ger­li­che Poli­ti­ker und Poli­ti­ke­rin­nen und Unter­neh­mer und Unter­neh­me­rin­nen befürch­ten zudem, dass Fir­men­über­ga­ben schwie­ri­ger werden.

Schäd­lich für den Wirtschaftsstandort
Inves­to­ren und Inves­to­rin­nen vergraulen
Heu­te schon eine gros­se Umverteilung
Das sind die übli­chen Tot­schlag­ar­gu­men­te, dar­auf gehe ich nicht ein
Wir wol­len Kapi­tal, wir wol­len Arbeitsplätze
Die­se sehr inter­es­san­te Aus­sa­ge wer­de ich im nächs­ten Arti­kel am 24. August 2021 wider­le­gen. Denn in der Regel stimmt die­se Arbeits­platz­keu­le in den meis­ten Fäl­len über­haupt nicht!
Befürch­ten zudem, dass Fir­men­über­ga­ben schwie­ri­ger werden
Nun ja, natür­lich ist die Fir­men­über­ga­be an wen nicht ohne Tücke. Man kann eine Fir­men­über­ga­be durch Ver­er­ben vor­neh­men. Der Bund kennt kei­ne Erb­schafts­steu­er. Man kann eine Fir­men­über­ga­be auch durch Ver­kauf vor­neh­men. Dann ist es kei­ne Über­ga­be, dann ist es eine Finanz­trans­ak­ti­on. Da wol­len wir schon ein biss­chen Steuern …

Eines der häu­figs­ten Argu­men­te gegen die Initia­ti­ve ist, sie las­se vie­les offen, vie­les sei unge­nau. Die­ses Argu­ment zeigt, dass die Leu­te die Schwei­ze­ri­sche Gesetz­ge­bung noch nicht kapiert haben.
1 Die Aus­ge­stal­tung der Steu­ern, nament­lich der Kreis der Steu­er­pflich­ti­gen, der Gegen­stand der Steu­er und deren Bemes­sung, ist in den Grundzügen im Gesetz selbst zu regeln.
Das haben wir ja wei­ter oben schon gelernt.
Es ist aber typisch für Par­la­men­ta­rie­rin­nen und Par­la­men­ta­ri­er, dass sie das man­gels ande­rer Argu­men­te vor­brin­gen. Obwohl es ihre urei­gens­te Auf­ga­be wäre, scheu­en sie eine sorg­fäl­ti­ge Gesetzesarbeit!

Im Birsfelder Museum: Gehrig / Kreutziger
Ehe für alle? Ehe für alle!

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