Quizfrage:
Warum erhielt Donald Trump diese Woche während der präsidentiellen Neuwahlen die Stimmen von fast der Hälfte der Bevölkerung, obwohl
- er während seiner Amtszeit mehr als 20’000 irreführende oder falsche Behauptungen
(“alternative facts”, auf gut deutsch: Lügen) aufgestellt hat.
- damit prahlte, Frauen in den Schritt greifen (“grab them by the pussy”) und jemanden ungestraft auf der Strasse erschiessen zu können.
- er sich gegen die Offenlegung seiner Steuererklärungen wehrte, weil er als “Milliardär” — wie sich kürzlich herausstellte — in seinem ersten Amtsjahr gerade mal 750 Dollar Einkommenssteuern zahlte.
- einige seiner engsten Mitarbeiter einer nach dem andern ins Gefängnis wanderten.
- er rechtsradikale Gruppierungen mehr oder weniger unverhüllt unterstützt.
- er zwar gegen den “Elitensumpf” wetterte, aber den Superreichen grosszügige Steuererlasse gewährte.
- er seine politischen Gegner verunglimpfte (“Lock her up!”, “Sleepy Joe”, usw. usw.)
- er von ehemaligen Mitarbeitern in der Regierung als völlig unfähig für das veranwortungsvolle Amt bezeichnet wurde.
- er von einer ganzen Reihe von Psychiatern das Etikett “Maligner Narzisst” verpasst erhielt.
- usw., usw.?
Immerhin hat der Mann die berühmteste Frisur der Welt, — das ist doch noch etwas 😉 …
Doch jetzt zur Lösung unseres Wochenrätsels!
Trump ist offensichtlich lediglich das Symptom einer viel tiefer gehenden kulturellen, sozialen und politischen Krise in der amerikanischen Gesellschaft:
Er hätte sich nie solange an der Macht halten können, wenn die Republikanische Partei sich unter Führung von Mitch McConnell und nach einem jahrelangen schleichenden Radikalisierungsprozess nicht in einen devoten Haufen von Claqueuren verwandelt hätte, denen nur noch eines wichtig ist: sich unter allen Umständen an die Macht zu klammern.
Und die Degeneration dieser einst fortschrittlichen politischen Kraft kann nicht erklärt werden ohne das tiefe gesellschaftliche Malaise, in das die Vereinigten Staaten jedes Jahr tiefer versinken. Und dieses Malaise kann man nur verstehen, wenn klar wird, welch moralisches Desaster der ungebremste Wall Street — Neoliberalismus seit langem angerichtet hat und noch anrichtet. Der amerikanische Soziologe Charles Derber hat dies in seinen Büchern so klar wie niemand sonst aufgezeigt.
Für all jene, die Lust haben, sich noch etwas vertiefter mit diesem Rätsel auseinanderzusetzen, hier drei Lesevorschläge:
“Es gibt kein Zurück” von Constatin Seibt (aus der “REPUBLIK”)
“The American System is broken” von David Frum (aus “The Atlantic”)
“Face the bitter truth” von George Packer (ebenfalls aus “The Atlantic”)
Aber vielleicht sind alle diese Ausführungen ja nur “Fake News”. Roger Köppel hält in seinem neuesten Editorial die Fahne unbeirrt weiter hoch:
“Er steht für Nationalstaat, Patriotismus, konservative Werte, Flaggen, starkes Militär, tiefe Steuern, wenig Regulierung, Männlichkeit, Freiheit, freie Rede und das Recht auf Waffentragen”, — kurz: Er verkörpert das volle Programm der SVP ;-). Immerhin am Schluss die Erkenntnis: “Trumps Ego ist so riesig, dass man dahinter die Vereinigten Staaten nicht mehr sieht. Wer zu oft ich sagt, dem nehmen die Leute irgendwann nicht mehr ab, dass es ihm eigentlich um sie geht.”
Hier hat der Weltwoche-Chefredakteur erstaunlicherweise tatsächlich einen luziden Moment, — ganz im Gegensatz zu dem Bevölkerungsteil der USA, der Trump weiterhin treu die Stange hält. Was das bedeuten könnte, schildert Eric H. Yoffie, ein amerikanischer Kommentator so:
“Ein Erdrutsch zugunsten von Biden hätte Trump und seine außer Kontrolle geratene Politik diskreditiert. Und vielleicht hätte er auch nur die Stammesloyalität seiner Anhänger erschüttert.
Aber das ist nicht geschehen, was die Möglichkeit offen lässt, dass Trump als Stammesoberhaupt und kultähnlicher Führer die Partei weiterhin dominiert, während er die “gestohlene Wahl” beklagt. Im besten Fall wird das Ergebnis eine totale politische Sackgasse sein; im schlimmsten Fall wird sein bösartiger Narzissmus das gesamte politische System mit einer Parteinahme infizieren, die noch giftiger ist als das, was bisher erlebt wurde.”
Man darf auf die kommende Zeit gespannt sein …
Christoph Meury
Nov. 7, 2020
Für eine Wahlanalyse ist es mit Sicherheit noch viel zu früh. Mit billigen und redundanten Erklärungen wird man der aktuellen Ausgangslage vermutlich ebenfalls nicht gerecht.
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Die US-Wahlen konnten rund 160 Millionen AmerikanerInnen(67%) mobilisieren. Wenn man jetzt die Hälfte dieser WählerInnen als «Anhänger eines devoten Haufens von Claqueuren« sieht, ist das eine sehr kurzatmige Analyse/Fixierung und wird der Tatsache, dass Amerika seit langem eine zu tiefst gespaltene Nation ist, nicht gerecht.
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Sind wir gespannt, wie’s weitergeht. Trump wird verschwinden! Aber die Republikaner und die republikanisch wählenden AmerikanerInnen bleiben. Ihre Vision eines Amerikas ebenfalls. Auch die Demokraten werden die Spaltung nicht wegzaubern können.
Max Feurer
Nov. 7, 2020
Daniel Binswanger von der REPUBLIK hat es auf den Punkt gebracht:
“Wir steuern zu auf ein Remake der zweiten Obama-Präsidentschaft – und nichts können die Vereinigten Staaten nun so wenig gebrauchen. Schon damals gehörte Biden als Vizepräsident zur Spitze der Exekutive. Schon damals sorgte McConnell mit einer knallharten Obstruktionspolitik dafür, dass die Exekutive zu einer wirtschaftsschädigenden Austeritätspolitik gezwungen war, Steuererhöhungen nur in ganz bescheidenem Masse stattfanden, Obama-Care so weit als möglich unterminiert wurde, der Supreme Court nicht mit demokratischen Richtern besetzt werden konnte. Er machte es zu Obamas Zeiten, er hat bereits offiziell deklariert, dass er es unter Biden wieder machen werde: mit absolut allen, auch den radikalsten Mitteln die Regierungsarbeit behindern, sabotieren, zerstören.
«Unser allerwichtigstes Ziel», sagte Mitch McConnell, als er vor zehn Jahren die Kontrolle über den Senat eroberte, «ist, dafür zu sorgen, dass Obama nur eine Amtszeit hat.» Gelungen ist ihm das nicht. Was er mit der Blockade-Macht der Senatsmehrheit im Rücken jedoch hinbekommen hat, ist die Unterminierung der präsidialen Handlungsfähigkeit. Dafür, dass die Polarisierung und die Ungleichheit in den Vereinigten Staaten ein Niveau erreichten, das schliesslich sogar eine Trump-Präsidentschaft ermöglicht hat, trägt zu einem wesentlichen Teil Mitch McConnell die Verantwortung. Jetzt bekommt er die Chance, sein Werk fortzusetzen.”
Hans-Jörg Beutter
Nov. 7, 2020
jedenfalls …
»aGolf Twittler« ist geschichte – und wie erfährt er davon? standesgemäss beim golfen
😉