Fort­set­zung des Doku­ments, das im Herbst 1977 der Men­schen­rechts­kom­mis­si­on der UNO in Genf von einer iro­ke­si­schen Dele­ga­ti­on vor­ge­legt wur­de. Ein Kom­men­tar dazu erscheint im August.

DIE OFFENSICHTLICHE TATSACHE UNSERER FORTDAUERNDEN EXISTENZ
RECHTSGESCHICHTE DER HAU DE NO SAU NEE

Seit Beginn der Mensch­heits­ge­schich­te haben die Hau de no sau nee die Gebie­te, die wir unse­re Hei­mat nen­nen, bewohnt. Die­se Besied­lung war sowohl orga­ni­siert als auch kon­ti­nu­ier­lich. Wir haben seit lan­gem die Gren­zen unse­res Lan­des fest­ge­legt, seit lan­gem das aus­schließ­li­che Nut­zungs­recht für die Gebie­te inner­halb die­ser Gren­zen bei­be­hal­ten und die­se Ter­ri­to­ri­en als wirt­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Defi­ni­ti­on unse­rer Nati­on genutzt.

Die Hau de no sau nee sind ein eigen­stän­di­ges Volk mit eige­nen Geset­zen und Bräu­chen, eige­nen Ter­ri­to­ri­en, eige­ner poli­ti­scher Orga­ni­sa­ti­on und eige­ner Wirt­schaft. Kurz gesagt, die Hau de no sau nee, oder Six Nati­ons, ent­spre­chen in jeder Hin­sicht jeder Defi­ni­ti­on von Nation.

Wir ver­fü­gen über eine der kom­ple­xes­ten sozi­al­po­li­ti­schen Struk­tu­ren, die es auf der Welt noch gibt. Der Rat der Hau de no sau nee ist auch eine der ältes­ten kon­ti­nu­ier­lich funk­tio­nie­ren­den Regie­run­gen auf die­sem Pla­ne­ten. Unse­re Gesell­schaft ist eine der kom­ple­xes­ten über­haupt. Unse­re sozia­len und poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen haben  eini­ge der wich­tigs­ten Insti­tu­tio­nen und poli­ti­schen Phi­lo­so­phien der moder­nen Welt inspiriert.

Die Hau de no sau nee wer­den von einer Ver­fas­sung regiert, die bei den Euro­pä­ern als die “Ver­fas­sung der Sechs Natio­nen” und bei den Hau de no sau nee als  “Gaya­nas­hak­go­wah” oder  “Gro­ßes Gesetz des Frie­dens” bezeich­net wird. Es ist das ältes­te noch leben­di­ge Doku­ment der Welt, in dem die Frei­hei­ten aner­kannt wer­den, wel­che die west­li­chen Demo­kra­tien neu­er­dings für sich bean­spru­chen: Rede­frei­heit, Reli­gi­ons­frei­heit und das Recht der Frau­en auf Betei­li­gung an der Regie­rung. Das Kon­zept der Gewal­ten­tei­lung in der Regie­rung und der Kon­trol­le und des Gleich­ge­wichts der Macht inner­halb der Regie­run­gen sind auf unse­re Ver­fas­sung zurück­zu­füh­ren. Es sind Ideen, die die Kolo­nis­ten durch den Kon­takt mit den nord­ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­nern, ins­be­son­de­re den Hau de no sau nee, gelernt haben.

Auch die sozia­lis­ti­schen Phi­lo­so­phien sind bis zu einem gewis­sen Grad auf den euro­päi­schen Kon­takt mit den Hau de no sau nee zurück­zu­füh­ren. Lewis Hen­ry Mor­gan unter­such­te die Wirt­schafts­struk­tur der Hau de no sau nee, die er sowohl als pri­mi­tiv als auch als kom­mu­nis­tisch bezeich­ne­te. Karl Marx nutz­te Mor­gans Beob­ach­tun­gen für die Ent­wick­lung eines Modells für eine klas­sen­lo­se, post­ka­pi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft. Die moder­ne Welt ist durch die Tat­sa­che unse­rer Exis­tenz stark beein­flusst worden.

Es mag heu­te selt­sam erschei­nen, dass wir noch hier sind und die offen­sicht­li­che Tat­sa­che unse­rer fort­dau­ern­den Exis­tenz behaup­ten. Unzäh­li­ge Jahr­hun­der­te lang wur­de die Tat­sa­che unse­rer Exis­tenz nicht in Fra­ge gestellt, und für alle ehr­li­chen Men­schen bleibt sie auch heu­te unbe­strit­ten. Wir haben seit Men­schen­ge­den­ken exis­tiert. Wir haben immer unse­re eige­nen Ange­le­gen­hei­ten von unse­rem Ter­ri­to­ri­um aus, nach unse­ren eige­nen Geset­zen und Gebräu­chen gere­gelt. Im Rah­men die­ser Geset­ze und Gebräu­che haben wir nie­mals bereit­wil­lig  auf unse­re Gebie­te oder unse­re Frei­hei­ten ver­zich­tet. Nie­mals in der Geschich­te der Hau de no sau nee haben das Volk oder die Regie­rung einem euro­päi­schen Sou­ve­rän die Treue geschwo­ren. In die­ser ein­fa­chen Tat­sa­che lie­gen die Wur­zeln unse­rer Unter­drü­ckung als Volk und der Grund für unse­re Rei­se hier­her, vor die Weltgemeinschaft.

Die Pro­ble­me, die sich aus der jüngs­ten “Rechts­ge­schich­te” der Hau de no sau nee erge­ben, began­nen lan­ge vor dem euro­päi­schen Kon­takt mit den Urein­woh­nern. Sie began­nen schon mit dem Auf­kom­men eines Sys­tems, das man in Euro­pa Feu­da­lis­mus nann­te, denn das ein­zi­ge Recht, das die kolo­ni­sie­ren­den Län­der Euro­pas jemals aner­kann­ten, war das Feu­dal­recht, — eine Tat­sa­che, die sie über vie­le Jahr­hun­der­te hin­weg vor ihrem eige­nen Volk wie auch vor den Urein­woh­nern ver­bar­gen. Die­se Tat­sa­che bleibt jedoch die wesent­li­che Rea­li­tät der Rechts­be­zie­hun­gen, die zwi­schen den indi­ge­nen Völ­kern und den indo­eu­ro­päi­schen Gesell­schaf­ten bestehen.

Die Feu­dal­ge­sell­schaft in Euro­pa scheint das Ergeb­nis einer Rei­he von Bedin­gun­gen zu sein, die sich aus dem Zer­fall des Römi­schen Rei­ches erga­ben. Sie basier­te auf einem Sys­tem, in dem die Her­ren der Krie­ger­kas­te stark genug wur­den, um von den Krie­gern Lehn­s­pflicht zu ver­lan­gen und zu erzwin­gen. Im All­ge­mei­nen ent­stand ein Ver­wal­tungs­zen­trum, in der Regel eine Burg, und um die­se her­um leb­ten Bau­ern, die in der Regel von ihrem “Herrn”, dem Guts­herrn, vor Angrif­fen von außen geschützt wur­den. Es ist wahr­schein­lich, dass neue Tech­no­lo­gien auf­ka­men, die eine Wirt­schaft schu­fen, wel­che die Feu­dal­ge­sell­schaft in Euro­pa sowohl mög­lich als auch viel­leicht sogar unver­meid­lich machte.

Der Feu­dal­herr übte oft dik­ta­to­ri­sche Macht über sei­ne “Unter­ta­nen”, ins­be­son­de­re die Bau­ern, aus. Auf­grund der stän­di­gen Feh­den zwi­schen den ver­schie­de­nen Feu­dal­her­ren war mili­tä­ri­scher Schutz not­wen­dig. Die “fried­li­chen Leu­te”, die Bau­ern, befan­den sich zwi­schen Ham­mer und Amboss. Das Land und alles, was sich dar­auf befand, ein­schließ­lich der Tie­re, Pflan­zen und Men­schen, stand unter der Herr­schaft des Feu­dal­herrn. Die­ser Herr ver­lang­te Loya­li­tät und einen Teil des Ertrags des Bau­ern sowie einen Teil sei­ner Arbeits­kraft. Der Feu­da­lis­mus konn­te weit­aus bru­ta­ler und ernied­ri­gen­der sein, als es in vie­len Geschich­ten dar­ge­stellt wird. Eini­ge Feu­dal­her­ren übten das so genann­te “Recht der ers­ten Nacht” aus, ein Brauch, der sich auf das Recht eines Her­ren auf die Braut eines Bau­ern bezog.

Vor dem Auf­kom­men des Feu­da­lis­mus waren die Mehr­zahl der euro­päi­schen  Bau­ern loka­le Stam­mes­an­ge­hö­ri­ge ver­schie­de­ner Art. Der Feu­da­lis­mus führ­te das Kon­zept sou­ve­rä­ner, dik­ta­to­ri­scher Herr­scher ein, deren Herr­schaft mit mili­tä­ri­scher Macht durch­ge­setzt wur­de, und brach­te so das eigent­li­che euro­päi­sche Bau­ern­tum hervor.

Die Her­aus­bil­dung einer zen­tra­li­sier­ten Exe­ku­tiv­ge­walt dient dazu, zivi­li­sier­te Gesell­schaf­ten von pri­mi­ti­ven Gesell­schaf­ten zu unter­schei­den. Dabei ist es uner­heb­lich, ob die­se Kon­trol­le in einer feu­da­len Burg oder in den Exe­ku­tiv­bü­ros der Haupt­städ­te der Natio­nal­staa­ten ange­sie­delt ist. Das Auf­tau­chen des hier­ar­chi­schen Staa­tes mar­kiert den Über­gang vom Bau­ern als frei­er Nah­rungs­mit­tel­pro­du­zent im All­ge­mei­nen zu der spe­zi­fi­sche­ren Defi­ni­ti­on, die in den Kon­zep­ten des mit­tel­al­ter­li­chen leib­ei­ge­nen Bau­ern­tums ent­hal­ten ist. Wenn der Bau­er von einer Gesell­schaft abhän­gig und in sie inte­griert wird, in der er den For­de­run­gen von Men­schen unter­wor­fen ist, die durch eine ande­re Klas­se als die eige­ne defi­niert sind, wird er ange­mes­sen als Leib­ei­ge­ner bezeichnet.

Die Lage der mit­tel­al­ter­li­chen euro­päi­schen Bau­ern war nicht gera­de ange­nehm. Bau­ern haben kei­ne Rech­te, außer denen, die ihnen von ihrem Herrn gewährt wer­den. Sie kön­nen das Land nicht als Volk besit­zen. Nur der Herr­scher besitzt Sou­ve­rä­ni­tät. Bau­ern wur­den oft wie Vieh behan­delt. Sie wur­den gekauft, ver­kauft und mit dem Land ver­erbt. Sie waren ein Volk, das sei­ner Frei­heit beraubt wor­den war. Zu einem bestimm­ten Zeit­punkt in der Geschich­te wur­den die Stam­mes­völ­ker Euro­pas durch eine Kom­bi­na­ti­on von Kräf­ten, vor allem durch mili­tä­ri­schen Druck, zu unfrei­en Bauern.

Ein Bau­er ist kein Mit­glied einer ech­ten Gemein­schaft von Men­schen. Sei­ne Gemein­schaft ist ohne die Stadt unvoll­stän­dig. Es ist der Han­del mit der Stadt, eine wirt­schaft­li­che Bezie­hung, die die Anfän­ge des Bau­ern­tums bestimmt. Je not­wen­di­ger der Han­del wird, aus wel­chen Grün­den auch immer, des­to weni­ger ist der Stam­mes­an­ge­hö­ri­ge ein Stam­mes­an­ge­hö­ri­ger und des­to mehr ist er ein Bau­er. Die­ser Pro­zess ist weder unmit­tel­bar noch zwangs­läu­fig abso­lut, aber in dem Maße, in dem ein Stam­mes­an­ge­hö­ri­ger abhän­gig und unfrei wird, wird er weni­ger ein Stammesangehöriger.

Fort­set­zung mor­gen Frei­tag, den 15. Juli

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