Forbes sieht einen entscheidenden Schwachpunkt im “westlichen Denken”, dass in ihm unsere Erde zu einem seelenlosen “Objekt” geworden ist:
Viele moderne Völker und Wétikos aller Religionen lieben die Erde nicht. Sie sagen, die Erde sei tot, eine Art großer Stein, der, selbst wenn er Leben hätte, keine »Seele« und keinen »Geist« besäße. Warum sie also lieben? Warum überhaupt irgend jemand oder irgend etwas lieben? Warum seine Frau lieben? Liebst du sie, weil sie lebt? Liebst du sie, weil sie eine »Seele« hat? Liebst du sie, weil sie eine Vagina hat, die deinen Penis glücklich macht?
Liebe ist ein Geheimnis.
James Lovelock und Lynn Margulis lancierten in den 70er-Jahren die “Gaia-Hypothese”, die besagt, dass die Erde und ihre Biosphäre wie ein Lebewesen betrachtet werden könne. Sie distanzieren sich allerdings klar von jeglichen indigenen animistischen Vorstellungen. Lovelock:
… wenn ich von einem lebendigen Planeten spreche, soll das keinen animistischen Beiklang haben; ich denke nicht an eine empfindungsfähige Erde oder an Steine, die sich nach eigenem Willen und eigener Zielsetzung bewegen. Ich denke mir alles, was die Erde tun mag, etwa die Klimasteuerung, als automatisch, nicht als Willensakt; vor allem denke ich mir nichts davon als außerhalb der strengen Grenzen der Naturwissenschaften ablaufend.
Das ist also immer noch “westliches Denken”: “wie ein Lebewesen” ist kein Lebewesen.
Und dann kommt Forbes auf das letzte zentrale Tabu der “westlichen Welt” zu sprechen:
Den Tod. Er ist aus unserem Tagesbewusstsein mehr oder weniger verschwunden. Als Ende der 50er-Jahre die Mutter des birsfaelder.li-Schreiberlings starb, wurde der Sarg noch offen auf einem von Pferden gezogenen “Leichenwagen” mit grosser öffentlicher Anteilnahme im Dorf langsam zur Kirche und zum Friedhof gebracht. Heute verschwindet er diskret in einem unauffälligen Auto.
Für Forbes ist der Tod einfach ein weiterer Kreis, der alles betrifft. Wie kann eine Sonne sterben, wenn sie nicht gelebt hat? Alles nimmt am Kreis des Todes teil, doch wie oben bereits bemerkt, Tod ist Leben. Das Ei starb (oder wandelte sich), um uns Leben zu geben. Das Spermium gab, um uns Leben zu geben. Wir alle sterben, um Leben zu ermöglichen. (…)
Während dein Tod dich stärken kann, dir helfen kann zu sehen, daß du noch lebst in dieser wunderbaren Welt, lehrt unser Tod uns auch, die Kontrolle über unser Leben zu gewinnen. Wir haben nicht die Zeit, als Zuträger der Wétikos zu leben. … Das Wissen um den Tod hilft uns auch, einen guten Pfad zu finden, weil es uns vielleicht zu tieferen Reflektionen über unsere Stellung in der Natur bringen kann. Black Elk sagte:
Es ist gut, die Mahnung des Todes vor uns zu haben, denn sie hilft uns, die Unbeständigkeit des Lebens auf dieser Erde zu verstehen, und dieses Verständnis kann uns helfen, uns auf den eigenen Tod vorzubereiten. Wer gut vorbereitet ist, weiß, daß er nichts ist im Vergleich mit Uakan-Tanka, der alles ist; dann kennt er diese göttliche Welt, die allein wirklich ist. (Schwarzer Hirsch, Die heilige Pfeife.) (…)
Ein Wahrheitssucher wird sich der Unvermeidbarkeit des Todes bewußt sein. … Die grundlegende Botschaft des eigenen bevorstehenden Todes ist die, ein lohnendes Leben zu führen, eins, das aus genau definierten, schönen und bedeutungsvollen Handlungen besteht, die uns helfen, den fruchtbaren Weg zu gehen, den Weg, den nur ein Wahrheitssucher gehen kann. Und was ist ein Wahrheitssucher? Männer oder Frauen, die furchtlos danach streben, wirklich wahrhaftig zu sein, während sie auf der Suche nach Wissen in Schönheit und Demut weiterschreiten.
Es ist der bewusste Entscheid, einen “fruchtbaren Weg” in Wahrhaftigkeit zu gehen, der uns die Angst vor dem eigenen physischen Tod nimmt.
Native American-Lehrer betrachten die Allgegenwart des Todes und die Vergänglichkeit aller materiellen Güter als richtungweisende Quellen für die eigene Lebensführung und als Ausgangspunkt für einen guten Weg.
Forbes spricht vom “Weg des Herzens”, — und stellt ihm den “Wetiko-Weg” gegenüber:
Es sind nicht die konkreten materiellen Ergebnisse meines Lebens, die wichtig sind, denn alle diese Dinge können zerstört, verloren oder schnell vergeudet werden. Es ist vielmehr die Qualität unserer Handlungen, unserer Kämpfe, unserer Motive, unserer Liebe und unserer Beständigkeit, die wirklich bedeutsam sind. (…)
Die Wétiko-Psychose ist eine Erkrankung des Geistes, die die Menschen auf einen häßlichen Pfad ohne Herz führt. Sie mögen töten, aber sie sind keine Krieger. Sie mögen Fertigkeiten erlernen, aber sie erwerben keine Weisheit. Sie mögen vom Tod umgeben sein, aber sie lernen seine Botschaft nicht, können sie vielleicht nicht lernen. Sie jagen den Reichtümern und Belohnungen einer vergänglichen Welt nach und machen sich vor, daß große Grabmale und Gedenksteine die Welt verewigen könnten. Vor allem verwandelt die Wétiko-Krankheit solche Leute in Wehrwölfe und Vampire, jene Geschöpfe der europäischen Alptraumwelt, die Kreaturen der Wétiko-Realität sind.
Sie haben ihren Satan in alle Erdteile gebracht und ihn zu ihrem Gott erklärt.
Forbes unterstreicht diese Einsicht des weiteren mit einem Hinweis auf die Lehren des Don Juan, dem mexikanischen spirituellen Führer des amerikanischen Ethnologen Carlos Castaneda:
Juan Matus sagt uns (durch Carlos), daß ein Weg nur ein Weg ist, dem man nur folgen sollte, wenn er nicht gegen die inneren Gefühle und Überzeugungen verstößt. Die Entscheidung, ihm zu folgen oder ihn zu verlassen, sollte allerdings nicht auf »Furcht oder Ehrgeiz« beruhen. Ein »Krieger« unterscheidet sich von Durchschnittsmenschen, weil er konsequent einen »Weg mit Herz« wählt, sagen Castanedas Lehrer. Der »Krieger« weiß, daß der Weg ein Herz hat, wenn er oder sie auf ihm »einen großen Frieden und Freude« findet. Der Weg mit Herz gewährleistet eine »frohe Reise«, während der ohne Herz nur mit Flüchen und Entkräftungen gepflastert ist. (Carlos Castaneda, A Separate Reality und The Teachings of Don Juan, dt. Eine andere Wirklichkeit und Die Lehren des Don Juan)
Wir bleiben in der nächsten Folge noch bei der Erde und dem “Weg des Herzens”, — und dies wie immer in der nächsten Folge am kommenden Donnerstag, den 27. Juli
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