Als Ignaz Troxler Ende September 1805 heimkehrte, fand er eine veränderte Heimat vor: Nach massiven Unruhen hatte Napoleon 1803 die Mediationsakte verfügt, die eine Rückkehr vom Einheitsstaat der Helvetik zum Konzept des Staatenbundes darstellte. Immerhin wurden ein paar Neuerungen der Helvetik beibehalten, z.B. die Abschaffung der Untertanengebiete.
Als an den besten Universitäten ausgebildeter Arzt hatte Troxler kein Problem, in Beromünster sofort eine gut gehende Praxis zu eröffnen. Fachärzte waren rar: In Luzern kam ein Doktor Ende des 18. Jahrhunderts auf 5000 Personen (heute kommen in der Schweiz 4,2 Ärzte auf 1000 Einwohner!). Die einfache Landbevölkerung suchte sog. „Bader“ oder „Afterärzte“ auf, die über ein einfaches medizinisches Repertoire verfügten: Schwitzen, Schröpfen, Abführmittel, Diät — und als Allheilmittel: Aderlass.

Aderlass
Bei den Todesursachen standen an erster Stelle diverse Infektionskrankheiten. Da sowohl Bakterien und Viren noch ihrer Entdeckung harrten, suchte man die Auslöser z.B. in verdorbener Luft, wie der kurze Auszug aus einem Rundschreiben der Luzerner Regierung zeigt: „… Diese faulen Gallenfieber sind solche Fieber, welche von einer verdorbenen Materie herrühren, die durch die warmen Mittag- oder Föhn- und Abend- oder Regenwinde aus der ausdünstenden Erden aufgehoben, mit der Luft vermischt, an vielen Orten in öftere, und dicke Nebel, so gleichsam wie ein Schwamm das Wasser an sich zieht, verhüllt, und von den Menschen samt der Luft durch den Atem in den Mund gezogen, und mit dem Speichel hinein geschluckt wird.“
1806 brach in der Innerschweiz eine Epidemie aus, die allen traditionellen Heilmethoden widerstand und viele Todesopfer forderte. Troxler seinerseits verlor keinen einzigen Patienten. Allerdings war der Grund weniger die korrekte Diagnose als seine Ratschläge zur Hygiene beim Essen und Trinken. (Man vermutet heute, dass es sich bei dieser Epidemie um eine Salmonelleninfektion handelte).
Troxler, im Bewusstsein seines überlegenen medizinischen Wissens, holte alsogleich zu einem Rundumschlag gegen die Misstände und Inkompetenz in seiner Heimat aus: „Wo gibt es noch diese zahllose Menge dummer Bauern, unwissender Weiber, Viehärzte, und Wasenmeister etc. etc., welche Medizin zur Profession machen, und machen können und dürfen wie hier? Wo findet sich noch eine so ungezügelte, oder so lose angehaltene Pfuscherei und Quacksalberei, wie hier? – Es ist beispiellos und schändlich!“
Dieser pauschale Angriff sorgte schon für ziemlichen Unmut. Doch Troxler setzte noch einen drauf: Weil er es verpasst hatte, seine ärztliche Qualifikation beim luzernischen Sanitätsrat bestätigen zu lassen und sich ein Mitglied deswegen beschwerte, griff Troxler auch dessen Kompetenz an.
Das brachte das Fass zum Überlaufen: Es kam zu einer Beschwerde bei der Luzerner Regierung, die postwendend verlangte, dass sich Troxler vor dem Sanitätsrat zu verantworten und sich formell zu entschuldigen habe. Er versuchte zwar anschliessend, mit mehreren Schreiben die Wogen zu glätten und verlangte eine Anhörung vor neutralen Richtern, aber ohne Erfolg. Als Troxler sich weiterhin weigerte dem Befehl Folge zu leisten, erliess die Regierung am 26. April einen Haftbefehl.
Doch zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon nach Aarau, dem Hauptort des neu geschaffenen Kantons Aargau, abgesetzt …
Diese kleine Episode macht deutlich, dass Troxler nicht unbedingt das war, was man „einen pflegeleichten Charakter“ nennt. Was stand hinter seiner angriffigen Haltung in diesem Konflikt: einfach seine unbedingte Liebe zu Wahrheit, oder der Charakterzug einer übertriebenen Arroganz und Sturheit?
Zwei seiner wichtigsten Biografen, Emil Spiess und Daniel Furrer, — auf deren Ausführungen sich diese Folgen übrigens grossenteils beziehen — , sind unterschiedlicher Ansicht:
Emil Spiess: „Dieser erste Streithandel mit Behörden ist auch typisch für alle späteren Auseinandersetzungen Troxlers mit Regierungen und Amtsstellen. Wenn seine Konflikte auch meist auf berechtigten und begründeten Einwänden beruhten, so verdarb er sich immer die Situation, indem er zu wenig Verständnis für die rechtliche Form des Vorgehens oder für die Umstände schwieriger Verhältnisse bewies, oder durch heftige, bissige und grobe Äußerungen seinen Gegnern Waffen in die Hände spielte.“
Daniel Furrer meint zwar auch: „Diese erste Polemik Troxlers sollte typisch für alle späteren Auseinandersetzungen mit Regierungen und Amtsstellen in seiner Heimat werden: Eine sachliche und nüchterne Kritik an Institutionen und Missständen lag Troxler nicht. Seine Streitlust war einfach zu stark, seine bissigen Vorwürfen an die Adresse von Personen machten Kompromisse schwierig bis unmöglich.“
Doch dann zitiert er die Ansicht zweier Zeitzeugen Troxlers: „Troxler, voll feurigen Temperaments, liebte literarische Fehden.“ und „ … Wovon er einmal überzeugt war, dafür kämpfte er mit aller Schärfe seines Geistes und unerschütterlicher Ausdauer. Deshalb traf ihn nur zu oft der Vorwurf rechthaberischer Setzköpferei.“
Der geneigte Leser und die geneigte Leserin ist eingeladen, sich am Ende dieser Troxler-Saga eine eigene Meinung zu bilden :-).
Lassen wir Troxler zum Schluss doch einfach noch selber zu Wort kommen: „Ja meine Seele glüht vor Hass und Liebe, aber weiss Gott, sie sind edler Art, und mein ganzes Leben wird einst die beste Schutzrede meiner einzelnen Handlungen sein“.
Das Fazit dieser Episode war, dass Troxler sich erneut nach Wien aufmachte, wo er sich seit Längerem wieder hingezogen fühlte.
Und Wien wurde für ihn in zweierlei Hinsicht wichtig:
Dort heiratete er 1809 die zwölf Jahre jüngere Auguste Caroline Wilhelmine Polborn aus Potsdam, die er schon bei seinem ersten Wiener Aufenthalt kennengelernt hatte. Sie sollte Troxler über 50 Jahre lang bis zu ihrem Tod in all seinen Projekten und Auseinandersetzungen treu unterstützen.
Ein Bekannter Troxlers äusserte sich über sie: „Eine herrliche Gestalt, von den frischesten, gesundesten Reizen und von dem gebildetsten Verstand, tief eindringend in des Freundes Gedanken und Wünsche, Richtungen und Pläne, und wie Thusnelde und Gertrud Stauffacherin hilfreich zu jeder Stunde mit Rat und Tat, stellte sich Minna Troxler dar, die, so viel ich weiss, eine Verwandte des grossen Philosophen Fichte gewesen ist. Den Blick ihres klaren, durchdringenden Auges, den etwas spöttisch-strafenden Zug in den Mundwinkeln konnte kein Weichling, kein Wasserkopf, kein Junker von der damals üblichen Sorte aushalten.“
Dort entstanden auch jene Werke, in denen er die Grundlage seiner philosophischen Weltanschauung legte, — am Wichtigsten davon „Blicke in das Wesen des Menschen“, auf dessen Inhalt noch in einer eigenen Folge eingegangen wird.
In Wien kam Troxler übrigens auch in Kontakt mit Beethoven, der ihm für geleistete medizinische Dienste dankte: „ … noch einmal meine lebhafteste Danksagung für all Ihre Freundschaft und Gefälligkeit gegen mich. … Halten Sie lieb Ihren Freund Beethoven“.
Kurz nach der Hochzeit kehrte das jungvermählte Paar nach Luzern zurück, um die Braut seiner Mutter vorzustellen. Troxler war offensichtlich der Meinung, dass in der Zwischenzeit die Angelegenheit mit dem Haftbefehl wohl vergessen gegangen sei.
Doch da hatte er sich, wie er nun zu seinem Leidwesen erfahren musste, getäuscht. Er versuchte zwar noch einmal, mit dem Sanitätsrat zu einer gütlichen Einigung zu kommen, doch dieser bestand auf seiner formellen Abbitte. Troxler verweigerte erneut das seiner Meinung nach ungerechtfertigte Ansinnen und forderte noch einmal die Anhörung seines Falles durch neutrale Richter.
Die Folge war, dass der Haftbefehl definitiv in Kraft trat und Troxler im Bruchtor, dem Luzerner Gefängnis, festgesetzt wurde. Seiner Bitte, wenigstens einmal seine Mutter und seine junge Frau sehen zu dürfen, wurde nicht stattgegeben. Er beschwerte sich noch, “… daß außer dem Eintritte von aller Art Personen sich zuweilen auch Landjäger einfinden, die mit der Miene, mit welcher man Schelme fängt, den Hut auf dem Kopf, und überhaupt mit impertinenten Manieren ein- und auftreten.” Aber da war nichts zu machen: Troxer sass als gewöhnlicher Delinquent in einer Gefängniszelle. Nun war guter Rat teuer … bis zur nächsten Folge 🙂
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