Am 29. November 2020 traf sich eine kleine Gruppe des Lokalkomitees Birsfelden zum Wundenlecken, bei Speckgugelhopf und einem Glas Wein. Wir waren enttäuscht, Volksmehr und kein Ständemehr. Gibt es etwas Ärgerlicheres? Und natürlich diskutierten auch wir über Sinn und vor allem Unsinn des Ständemehrs.
Am Sonntag nach dem Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative twitterte die Juso-Präsidentin Ronja Jansen: »Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.«
Eine klare, wie sie sagt nicht weichgespülte Aussage zur Sache. Zum Teil auch meine Meinung, besonders an diesem Sonntag.
Laut bz basel fühlte sich Nationalrat Christian Imark dazu berufen, das zu kommentieren:
»Er nannte die Baselbieterin ‘Donaldine Trump’ und antwortete mit ‘Sie ebenfalls’ auf den Müllhalden-Tweet. … ‘Ich würde es ihr auch so ins Gesicht sagen’«, sagt Imark. Er stehe dazu: ‘Wenn etwas auf die Müllhalde gehört, dann Personen und Gruppen, die sich als Pazifisten ausgeben und verkennen, dass das Ständemehr eine Friedenslösung aus einem bewaffneten Konflikt war.«
Die Reaktion des SVP-Nationalrats zeigte mir: Wo die Dummheit und der Anstand ein bisschen Platz macht, nimmt ihn sofort die Tradition ein. Natürlich hatte das Ständemehr bei seiner Einführung einen bestimmten Sinn, einen geschichtlichen Hintergrund und auch eine alte Tradition.
Aber es zeigt auch, dass die SVP, wie schon immer, mit der Schweizergeschichte hadert.
Glücklicherweise hat sich auch die Schweiz seither ein bisschen weiterentwickelt. So gab es nach langem Gefeilsche sogar das Frauenstimmrecht. Herr Imark kann nun twittern und muss keinen Boten, keine Bänkelsänger mehr auf den Weg schicken, allerdings offenbar nicht immer ein Fortschritt.
Geschichtlich möchte ich in diesem Artikel nur noch einmal darauf aufmerksam machen:
Als die Regelung des Ständemehrs mit der Verfassung eingeführt wurde, sah die Schweiz noch ein wenig anders aus.
Da zählte eine Appenzeller-Stimme nur 11mal so viel wie eine Zürcher-Stimme. Das war ja noch tragbar. Aber unterdessen hat sich das ziemlich geändert. Das ist das, was die Traditionalisten nicht wahr haben wollen. Heute, 2020, sieht das dann so aus:
Da ist durch das Wachstum (nicht nur) Zürichs ein ganz anderes Bild entstanden. Und das entspricht vielleicht nicht mehr den Intentionen der damaligen Verfassungsgestalter.
Aber dazu mehr im nächsten Artikel zum Ständemehr.
Andrea Scalone-Dönz
Feb 12, 2021
Ich bin verwirrt. Stimmen sind Stimmen und Stände sind Stände. Wie wurde diese Mischform oder Gewichtung der Stimmen aus Appenzell und Zürich berechnet???
Franz Büchler
Feb 12, 2021
Ich war noch nie gut in Mathematik. Ich denke das ging so …
.
Wallis hat 2 Ständestimmen
Zürich hat 2 Ständestimmen
.
Wallis hat W Stimmbürger
Zürich hat Z Stimmbürger
.
Z : W = Gewicht der Stimmen
Andrea Scalone
Feb 13, 2021
Der mathematische Fehler liegt darin, dass die Stimmen Stimmen bleiben (w und z) und dann noch ZUSÄTZLICH die frage gestellt wird: wie stehen die STÄNDE zu der frage?
Würde man das Ständemehr abschaffen, stellt sich automatisch die Frage: Ist es gerecht, dass wenige grosse kantone die Meinung von vielen kleinen über-stimmen dürfen?
Hans-Jörg Beutter
Feb 13, 2021
gefühlt verfügt jeder dritte zuger über eine briefkastenfirma (virtuelles headquarter einer beliebigen – oft verantwortungsbefreiter – grossbude) und jeder zehnte zudem über einen ständerat. uri stellt zusammen mit sawiri quasi drei ständeräte für knapp 90 geisshirten (grob geschätzt) …
basel hat nur einen (gehäuft im clinch mit dem vom baselbiet: nullsummenspiel) … und darf darum im ständerat meist locker pausieren … enorm ausgeglichen!
(dabei wäre an sich ein grosskanton nordwestschweiz verwaltungstechnisch – auch pandemisch gedacht – wesentlich wünschbarer … aber ebä: angesichts des drohenden ständemeers 😉 unter gar keinen umständen!!
würde man den wert einer stimme auf eine spanne von maximal x10 gegenüber dem letzten subalpinen zwergenkanton eingrenzen, wär’ sowas in meinen augen eine allfällige mischform!
aber derlei wird herr büchler garantiert trefflicher ausführen!
Franz Büchler
Feb 13, 2021
Liebe Andrea
Du hast ja so recht, Stimmen sind Stimmen 🙂
.
Darum finde ich ja auch das Ständemehr, das die Stimmen jeweils ausschaltet, nicht die optimale Lösung.
.
Ich würde im Moment sagen: Warz ab heisst das Mittel.
Ich werde in meinen weiteren Artikeln zum Thema Ständemehr noch andere Möglichkeiten ansprechen.
.
Nicht vergessen darf man: Die kleinen Kanton sind heute oft recht finanzkräftige Kantone, in die all die bösen Städter mit dem Geld ausgewandert sind …
Anton Roth
Feb 13, 2021
Dazu kommt; Bei Trennung oder Teilung von Kantonen in
inner und ausser,
ob und nid,
Stadt und Land,
wurden die Standestimmen geteilt, statt zwei Stimmen je eine. Soweit so gut. Aber:
Warum haben Bern und Jura je 2 Stimmen?
Warum wurde hier die Regel gebrochen?