Du selbst zu sein, in einer Welt die dich ständig anders haben will, ist die größte Errungenschaft.
Ralph Waldo Emerson
“Nichts ist letztlich heilig außer der Integrität des eigenen Geistes.
Ralph Waldo Emerson, ein Mann mit radikalen Ideen und persönlicher Anmut, widmete sein langes Leben der Suche nach den höchsten spirituellen, ethischen und natürlichen Wahrheiten und bemühte sich, seine Ideen und Erkenntnisse auf die kulturellen, sozialen und politischen Fragen seines schnell wachsenden jungen Landes anzuwenden.
Emersons Ideen, ausgedrückt in originellen Metaphern und exquisiten Formulierungen, gespickt mit Verweisen auf die klassische und moderne Philosophie und das Denken, verblüfften manchmal, aber oft erheiterten sie sein Publikum. Am radikalsten vertrat Emerson die Ansicht, dass man am besten lebt, wenn man seiner eigenen “Intuition” vertraut und entsprechend handelt. Er regte seine Zuhörer dazu an, über die Paradoxien und Probleme des Lebens und der Gesellschaft sowie über die drängenden Fragen ihrer eigenen Zeit neu nachzudenken. Er war eine amerikanische Stimme: integrativ, freimütig, neugierig, demokratisch, tolerant, optimistisch, originell und pragmatisch.
Sein Werk ist auch heute noch aktuell und lehrreich. Er fordert uns auf, uns selbst treu zu sein, auf unsere höchsten Instinkte zu hören, richtig zu handeln, durch Studium, Beobachtung, Aktion und Reflexion ein umfassendes Verständnis anzustreben, Widrigkeiten zu überstehen, der Welt mit Mut, Höflichkeit, Humor und Demut zu begegnen, von der Natur zu lernen und zu versuchen, mit dem Universum eins zu werden.
Mehr als zweihundert Jahre nach Emersons Geburt klingen seine besten Worte immer noch authentisch; sie erinnern uns an die Hoffnungen unserer Gründerväter auf eine robuste Nation unterschiedlicher Individuen, die nach Leben, Freiheit, Gleichheit und Glück streben; sie sprechen immer noch die Themen und Dilemmas unseres persönlichen Lebens und unserer unruhigen Zeiten an; sie regen uns immer noch an, das Wahre und Schöne in der Welt zu suchen.”
So stellt diese amerikanische Webseite, die dem Wohnhaus Emersons gewidmet ist, den amerikanischen Philosophen vor. Angesichts der desolaten politischen Lage in den USA heute wäre es tatsächlich wünschenswert, dass seine Gedanken in dieser tief zerrissenen Nation wieder gehört und lebendig werden.
Aber Emerson ist auch für uns Europäer wichtig! Seine mahnende Stimme, seine oft scharfen Urteile zu politischen und spirituellen Missständen, und gleichzeitig sein unerschütterlicher tiefer Glaube an den Menschen als ein von Gott gewolltes freies Individuum mit unendlichen Entwicklungsmöglichkeiten lässt ihn als amerikanisches Pendant zum geistesverwandten Schweizer Philosophen und Politiker Paul Ignaz Troxler erscheinen, der im Gegensatz zu Emerson in der breiteren Öffentlichkeit allerdings zu Unrecht der Vergessenheit anheim gefallen ist.
Wer war Ralph Waldo Emerson? Wikipedia gibt einen kleinen Überblick über sein Leben und Schaffen. Er gehört zusammen mit seinem Freund Henry David Thoreau, seinen Freundinnen Margaret Fuller, Elizabeth P. Peabody und weiteren Persönlichkeiten zum amerikanischen Transzendentalismus, dessen Quellen im europäischen Idealismus liegen.
Wer jetzt bei diesen Stichwörtern schon mal leicht die Augen verdreht, sei beruhigt: Emerson bediente sich einer lebendigen und so klaren Ausdrucksweise, dass seine Ausführungen heute so frisch wirken wie am ersten Tag!
Ein kleiner Beweis gefällig?
Die Gesellschaft gleicht einer Aktiengesellschaft, deren Mitglieder, um jedem Aktionär sein tägliches Brot zu sichern, übereingekommen sind, die Freiheit und selbstständige Ausbildung jedes Brotessers zu opfern. Ihre gesuchteste Tätigkeit ist Konformität. Selbständigkeit ist ihr verhasst. Sie liebt nicht Wirklichkeiten und Schöpfer, sondern Gebräuche und Namen.
Wer da ein Mann sein will, muss ein Dissident sein. Wer Unsterbliches erringen will, der darf sich durch das Wort “gut” nicht beeinflussen lassen, sondern muss prüfen, was wirklich gut ist. Zuletzt ist nichts heilig als die Integrität des eigenen Geistes. …
Kein Gesetz kann mir heilig sein, als das meiner eigenen Natur. “Gut” und “schlecht” sind nur Namen, die man leicht auf dieses oder jenes übertragen kann. Recht ist einzig und allein, was meinem Wesen entspricht, unrecht nur, was ihm widerspricht. Ein Mann muss sich selbst aller Opposition zum Trotz durchsetzen, als ob alles ausser ihm nur ein Schein- und Eintagsleben führen würde. Es ist eine Schande, wie leicht wir vor Namen und Ordenszeichen, vor Gesellschaften und toten Institutionen kapitulieren. (aus Essays, erster Teil. Selbständigkeit).
Dass hier nur von “Männern” die Rede ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Frauen mitgemeint sind. Emersons Freundin Margaret Fuller gehörte zu den ersten Feministinnen und kämpfte während des Risorgimento in Italien aktiv mit!
Die kommenden Folgen werden Auszüge aus Emersons reichhaltigem Werk bringen, — zur Reflexion und Anregung, sich vielleicht intensiver mit dieser eindrücklichen Gestalt auseinanderzusetzen. Die meisten seiner Werke stehen digital — auch auf Deutsch — gratis zur Verfügung.
Nächste Folge am Samstag, den 27. November.
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