In den achtziger und neun­ziger Jahren ent­bran­nte dann eine heftige Debat­te, die unter ein­er grossen Medi­en­res­o­nanz geführt wurde und sich durch ein in diesem Aus­mass noch nicht bekan­ntes Engage­ment indi­an­is­ch­er Wis­senschaftler und Poli­tik­er für ein The­ma ausze­ich­nete, das die etablierten Sozial- und Geschichtswis­senschaften son­st wohl rasch als obskure Verir­rung bei­seite gelegt haben wür­den. Die iroke­sis­chen Ver­fechter der Ein­flussthese wie John Mohawk und Oren Lyons und ihre Unter­stützer, allen voran Bruce Johansen und Don­ald A. Grinde, nah­men die Gele­gen­heit wahr, die lange Zeit dominieren­den Inter­pre­ta­tio­nen der nichtin­di­an­is­chen Eth­nolo­gie und Geschichtswis­senschaften mit eige­nen Geschichts­deu­tun­gen zu kon­fron­tieren.

So fasst Thomas Wag­n­er den langsamen Umbruch hin zum Ern­st­nehmen indi­gen­er Posi­tio­nen zusam­men, die darauf pocht­en, entschei­dende Ele­mente zur Entste­hung der Demokratie beige­tra­gen zu haben, — und er fährt fort:
Zugle­ich war­ben sie für die poli­tis­chen Ziele ihrer Gemein­schaften, die sich nach wie vor als sou­veräne Natio­nen begreifen, sich kein­er staatlichen Zen­tral­ge­walt unter­wor­fen fühlen und auf ihrem Recht behar­ren, sich selb­st mith­il­fe von Insti­tu­tio­nen zu regieren, die den Prinzip­i­en des Grossen Friedens­ge­set­zes entsprechen sollen.

Wie wenig ern­stgenom­men dieser Anspruch seit­ens der Weis­sen genom­men wurde, zeigt die Geschichte von Deska­heh, der 1924 beim Völker­bund verge­blich für die Anerken­nung der Iroke­sen-Föder­a­tion als sou­veränes Staats­ge­bilde gekämpft hat­te. Noch viel weniger Ver­ständ­nis fand und find­et der Anspruch iroke­sis­ch­er Aktivis­ten, mit ihrem Regierungsmod­ell den euroamerikanis­chen im Grunde über­legen zu sein.

So pos­tulierte etwa der Lang­haustra­di­tion­al­ist John Mohawk, dass die west­liche Demokratie von indi­an­is­chen Vor­bildern zwar gel­ernt, aber längst nicht aus­gel­ernt habe:

Wenn indi­an­is­ches Gedankengut Europa bee­in­flusstewas David Grae­ber inzwis­chen zweifels­frei nachgewiesen hat — , warum geht dann soviel Zer­störung vom mod­er­nen Europa aus? Mit Recht kann man sich diese Frage stellen. Ich behaupte, dass unsere Ideen nicht voll­ständig ver­ar­beit­et sind. Die mod­erne west­liche Welt ist noch noch nicht erwach­sen; sie hat sich schon früh verir­rt und die Über­sicht ver­loren. Vielle­icht fehlt euch auch die Fähigkeit, die Ganzheit unser­er Ideen zu begreifen.

Und mit einem safti­gen Seit­en­hieb auf die amerikanis­che Aussen­poli­tik:
Dik­ta­toren in Mit­te­lameri­ka, Dik­ta­toren in Südameri­ka, Dik­ta­toren in Asien und Afri­ka, der Abschaum der Welt, — und die Vere­inigten Staat­en schick­en diesen Leuten Waf­fen und Kugeln und sagen, sie wür­den die Demokratie schützen. Und allzu oft, wenn sich ein demokratis­ch­er Impuls entwick­elte, hat unsere Regierung die Augen davor ver­schlossen, ist wegge­gan­gen und hat ihn ver­leugnet.

Der Sprech­er des Iroke­sen-Rates in Ononda­ga Leon Shenan­doah erk­lärte, die amerikanis­chen Kolonis­ten hät­ten zwar ver­sucht, die iroke­sis­che Form der Regierung zu kopieren, aber sie hät­ten — und das sei entschei­dend — die dahin­ter­liegende Spir­i­tu­al­ität nicht über­nom­men.
Thomas Wag­n­er zitiert dazu eine passende Anek­dote:
Auf ein­er Kon­ferenz im kanadis­chen Mon­tre­al soll ein marx­is­tis­ch­er Teil­nehmer einen Häuptling aufge­fordert haben, die religiösen Rit­uale vor der Ver­samm­lung zu been­den und sich ern­sthaften Angele­gen­heit­en zu wid­men. Daraufhin sei der Mohawk Tom Porter aufge­s­tanden und habe den Marx­is­ten darüber aufgek­lärt, wie stark seine iroke­sis­chen Vor­fahren nicht nur Ben­jamin Franklin und Thomas Jef­fer­son, son­dern auch Karl Marx und Friedrich Engels bee­in­flusst hät­ten. Deshalb könne nun kein Urgrossenkel von Karl Marx daherkom­men und bes­tim­men, wie sie ihre Angele­gen­heit­en organ­isieren soll­ten.

Selb­stver­ständlich darf auch der Hin­weis nicht fehlen, dass die Iroke­sen-Kon­föder­a­tion den Frauen eine gle­ich­berechtigte Rolle in der Gemein­schaft zuwies, lange bevor die Weis­sen von ein­er Emanzi­pa­tion der Frauen auch nur träumten:
Eine aus Kah­nawake stam­mende Clan­mut­ter des Bear Clans ver­wies Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhun­derts auf die Rechte iroke­sis­ch­er Frauen: “The women of the Six Nations feel they were lib­er­at­ed cen­turies ago with the estab­lish­ment of the Great Law of Peace”.

In der übernäch­sten Folge spricht John Mohawk über die von den Weis­sen nicht rezip­ierte indi­an­is­che Spir­i­tu­al­ität. Vorher aber machen wir uns noch ein paar Gedanken über Spir­i­tu­al­ität an sich, — und dies wie immer

am kom­menden Don­ner­stag, den 21. Dezem­ber

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