Die Birs­felder Jour­nal­istin Sil­vana Schreier hat dieses Jahr ihre Ferien uner­wartet anders ver­bracht, als ver­mut­lich gewün­scht. Die üblichen Strand­fe­rien kamen für sie und ihren Part­ner nicht in Frage. Statt Son­nenun­ter­gang-Ferien-Self­ies hat sie in ihrem Blog darüber berichtet. Mit Sil­vanas Ein­ver­ständ­nis leit­en  wir den Lesern des “birsfälder.li” den lesenswerten Beitrag hier weit­er.

Wenn Arbeit mit Kinder­lachen ent­lohnt wird
Post­ed on 3 Days Ago by sil­vanaschreier

Som­mer­fe­rien ein mal anders. Zwar ver­brachte ich sie auf der griechis­chen Ferienin­sel Les­bos, allerd­ings nicht am Hotelpool oder abends im Restau­rant, son­dern in ein­er umfunk­tion­ierten Auto­g­a­rage und im Flüchtlingscamp Kara Tepe. Gewöhn­liche Strand­fe­rien oder eine aben­teuer­liche Reise kamen in diesem Jahr für mich und meinen Fre­und nicht in Frage. Zu sehr beschäftigten uns die Men­schen, die ihre Heimat ver­lassen mussten und hier in Europa auf ein besseres Leben hof­fen. Deshalb entsch­ieden wir, dass wir zwei Wochen unseres Som­mers spenden und mit der Organ­i­sa­tion Remar auf Les­bos in den Camps Kara Tepe und Moria helfen wollen.

Viel wussten wir nicht über die Camps und die dor­ti­gen Zustände. Über unsere Arbeit wur­den wir vor Ort aufgek­lärt: Remar ver­sorgt seit rund zwei Monat­en die Bewohn­er im staatlich betriebe­nen Flüchtlingscamp Kara Tepe mit Essen. Kara Tepe ist das Camp für Fam­i­lien und Men­schen, die medi­zinis­che Betreu­ung benöti­gen. Es liegt am Meer, zehn Minuten nördlich von der Insel­haupt­stadt Myti­lene. Das türkische Fes­t­land ist gut zu erken­nen. Beson­ders nachts zeigen sich tausende kleine Lichter an der Küste. Die Dis­tanz scheint so ger­ing, die Über­fahrt ein Kinder­spiel. Noch immer kom­men zwis­chen 50 und 100 Men­schen pro Tag auf Les­bos an, wie wir von ver­schiede­nen Seit­en erfahren. Sie nehmen die schein­bar kinder­le­ichte Über­fahrt im wack­li­gen Gum­mi­boot mit löchri­gen Schwimmwest­en auf sich. Nicht alle erre­ichen die ersehnte Frei­heit.

17 Quadrat­meter für eine Fam­i­lie

Als wir in Kara Tepe anka­men, wohn­ten etwas mehr als 800 Men­schen dort. Bei unser­er Abreise sind es fast 950 Män­ner, Frauen und Kinder. Frei­willige Helfer, die auch schon in anderen Lagern in Griechen­land waren, erzählten, dass dies wahrschein­lich das schön­ste Camp sei. Die Men­schen aus Syrien, Afghanistan, Pak­istan, Eritrea, aus dem Iran oder dem Irak leben nicht in Zel­ten, son­dern in kleinen Häuschen aus Kun­st­stoff, bess­er bekan­nt als Ikea-Häuschen. Auf rund 17 Quadrat­meter wohnen zwei bis zu zehn Erwach­sene und Kinder.

Wir bracht­en den Bewohn­ern jew­eils das Mit­tag- und das Aben­dessen direkt zu ihrem Häuschen. Ein Mann aus Syrien und seine Frau schüt­tel­ten mir jeden Mit­tag, jeden Abend die Hand und bedank­ten sich für das Essen, während ihre fünf Kinder vor dem Häuschen herum­toll­ten und mit Kiesel­steinen spiel­ten. Eine Fam­i­lie aus Eritrea bat mir jeden Tag an, mich zu ihnen auf die Matratze neben dem Haus zu set­zen. Als ich den Fam­i­lien­vater fragte, wie es ihm gehe, antwortete er auf Englisch: „Ich gebe mein Bestes, dass es mir gut geht.“

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In ein­er ehe­ma­li­gen Auto­g­a­rage bere­it­eten wir das Essen für das Camp Kara Tepe vor.
Von den zehn bis zwölf Arbeitsstun­den pro Tag ver­bracht­en wir nur drei bis vier im Camp Kara Tepe. Die restliche Zeit über bere­it­eten wir die Mit­tag- und Aben­dessen für die 850 bis 950 Men­schen vor. Unser Arbeit­splatz war eine ehe­ma­lige Auto­g­a­rage. Die Abläufe waren jeden Tag die gle­ichen: Rund 1000 Plas­tik­säcke mussten mit einem Fladen­brot, ein­er Frucht, einem Gemüse und ein­er Plas­tik­ga­bel gefüllt, ver­knotet und in Kisten ver­packt wer­den. Danach füll­ten wir das Mit­tagessen, Reis mit Gemüse oder Teig­waren mit Geflügelfleisch oder Kichererb­sen mit Peper­oni, in kleine 1000 Plas­tik­be­häl­ter, ver­schlossen sie mit Deck­eln und ver­staut­en sie eben­falls in Kisten. Und für das Aben­dessen wieder­holte sich die Arbeit, nur mit anderen Zutat­en.

„Bal­lon, bal­lon, my friend!“

Was nach ein­töniger Flies­sar­beit klingt, war tat­säch­lich kräfter­aubend. Trotz­dem: img_7784Die Stim­mung unter uns Frei­willi­gen aus aller Welt war durchge­hend gut, wenn nicht sog­ar grossar­tig. Schliesslich wussten wir, dass mit dem Ende der Vor­bere­itun­gen unsere Beloh­nung bevorste­hen würde: Wenn wir mit dem kleinen Last­wa­gen, liebevoll „Truck“ genan­nt, zur Mit­tagszeit voll beladen ins Flüchtlingscamp Kara Tepe fuhren, wäh­n­ten wir uns jedes Mal aufs Neue in einem schnulzi­gen Hol­ly­wood-Streifen: Die Kinder ran­nten aus ihren Häusern, liessen alles ste­hen und liegen. Als wäre es ein bunt bemal­ter Glace-Wagen, der sein Kom­men mit einem sich ein­prä­gen­den Jin­gle ankündigt. Von über­all her tönte es: „Bal­lon, bal­lon, bal­lon, my friend!“ Ein Wort, das alle kan­nten, so klein sie auch noch waren. Ein über­wälti­gen­des Gefühl. Es nahm mir jeden Tag das bek­lem­mende Gefühl, das ich ver­spürte, wenn ich sah, wie die mehr als 900 Flüchtlinge in Kara Tepe leben müssen.

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Jede Blödelei mit den Kindern, jedes kurze Gespräch mit den Erwach­se­nen, jedes „Danke“ für das Essen und jedes laute Kinder­lachen entschädigte mich für die Anstren­gun­gen, die lan­gen Tage und die kurzen Nächte.

Die Rück­kehr nach Hause löste Gefüh­le in mir aus, die ich noch nie so erlebt habe. Ich war glück­lich, erschöpft und am Boden zer­stört zugle­ich. Jeden Abend, wenn ich in meinem war­men, grossen, weichen Bett liege, überkommt es mich wieder. Und als ich am Mon­tagabend durch die Schweiz­er Onlineme­di­en erfuhr, dass im Camp Moria ein Brand aus­ge­brochen sei, begann ich zu zit­tern. Grosse Teile der Häuschen wur­den vom Feuer zer­stört, meine Fre­unde auf Les­bos waren die ganze Nacht über unter­wegs, um Essen und Wass­er zu verteilen. Reflexar­tig klick­te ich die Web­seite ein­er griechis­chen Flugge­sellschaft an und suchte nach einem gün­sti­gen Flug auf die Insel. Ohne zu buchen, bis jet­zt.

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Das Team von Remar im Camp Kara Tepe. Unser „Truck“.

 

 

 

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Sieg und Frieden

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