Das let­zte Kapi­tel im Buch von Jack Forbes “Colum­bus & andere Kan­ni­balen. Die indi­an­is­che Sicht der Dinge” über die Wétiko-Seuche in der Men­schheit trägt den Titel: Einen guten Pfad find­en. Den Pfad des Herzens. Was ver­ste­ht Forbes darunter?

An allererster Stelle die tiefe Erken­nt­nis — nicht nur als “Kopfwis­sen” — dass wir keine unab­hängi­gen, sich selb­st genü­gen­den Wesen sind.
Nichts von dem, was wir tun, tun wir selb­st­ständig. Wir hören nicht selb­ständig. Wir atmen, essen, trinken, scheis­sen, pis­sen und furzen nicht selb­ständig. Wir denken, träu­men, erfind­en oder zeu­gen nicht selb­ständig. Wir ster­ben nicht selb­ständig.
Was die Bäume ausat­men, atme ich ein. Was ich ausatme, atmen die Bäume ein. Wir bilden gemein­sam einen Kreis. Wenn ich atme, atme ich den Atem von Mil­liar­den heute ver­gan­gener men­schlich­er, vier­beiniger und ander­er Völk­er. (…)
Wer war meine Mut­ter? Ein Ei? Wer war mein Vater — ein kleines Tier, das Sper­mi­um genan­nt wird? Aber woher kamen dieses Ei und das Sper­mi­um? Sie wuch­sen im Inneren ein­er Frau und im Inneren eines Mannes, aber sie hat­ten ihre eige­nen Leben­sp­fade, die sich von denen der Frau und des Mannes unter­schei­den. Ihre Kör­p­er, das Fleisch, mein Vor­fahr, er wuchs in ihrem Innern, und was war es? Es war die Erde, es war der Him­mel, es war die Sonne, es waren die Pflanzen und Tiere. Wir sind glück­lich, so viele wun­der­bare Müt­ter und Väter zu haben.

Wir mod­er­nen Europäer leben heute schw­er­punk­t­mäs­sig auf der men­tal­en Ebene. Als Beweis dafür genügt es, sich ein­mal für ein paar Momente unser “Kopfki­no” bewusst zu machen. Und dann obi­gen Text noch ein­mal med­i­ta­tiv — also für eine Weile bei jedem Satz verbleibend und darüber nachsin­nend — zu lesen. Wir befind­en uns so zwar immer noch auf der men­tal­en Ebene, aber vielle­icht öffnet sich dabei plöt­zlich “ein Türchen”, das uns zum Ver­ständ­nis auf ein­er tief­er­en Ebene führt, — ver­bun­den mit Staunen oder mit Fra­gen, die wir uns noch nie gestellt haben …

Forbes führt seine Gedanken dann mit einem zen­tralen Bild indi­ge­nen Denkens weit­er: dem Kreis.
Ich lebe in einem Uni­ver­sum. Ich bin ein Pünk­tchen Wahrnehmung, ein Bewusst­sein­skreis inner­halb eines Ablaufs von Kreisen. Der eine Kreis ist das, was wir “Kör­p­er” nen­nen. Er selb­st ist ein Uni­ver­sum voll von Mil­lio­nen klein­er Lebe­we­sen, die ihre “sep­a­rat­en”, aber voneinan­der abhängi­gen Leben haben. (…)
Ein ander­er Kreis ist der jen­er Dinge, von denen ich voll­ständig abhängig bin — Luft, Wass­er, usw. Ein weit­er­er ist der Kreis all der Dinge, die mein Bewusst­sein füllen — Dinge, die ich sehe, rieche, höre, usw. … Wieder ein ander­er Kreis ist die Quelle mein­er Träume, meines Bewusst­seins, mein­er Ein­sicht­en, Begabun­gen oder Kräfte, Ideen und “Intu­itio­nen”.

Aber all diese “Kreise” sind nicht wirk­lich voneinan­der getren­nt, sie sind alle gegen­seit­ig abhängig, ver­mis­chen sich, über­lagern sich und bewe­gen sich in- und auseinan­der. Und diese gegen­seit­ige Abhängigkeit fliesst mit dem Kreis der “Liebe” zusam­men, jen­em Mys­teri­um, jen­em “Kleis­ter”, der das alles zusam­men­hält. Wis­senschaftler mögen es “Attrak­tiv­ität” oder “Affinität” nen­nen, “Mag­net­ismus” oder “Schw­erkraft”, “Zunei­gung”, “Sym­biose”, “Ver­wandtschaft”, “Gemein­schaft”, “Fam­i­lie”, “Anteil­nahme” oder wie auch immer. Aber es gibt eben diesen Kreis, diesen geheimnisvollen Kreis, der das Leben möglich macht.

Und dann fol­gt eine erneute Kri­tik am “west­lichen Denken”: Allerd­ings vol­lziehen mod­erne Europäer und und andere Mate­ri­al­is­ten und Dog­matik­er sel­ten eine solche Analyse, die auf empirisch­er Offen­heit und dem aufrichti­gen Wun­sch zu ler­nen basiert. Stattdessen, lassen sie es zu, dass Mythen und Dog­men ihre Vorstel­lun­gen verz­er­ren oder dik­tieren. (…). Es ist vielle­icht so, dass viele Europäer ein­fach keine Mys­tik ver­tra­gen kön­nen, beson­ders nicht in der “realen Welt”. Im Gegen­satz geben Native Peo­ple zu, dass es ein Geheim­nis gibt, und sie nehmen freudig die Auf­gabe wahr, in ein­er so wun­der­vollen Welt zu leben.

Auch die Liebe gehört dazu.

Eigentlich müssten solche Über­legun­gen auch im Chris­ten­tum einen zen­tralen Platz ein­nehmen. Tun sie aber offen­sichtlich nicht. Hat vielle­icht der englis­che Schrift­steller G.K. Chester­ton recht, wenn er in seinem Buch “What’s wrong in the world” fest­stellt, dass das Chris­ten­tum nicht gescheit­ert sei. Es sei nur noch nicht aus­pro­biert wor­den ?
Genau dieser Frage wird das birsfaelder.li in der am kom­menden Sam­stag begin­nen­den Serie “Chris­ten­tum und Gno­sis” nachge­hen.

Wir bleiben in der näch­sten Folge bei Forbes Gedanken zur Liebe — und zum Tod, — und dies wie immer in der näch­sten Folge am kom­menden Don­ner­stag, den 2o. Juli

An anderen Serien inter­essiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hein­er Koech­lin / Simone Weil / Gus­tav Meyrink / Nar­rengeschicht­en / Bede Grif­fiths / Graf Cagliostro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­woche und Don­ald Trump / Die Welt­woche und der Kli­mawan­del / Die Welt­woche und der liebe Gott /Lebendi­ge Birs / Aus mein­er Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reich­sidee /Voge­sen Aus mein­er Bücherk­iste / Ralph Wal­do Emer­son / Fritz Brup­bach­er  / A Basic Call to Con­scious­ness / Leon­hard Ragaz

Mattiello am Mittwoch 23/28
Die Reichsidee 95

Deine Meinung