Sagen wir es kurz und bündig: Das Buch ist ein Knüller!
Es beginnt mit der Idee: 44 Autoren und Autorinnen stellen ihren sehr persönlichen Zugang zu einer mehr oder weniger bekannten, oft auch heute praktisch unbekannten Persönlichkeit vor, die auf ihre eigene Weise im Laufe der Zeit etwas zum “Projekt Schweiz” beigetragen hat. Der Herausgeber Stefan Howald schreibt dazu in seinem Vorwort:
Das Buch handelt von denen, die weggingen, oder kamen, von denen, die blieben, oder weggingen und zurückkehrten. Im Zentrum der Beiträge stehen die einzelnen Persönlichkeiten, unverwechselbare Individuen. Sie sind in ihr gesellschaftliches Umfeld gestellt. Zuweilen gehören sie mehr oder weniger direkt sozialen oder politischen Bewegungen an, zuweilen stehen sie in ihrer Opposition allein. Wir bekennen uns zum personalisierten Ansatz. Auch Einzelpersonen machen Geschichte, und jede Epoche findet jene Personen, in denen sie sich verköpert. …
Dieses Buch ist vor allem mit Neugier zu lesen. Neugier darauf, was in diesem Land an Gedanken und Leidenschaften hervorgebracht worden ist. Neugier auf die so unterschiedlichen Zugänge auf Vielfalt, auf Verwandtschaften und Gegensätze.
Die Porträts reichen vom frühen 18. Jahrhundert bis zum 21. Jahrhundert. … Die Beiträge sprechen für sich und können für sich gelesen werden. Zugleich ergeben sich immer aufs Neue ungewohnte Beziehungen, verborgene Fäden. So entsteht ein Bild der Schweiz als offenes, zukunftsfähiges Projekt.
Schon allein die sorgfältige und elegante Gestaltung des Buchs mit vielen Illustrationen macht immer wieder Lust, es zur Hand zu nehmen, darin zu blättern und sich eine Viertelstunde Zeit für die Lektüre eines Essays zu nehmen. Und dabei kommt Entdeckerfreude auf. Wer hat schon mal von Wilhelm Joos, Elsa F. Gasser, Johann Wilhelm Fortunat Coaz, Anna Pfrunder, Elsa Barberis, Sybille de Dietrich, Kurt Hirschfeld oder Paulette Brupbacher-Raygrodski gehört? Alles spannende und eindrückliche Persönlichkeiten, die es wert sind, wieder in Erinnerung gerufen zu werden.
Aber auch wer in etwa weiss, wer Jacques Chessex, Friedrich Glauser, Margrit Rainer, Fritz Platten, Theo Pinkus, Iris von Roten, Eugen Bleuler, Ignaz Troxler, Heinrich Zschokke, Augustin Keller, Meret Oppenheim, Martin Disteli, Johanna Spyri oder Karl Bodmer war — um nur einige wenige zu nennen -,findet dank der individuell gefärbten “Linse” des Autors und der Autorin einen erfrischend neuen Zugang zu diesen Gestalten.
Stellvertretend sei als Beispiel der Beitrag von Charles Lewinsky zu Jeremias Gotthelf vorgestellt. Er beginnt so:
Ich weiss, ich weiss. Schriftsteller-Ranglisten sind sinnlose Unterfangen. In unserem Gewerbe gibt es keine eindeutigen Champions und keine ewigen Rekordhalter. Jede Generation — ach was: jeder Leser — teilt den Meistertitel jemand anderem zu.
Und doch wage ich es hinzuschreiben: Jeremias Gotthelf war der grösste Dichter, den die Schweizer Literatur je hervorgebracht hat. Für alle, die lieber Gottfried Keller oder womöglich Friedrich Dürrenmatt auf diesem Thron sehen möchten, sei gleich hinzugefügt: Er war vielleicht nicht der grösste Schriftsteller. Aber der grösste Dichter war er ganz bestimmt.
Hätte ich im Poetenolymp die Tischkärtchen zu verteilen, ich würde für ihn einen Platz am Ehrentisch reservieren, gleich neben Balzac und Dickens, dort wo die grossen Geschichtenerzähler und Menschenbeschreiber zusammensitzen …
— und dann folgt eine der prägnantesten und warmherzigsten Charakterisierungen des Emmentaler Pfarrers und seines Werks, die dem bisfaelder.li-Schreiberling — selber bekennender Gotthelf-Fan — je unter die Augen gekommen sind.
“Projekt Schweiz” — ein Titel, der die Idee hinter dem Buch perfekt zum Ausdruck bringt: Aufzuzeigen, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft tatsächlich ein Projekt und kein statisches Gebilde ist. Ein Projekt wofür?
Das Buch umfasst gegen 500 Seiten, die einen lebendigen und farbigen Einblick in 44 bekanntere und unbekanntere mit der Schweiz verbundene Lebensschicksale geben. Ein Lesegenuss erster Güte — und ein perfektes Weihnachtsgeschenk für alle, die einen neuen, oft ungewohnten Blick in die Geschichte der Schweiz vom 18. bis ins 20. Jahrhundert tun wollen.
Wer Genaueres zu den 44 Essays erfahren möchte, findet das Inhaltsverzeichnis hier.
Stefan Howald (Hg.), Projekt Schweiz. Vierundvierzig Porträts aus Leidenschaft. Unionsverlag 2021. Preis je nach Anbieter zwischen Fr. 36.- und Fr. 46.-
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