Dass es seit einiger Zeit eine Debatte darüber gibt, ob überhaupt — und wenn ja, inwiefern — das Bündnis der Irokesen einen Einfluss auf die Verfassung der Vereiningten Staaten gehabt habe, ist vor allem zwei amerikanischen Historikern zu verdanken: Donald A. Grinde, Professor an der Universität Buffalo /New York, und Bruce E. Johansen, Professor an der Universität Omaha/Nebraska.
“Den Startschuss” für eine Revision der offiziellen Geschichtsschreibung zur Entstehung der amerikanischen Verfassung gab Grinde 1977 mit seinem Buch “The Iroquois and the Founding of the American Nation”, 1982 gefolgt von Forgotten Founders: How the American Indian Helped Shape Democracy von Johansen. Inzwischen ist die Literatur zum Thema — ganz abgesehen von Fachartikeln — stark angewachsen:
Bruce E. Johansen beschreibt in der Einführung zu seinem Buch “Debating Democracy”, wie er auf das Thema stiess:
Als ich mich vor zwei Jahrzehnten an der University of Washington auf die Suche nach einem Dissertationsthema machte, suchte ich nach einem Thema, das mich intellektuell anspornen, das aber auch ein Publikum ansprechen und an einigen historischen “Käfigen” rütteln würde. Der Gedanke, dass die Haudenosaunee (Irokesen) die Ursprünge der Demokratie in Amerika mitgestaltet haben, kam für mich damals überraschend. Der Gedanke ergab für mich erst Sinn, als ich begann, die historischen Umstände zu umreissen, die zu dieser Synthese von Ideen führten. Ich erkannte zum Beispiel den Einfluss der Irokesen-Konföderation auf die Diplomatie des 18. Jahrhunderts, die bei den englischen Kolonisten das Bedürfnis erweckte, deren politisches System zu beobachten.
Um 1744 setzte Benjamin Franklin die Ermahnungen von Canassatego, dem Onondaga-Sachem (Häuptling) und Tadadaho (Sprecher) der Irokesen-Konföderation, in die Tat um, dass sich die englischen Kolonisten nach einem föderalen Modell wie dem der Irokesen zusammenschließen sollten:
Unsere weisen Vorväter haben die Union und die Freundschaft zwischen den Fünf Nationen begründet. Das hat uns stark gemacht und uns großes Gewicht und Autorität bei unseren Nachbarvölkern verliehen. Wir sind eine mächtige Konföderation, und wenn ihr dieselben Methoden befolgt, die unsere weisen Vorväter angewandt haben, werdet ihr viel Kraft und Macht erlangen; was auch immer euch widerfährt, streitet euch nicht untereinander.
Langsam entfaltete sich vor mir eine interessante Abfolge historischer Ereignisse und Beziehungen.
Franklin entwickelte sich, nachdem er Canassategos Worte in Schrift gesetzt hatte, vom Drucker zum Diplomaten. Seine ersten Missionen als Staatsmann führten ihn in den frühen 1750er Jahren zu den Irokesen, als er gerade Pläne für seinen ersten Versuch einer kolonialen Union im Albany-Plan von 1754 zusammenstellte.
Er beobachtete bei den Irokesen eine föderale Republik, die von lokalen und nationalen Räten regiert wurde, die ihre Anführer im Konsensverfahren auf Clanbasis wählten. Der Große Rat der Irokesen in Onondaga funktionierte wie die Einhaus-Legislative, für die sich Franklin sein ganzes Leben lang einsetzen würde, mit einem strengen traditionellen Protokoll.
Zu meiner Überraschung erfuhr ich, wie eng die Irokesen mit der kolonialen Staatskunst verflochten waren. Die Delegierten wurden mit irokesischen Redewendungen zum Kongress in Albany gerufen. Sie kamen, um “die Kette zu erhellen” (brighten the chain) und “unter dem Friedensbaum” zu sitzen, so wie sich die Patrioten, die in Boston “Tee ausschenkten” und eine Verkleidung brauchten, symbolisch als Mohawks verkleideten — Angehörige einer der Nationen, die die Irokesen-Konföderation bildeten.
Die Führer der Irokesen wurden im Frühjahr 1775 nach Philadelphia eingeladen, um die Debatten über die Unabhängigkeitserklärung zu verfolgen. Die Tatsache, dass es sich um offizielle Gäste handelte, wurde durch ihre Unterbringung deutlich. Die Irokesen übernachteten im zweiten Stock des Pennsylvania Statehouse, der späteren Independence Hall, direkt über dem Saal, in dem die Debatten stattfanden. In diesem Saal gab die Irokesen-Delegation John Hancock am 11. Juni 1776 den irokesischen Namen “Karanduawn”, was “Großer Baum” bedeutet.
Johansen ahnte, dass sein Buch bei etablierten historischen Kapazitäten wohl massiven Widerspruch hervorrufen würde. Wie recht er hatte, zeigt die nächste Folge
am kommenden Donnerstag, den 16. Februar.
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