“achtung: landschaft schweiz” ist der Titel eines im letzten Jahr veröffentlichten Buches. Sein Autor, Hans Weiss, ist ein Landschaftsschützer der ersten Stunde. Als Beauftragter für Landschaftsschutz des Kantons Graubünden, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftschutz Schweiz, operativer Leiter des Fonds Landschaft Schweiz, als Dozent an der ETH Zürich, als unermüdlicher Publizist und Kämpfer für die Erhaltung vieler Naturschönheiten in der Schweiz ist er wie kein zweiter befähigt und berufen, uns die Erkenntnisse seiner jahrzehntelangen Tätigkeit vorzustellen.
Was bei der Lektüre sofort deutlich wird: Er ist kein blinder Eiferer und selbstgerechter Untergangsprophet. Er zeigt einfach den oft steinigen, oft aber auch erfolgreichen Weg zu einem sorgsamen Umgang mit der Landschaft auf. Er macht deutlich, dass wir alle uns und unsere gedanklichen Konditionierungen viel intensiver hinterfragen müssten, als wir es zurzeit noch tun — oder eben nicht tun. Und manchmal findet er klare Worte dort, wo sie nötig sind.
Sehen wir uns doch einige wenige Auszüge aus einer seiner Rückblenden an:
“In der Zeit von 1951 bis 1970 wurden rund 4,3 Millionen Obstbäume gefällt. Am 15. September 1970 erliess die Eidgenössische Alkoholverwaltung Weisungen an die kantonalen Zentralstellen für Obstbau über die zusätzliche Reduktion des Feldobstbaus. Für jeden beseitigten hochstämmigen Obstbaum zahlte der Bund eine Prämie und stellte zu diesem Zweck für das Winterhalbjahr 1970/7I einen Kredit von 15 Millionen Franken bereit. Das Ziel war es, bis 1976 zwei Millionen Apfelbäume und eine halbe Million hochstämmige Birnbäume zu beseitigen. Das war mehr als dreimal so viel Geld, wie der Bund Im Bereich Natur- und Heimatschutz inklusive Ortsbildschutz pro Jahr aufwendete. Aus heutiger Sicht ist die damals vorherrschende Sichtweise auf Natur und Landschaft kaum mehr nachvollziehbar. Ein amtlicher Vertreter dieser Ausmerzaktion brachte es auf einer offiziellen Besichtigung beim Anblick blühender Kirschbäume auf den Punkt, als er sagte: “Schauen Sie, meine Damen und Herren, diese Bäume stören die rationelle Nutzung, sie sind keinen Schuss Pulver wert. …
Man nannte es Urbarisierung. Später waren es vor allem Hindernisse für eine rationelle Bewirtschaftung. Die Fachausdrücke Flurbereinigung und Melioration machen es deutlich: Man erkannte darunter eine Verbesserung — nicht umsonst heisst der Fachausdruck Melioration. Im deutschsprachigen Raum sprach man lange auch von Flurbereinigung, das ist, wenn man es wörtlich nimmt, ein Reinemachen und impliziert, dass die Flur vorher unrein war. Man hat sie also bereinigt, das heisst praktisch: Man hat tabula rasa gemacht und Gebüsche, Lesesteinhaufen, Baumhecken, ganze Alleen beseitigt, kleine Mulden im Gelände aufgefüllt, Höcker abgetragen, mäandrierende Flussufer und ebenso kleine Bachläufe begradigt oder noch lieber in unterirdische Röhren verlegt. …
Die Vereinheitlichung und die Ausräumung ganzer Landschaften ist eklatant — und die Hauptursache für den dramatischen Artenverlust und den Schwund der gesamten Biodiversität. 1987 hat der Schweizerische Bund für Naturschutz (heute Pro Natura) ein Tagfalterbuch veröffentlicht, worin er festhielt, dass im Wiesland des schweizerischen Mittellands im Vergleich zu den 1950er-Jahren nur noch 1 Prozent der Schmetterlingspopulationen vorkommen. Die gesamte Artenvielfalt dünnt immer mehr aus. …
Weshalb kam es denn trotz dieser frühen Einsicht zu einer für die Biodiversität und die Vielfalt der Landschaft katastrophalen Entwicklung? Die mit einem blinden Fortschrittsglauben in Gang gesetzten Kräfte waren sehr stark. Die für diese nicht hinterfragten Ziele eingesetzte Technik und die Geldflüsse wirkten noch lange weiter. Die früh erwachten Gegenkräfte waren viel zu schwach. Die Kurskorrektur kam zu spät, um eine wuchernde, über weite Strecken einseitig geplante Erschliessung und die in manchen Regionen um sich greifende Zersiedlung zu stoppen. …
Eigentlich will das niemand. Und so sucht man nach Sündenböcken und nennt die Zunahme der Wohnbevölkerung, die Ausländer, die Zuwanderungsraten. Aber man verschliesst die Augen vor demjenigen Teil des Landschaftsfrasses, den wir selbst verursachen — mit unseren gesteigerten materiellen Ansprüchen an Mobilität, den stets zunehmenden Wohnflächen und der stetigen Verfügbarkeit von fast allen Gütern: rund um die Uhr, auf Knopfdruck oder per Mausklick. …
Die Landschaft ist nach wie vor stark bedroht durch einen zuweilen fast religiös anmutenden Glauben an das Wachstum und eine tief wurzelnde Angst, die Abkehr von diesem Glauben würde Stillstand oder gar Niedergang bedeuten.”
Und damit sind wir schon mitten in der Kontroverse um die Salina Raurica.
Hans Weiss hat sich tiefschürfende Gedanken darüber gemacht, wie sich unsere Beziehung zu Landschaft und Natur in den letzten Jahrzehnten stetig verändert hat, — manchmal positiv, aber viel öfters zu ungunsten von Landschaft und Natur. Er machte sich auch Gedanken, was sich politisch ändern müsste, damit sich dieser negative Trend nicht immer weiter fortsetzt.
Seine Gedanken und Forderungen dazu folgen hier, und wir werden sie im Lichte des Salina Raurica-Krimis betrachten.