Da ging es letz­hin um Abhän­gig­keit, Unab­hän­gig­keit und Schwei­zer Geschich­te. Das möch­te ich noch ein wenig vertiefen.
Das letz­te Jahr­hun­dert hat doch wirk­lich bewie­sen, wohin Abgren­zung füh­ren kann. Die Idee von Euro­pa heu­te ist das Ergeb­nis aus den Erfah­run­gen der Welt­krie­ge. Des­halb ist es unse­re wich­tigs­te Auf­ga­be, immer wie­der auf­zu­klä­ren, zu Tole­ranz und Ver­ständ­nis zu erzie­hen. Sonst kom­men die Rat­ten­fän­ger mit ihren Paro­len und machen Stim­mung! Man hört sie schon immer häu­fi­ger, sie sind im Kommen …

Und sie wol­len uns sogar unse­re Geschich­te neh­men. Nur tre­ten sie nicht als Geschicht­leh­rer auf, son­dern als dau­ern­de War­ner vor dem Ver­lust der soge­nann­ten Unab­hän­gig­keit. So gesche­hen vor kur­zem mit dem Refe­ren­dum »Nein zum EU-Waf­fen­recht«, vor eini­ger Zeit mit der »Selbst­be­stim­mungs­in­itia­ti­ve« und wohl dem­nächst mit einer »Initia­ti­ve zur Kün­di­gung der bila­te­ra­len Ver­trä­ge«. Sie war­nen dau­ernd vor einer »Glo­ba­li­sie­rung« der Poli­tik (wobei die Glo­ba­li­sie­rung der Wirt­schaft offen­bar kein Pro­blem ist) und natür­lich mit dem Lieb­lingstopos von Chris­toph Blo­cher, den frem­den Rich­tern.

Und dafür wird auch immer die Schwei­zer Geschich­te bemüht, vom Rüt­li­schwur bis Marigna­no oder Sol­fe­ri­no. Am belieb­tes­ten jedoch sind Zita­te von Fried­rich Schil­ler, dem die­se Leu­te so qua­si die Geschichts­schrei­bung* unse­res Lan­des über­las­sen — einem Aus­län­der nota­be­ne! Z.B.:

Der Star­ke ist am mäch­tigs­ten allein.
Ers­ter Auf­zug, drit­ter Auf­tritt in Wil­helm Tell, Fried­rich Schil­lers gleich­na­mi­gem Drama.

Man könn­te aber auch sagen: Der Star­ke ist dann mäch­tig allein. Oder wie Caro­lin Emcke sag­te: Allein ist nie­mand ein­zig­ar­tig, son­dern nur allein.

Anders beur­teil­te dies Mar­cel Reich-Rani­cki, der in einem Inter­view zum The­ma “Wel­che der gän­gi­gen Schil­ler-Zita­te hal­ten Sie für bedau­er­lich oder falsch oder gar töricht?“:
»Der Star­ke ist am mäch­tigs­ten allein. Dies hat Schil­ler den Tell sagen las­sen, viel­leicht, um zu zei­gen, dass der tüch­ti­ge Schüt­ze nicht sehr intel­li­gent ist. Denn der Star­ke ist am mäch­tigs­ten, wenn er sich mit ande­ren Star­ken verbündet.«

Aber Schil­lers Wil­helm Tell ist nicht der Ego­ist, als den man ihn sich nun den­ken könn­te, denn zum Schluss sagt er doch noch: »Bedürft ihr mei­ner zu bestimm­ter Tat, Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht feh­len.« Nur das Pro­blem beim Tell ist, dass es ihn wohl kaum je gege­ben hat, er eine Erfin­dung ist, ja sogar von einer nor­di­schen Sage abge­kup­fert wur­de. Aber die Geschich­te macht sich gut, das Tel­len-Denk­mal in Alt­dorf ist wun­der­bar, und erst das Tel­len-Denk­mal in Uru­gu­ay vor dem unser Aus­sen­mi­nis­ter so stolz posier­te (Coop­zei­tung 14. Mai 2019), ein­fach sagenhaft …

Schwei­zer Geschichte
als poli­ti­sches Argument?

Ein ande­rer ger­ne zitier­ter Mann ist der Bru­der Klaus von Flüeli, vor allem mit der Mahnung:

Machet den zun nyt zuo wyt!
Machet den Zaun nicht zu weit!

Dazu der Tages­an­zei­ger:
»Erfun­den hat es 1537, ein hal­bes Jahr­hun­dert nach dem Tod des Ere­mi­ten, der Luzer­ner Gerichts­schrei­ber Hans Salat. Die­ser war einer der begab­tes­ten Wort­füh­rer der Inner­schweiz gegen die Refor­ma­ti­on. Ein Jahr vor sei­ner Bio­gra­fie über Niklaus von Flüe hat­te er die Streit­schrift “Chro­nik vom Anfang des neu­en Unglau­bens“ ver­öf­fent­licht (wor­auf der Zür­cher Refor­ma­tor Hein­rich Bul­lin­ger mit der Pole­mik “Salz zum Salat“ gekon­tert hatte).
Hans Salats Ein­spruch gegen die Aus­wei­tung der Eid­ge­nos­sen­schaft rich­te­te sich gegen die Aus­brei­tung der Refor­ma­ti­on in der Roman­die. Robert Dur­rer, der Pio­nier der Bru­der-Klau­sen-For­schung, hat 1917 in sei­nem Quel­len­werk dazu geschrie­ben: “Die angeb­li­che War­nung, den Zaun der Eid­ge­nos­sen­schaft zu erwei­tern, fällt zeit­lich zusam­men mit den Bestre­bun­gen (des refor­mier­ten) Gen­fs, in den schwei­ze­ri­schen Schutz­kreis zu tre­ten, und mit dem Wider­stand der Katho­li­ken, die Neu­erwer­bun­gen Berns im Waadt­land als eid­ge­nös­si­sches Ter­ri­to­ri­um anzuerkennen.“«

Das bringt dann Poli­ti­ker wie Andre­as Glar­ner dazu, in einem Inter­view mit dem Tages­an­zei­ger den Zaun wie­der enger zu machen:
»Tages­an­zei­ger: Wel­che Asyl­po­li­tik schla­gen sie denn vor?
A. Glar­ner: Die Schweiz muss ihre grü­ne Gren­ze mit einem Sta­chel­draht­zaun abrie­geln. Es wird zu einer Flücht­lings­in­va­si­on kom­men. Frank­reich ist zu, Öster­reich macht zu, die Bal­kan­rou­te ist zu. Der ein­zi­ge Weg nach Euro­pa führt über Ita­li­en. Ita­li­en ist aber kein Ziel­land. Die Flücht­lin­ge kom­men in die Schweiz.«
Das gan­ze Inter­view lesen Sie hier

Schwei­zer Geschich­te als poli­ti­sches Argument?

Viel­leicht soll­ten wir uns die däni­sche Indus­trie­de­si­gne­rin Ceci­lie Manz als Bei­spiel neh­men und immer wie­der den Zaun nied­rig halten:
»Für Däne­mark als klei­nes Land ist es wich­tig, Teil einer gros­sen Gemein­schaft zu sein. Wäre ja furcht­bar, nur im eige­nen Saft zu schmoren.
Die Viel­falt macht Euro­pa aus. Wir leben unse­re Unter­schie­de, tei­len aber die­sel­ben Werte.«

*Fried­rich Schil­ler bedien­te sich bei sei­ner Geschichts­schrei­bung ins­be­son­de­re bei Aegi­di­us Tschu­dis “Chro­ni­con Hel­ve­ti­cum” und Johan­nes von Mül­lers “Geschich­ten der schwei­ze­ri­schen Eidgenossenschaft”

Zum Schluss noch unser »Natio­nal­ge­schichts­schrei­ber«:

Kuo­ni zum Buben:
Lug Sep­pi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
Seppi:
Die brau­ne Lie­sel kenn ich am Geläut.

 

 

 

 

14. Juni 2019 Frauenstreik
Mattiello am Mittwoch 23/19

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