18. August 2015:
Nachdem wir mindestens eine unruhige Nacht (14./15. September) hinter uns haben und die grösste Birsfelder Katastrophe erfolgreich übungshalber bewältigt wurde, wird weiterhin Katastrophe geübt. Vom 16.–25. September 2015 übt die »Territorialregion 2« mit Conex 15 folgendes:
Ȇbungsszenario:
In einem fiktiven Europa der Zukunft, mit neuen Ländern und Grenzen, herrscht Wirtschaftskrise. Die Folgen wirken sich auch auf die Schweiz aus: Verknappung der Vorräte, Schwarzhandel, kriminelle Organisationen. Grosse Öl‑, Gas- und Getreidevorräte werden zum Ziel von Sabotagen und Plünderungen. Ausserdem führen ethnische Spannungen zu grösseren Flüchtlingsströmen in die Schweiz.
Der Bundesrat hat Teile der Armee aufgeboten, um das Grenzwachtkorps zu verstärken und die zivilen Partner der Kantone (Polizei, Feuerwehr, Sanität) subsidiär zu unterstützen. Die Armee wird mit dem Schutz besonders gefährdeter Infrastrukturen der Telekommunikation, der Stromversorgung und der Lebensmittelverteilung beauftragt.«
Im Einsatz sind rund um Birsfelden rund 5000 AdAs (Angehörige der Armee) und bewachen Häfen, lebenswichtige Einrichtungen (wie Wasserversorgung, Kraftwerk, Schleuse, etc.) und helfen Polizei, Grenzwache und Spitälern. Birsfelden sei ausser auf der Kraftwerkinsel nicht betroffen …
Übungsszenarien lassen immer auch ein Stück Gegenwart durchschimmern. In den 50er- bis 70er-Jahren, so wenigstens meine Armee-Erinnerungen, kam der BöFei (böse Feind) immer von Osten. Es herrschte »Kalter Krieg«.
Was bei der Übung Conex15 durchscheint:
Wirtschaftskrise: Eurokrise, Arbeitslosigkeit, Griechenland, Krieg in Nahost.
Verknappung der Lebensmittel: Dürren in Afrika, USA und Lebensmittel Spekulation an den Börsen.
Ethnische Spannungen: Vermeintliche Islamisierung Europas (SVP, Pegida, etc.)
Flüchtlingsströme: Krieg in Nahost, tatsächliche Flüchtlingsströme aus Nahost, Afrika und Srilanka.
Während also im Mittelmeer zehntausende Flüchtlinge ertrinken, tausende Flüchtlinge in Ungarn niedergeknüppelt werden, sich viele Oststaaten der EU weigern Flüchtlinge aufzunehmen, übt die Schweizer Armee rund um Birsfelden die Abwehr dieser Flüchtlinge! Zynischer geht es nicht mehr.
Da wir in Westeuropa seit 70 Jahren keine Kriegszustände mehr kennen und in zunehmendem Wohlstand leben, haben wir in der Regel kaum mehr Vorstellungen davon, was Krieg und Flüchten überhaupt bedeuten kann. Und die Menschen, die uns noch davon erzählen könnten, werden immer seltener.
Wenn nun die Schweizer Armee im Norden der Schweiz mit Szenerien übt, die genau das von der SVP heraufbeschworene, vermeintliche Asyl-Chaos bedient, ebenso die vermeintliche Islamisierung, dann ist dies ein Skandal. Und wenn sie dies rund einen Monat vor den Nationalratswahlen tut, in deren Wahlkampf genau diese Themen heraufgepusht (hochgespielt) werden, ist dies schlicht und einfach untragbar! Diese Übung ist ein Affront!
4. September 2015 (nach bz):
Neuerdings gilt nach heftiger Kritik das dargestellte Übungsszenario offenbar nicht mehr so ganz. Giorgio Krüsi, Informationschef Kommunikation Heer sagt dazu: »Das Szenario diente als Rahmen für die Kader der eingesetzten Truppen, damit sie sich bei der Entschlussfassung ein mögliches Umfeld für solche Unterstützungseinsätze vorstellen konnten. Somit gibt es auch keinen direkten Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingssituation.« Ääääh?
Ja was ist das denn anderes als die Annahme eines Szenarios, dem sich die heutige Situation anähert? Und wenn die gleichen Leute sagen, diese Übung wurde schon vor Jahren geplant: Was ändert das an der Sache? 2012 ist nicht vor Jahren (und laut Interview in Watson wurde in dieser Zeit das Szenario entwickelt). Es war vor Jahren vorauszusehen, dass sich die Flüchtlingsprobleme verschärfen. Dafür bezahlen wir ja schliesslich einen sauteuren Geheimdienst! Und die Flüchtlingsströme werden sich weiter verschärfen, aber das ist für diese Leute wohl auch nicht vorauszusehen …
Und auch: Dass im Herbst 2015 Nationalratswahlen sind, weiss man schon seit Jahren. Dass die SVP die Situation im Asylbereich als Wahlkampfthema ausschlachten wird, weiss man schon seit Jahren. Nur dass sich FDP und CVP zum Teil ins Schlepptau nehmen lassen, war vielleicht das Einzige, was nicht so voraussehbar war.
13. September 2015 (nach Schweiz am Sonntag):
Nach einer längeren Abhandlung über die Territorialtruppen wird das Horrorszenario dann relativiert:
»Divisionär Andreas Bölsterli stellte sich eine Endzeitstimmung in Europa vor mit Flüchtlingsströmen, ethnischen Spannungen, Plünderungen und Sabotagen. Inzwischen sind Teile des Szenarios von der Realität eingeholt worden. Divisionär Bölsterli hat sich deshalb von seinem Szenario distanziert. Es werde in der Volltruppenübung nicht vertieft und sei daher nicht von Bedeutung, liess er verlauten. Er hätte auch sagen können: Seht her, die Armee trainiert mit realistischen Szenarien. Doch bei Conex 15 geht es eben tatsächlich nicht um Landesverteidigung, sondern um Katastrophenschutz. Das zeigen die Szenarien der Teil-Übungen.«
15. September 2015:
Je näher der Übungsbeginn rückt, desto mehr verändert sich die Sache zu reinem Infrastrukturschutz. Ääähhmm … Schutz vor wem?
Also alles in Butter? Friede, Freude, Eierkuchen?
Und die Weisheit zur Sache:
Mir fehlen die Worte.
(Franz Büchler)