Mit Karl Barth und dessen Wahrnehmung durch WW-Chefredaktor Köppel endete die letzte Folge, und mit Karl Barth beginnt die neue.
Gegen Ende des 2. Weltkriegs bekam Barth aus Bern den Stempel der “Moskauhörigkeit” aufgedrückt, nachdem ihm Bundesrat Eduard von Steiger schon 1941 vorgeworfen hatte, wegen seiner beherzten Stellungnahmen gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland die strikte Schweizer Neutralität missachtet zu haben. Von Steiger berief sich auf die Zweireichelehre Luthers:
“Wir erlauben uns keine Einmischung in theologische Dinge”; dort könne Barth ja sagen, was er wolle. Aber er sie nicht dazu berufen, “durch politische Vorträge, wenn auch in kirchliches Gewand gehüllt, die Aufgaben … des schweizerischen Staates zu verfechten.” (aus: Eberhard Busch, Die Akte Karl Barth, Neue Wege: Beiträge zu Religion und Sozialismus, 2009)
China verübt seit Jahren einen Ethnozid an den Uiguren. Die Fakten liegen seit langem auf dem Tisch. Der Bundesrat hat sich zu einem schüchternen Protest durchgerungen. Karl Barth-Fan Köppel fährt deshalb mit vollem Geschütz auf! Weil der Bundesrat zu wenig energisch auf den Tisch klopft?
— Denkste: Der Schweizer Staat ist keine Moral-Anstalt. Er hat sich nicht in chinesische Angelegenheiten einzumischen. … Aussenpolitik ist nicht Gesinnungspolitik. Aussenpolitik ist Realpolitik. Neutralität ist das bewährte Gebot des aussenpolitischen Realismus für die Schweiz.
Das Letzte, was die Schweiz jetzt braucht, ist Ärger mit China. Tausende von Arbeitsplätzen stehen auf dem Spiel. Zweistellige Exportmilliarden drohen wegzubrechen. Der Bundesrat sollte seine antineutrale “China-Strategie” schleunigst beerdigen.
Das schrieb Roger Köppel in seinem Editorial ausgerechnet in der Nummer mit dem Titel “Schweiz ohne Gott. Warum der Allmächtige in die Bundesverfassung gehört.” Dem Köppel’schen Gott sind offensichtlich eine brummende Wirtschaft und volle Banktresore wichtiger als das Eintreten für Menschenrechte, — was sich ja auch schon bei der vehementen Bekämpfung der Konzernverantwortungsinitiative letztes Jahr durch die Weltwoche zeigte.
Ohne den Glauben an Gott gäbe es keine Schweiz, wie wir sie heute kennen, meint Erik Ebneter und hebt den Mahnfinger:
Vor allem im liberalen 19. Jahrhundert, das bis heute die Schweizer Verfassung prägt, nahmen viele Abschied von Gott. Der deutsche Philosoph Friedrich Nitzsche, der zeitweise an der Universität Basel lehrte, erklärte ihn für tot.
Das 20. Jahrhundert zeigte, was passieren kann, wenn die höchste Autorität nicht mehr im Himmel, sondern von dieser Welt ist. Totalitäre Ideologien, eigentliche Ersatzreligionen wie Kommunismus und Nationalsozialismus, breiteten sich aus. …
Das ist eine Halbwahrheit. Der Haken an der Sache ist, dass der mythologische “liebe Gott im Himmel” schon Jahrhunderte vorher auf dem Rückzug war; Er spielte keine Rolle mehr bei den grossen politischen Umwälzungen, die zur Entstehung demokratisch aufgebauter Gesellschaften führten, — nebenbei gesagt ohne den Segen und oft in Opposition zu den meisten Kirchen ;-). Es ist dieser Gott, den Nietzsche als tot erklärte.
Dass tiefgläubige Persönlichkeiten in der Schweiz Entscheidendes für den Aufbau einer modernen Schweiz geleistet haben, ist hingegen unbestritten. Stellvertretend für viele andere sei hier wieder einmal Ignaz Paul Vital Troxler erwähnt, der “Vater” unserer Bundesverfassung von 1848. Aber Troxler’s Gott war nicht “irgendwo im Himmel”, an den man glauben sollte: “Der innerste höchste Sinn ist der unbekannte Gott in uns” (Troxler, Fragmente). Troxlers Gott war in seinem tiefsten Inneren wie ein Feuer, das in ihm lebte und ihn unermüdlich anspornte, für die Regenerierung eines maroden Staatsgebildes zu kämpfen, neue pädagogische Ideen zu erproben und immer wieder neu die Frage nach dem Wesen des Menschen zu stellen.
Seine Erkenntnisse gingen in der sich etablierenden Weltanschauung des Materialismus schon bald vergessen. Es ist höchste Zeit, sie diesem Vergessen wieder zu entreissen, denn wir haben heute ein Menschenbild, das über die materiellen Aspekte hinausgeht, so bitter nötig wie noch nie angesichts der riesigen Herausforderungen, die auf uns alle zukommen, .
Ebneter verweist in seinem Artikel auch auf die berühmte Rede des damaligen IKRK-Präsidenten Max Huber, die er im Februar 1934 an der Uni Zürich hielt, und in der er fragte:
Was haben die Gründer des Bundes gedacht, als sie an die Spitze des Bundes den Namen Gottes stellten? War es lediglich ein jener Zeit gemässer frommer Brauch?
Es lohnt sich, die Antwort Hubers zur Kenntnis zu nehmen:
Kaum, denn bei andern wichtigen Staatsverträgen der Eidgenossen finden wir diese Worte nicht. Wenn wir auch keine Kunde von der Absicht der Verfasser haben, so dürfen wir doch annehmen, daß ihnen diese Worte mehr als eine Formel waren. Sie wollten aus ihrem Glauben heraus zum Ausdruck bringen, daß der Mensch nicht der Anfang und das Ende der Geschichte, nicht deren Herr ist. Sie wollten, als sie in gefahrvoller Zeit die Gründung des Bundes wagten, ihr Werk in die Obhut des Höchsten legen, wissend, daß das irrationale Schicksal von Mensch und Volk nicht Menschenwille und nicht Zufall ist.
Die entscheidende Frage ist die: Haben diese Eingangsworte der Verfassung für das heutige Schweizervolk noch einen Sinn? Sprechen sie noch mit ihrem vollen Ernst zu einem großen Teil des Volkes?
Diese Frage wird kein Mensch mit Sicherheit beantworten können. Aber eines wagen wir zu sagen: Wenn die Eingangsworte der Verfassung für uns keinen Sinn mehr haben würden, dann wäre uns wohl auch der Sinn dessen, was das Wesen unseres schweizerischen Staates ausmacht, nicht mehr bewußt. Und wenn dem Wesen der Sinn feblt, dann ist auch das Wesen des Staates an der Wurzel getroffen. Wo aber das Wesen nicht mehr rein und kraftvoll vorhanden ist, ist auch das Sein des Staates in Frage gestellt.
Erik Ebneter scheint das ganz ähnlich zu sehen: Der Bundesrat schrieb in der Botschaft zur neuen Verfassung, die Präambel stelle einen “hochbedeutsamen Traditionsanschluss” dar. Tatsächlich lässt sich die Anrufung Gottes bis zum Bundesbrief von 1291 zurückverfolgen. Inhaltlich erinnert sie laut Bundesrat daran, “dass neben dem Menschen und dem Staat eine höhere Macht existiert, womit der Wert des Irdischen relativiert wird”.
Sehr schön. Die Frage ist einfach, wo wir diese “höhere Macht” lokalisieren: Irgendwo im Himmel auf Wolke sieben, männlich, mit Zepter und langem Bart, (warum eigentlich nicht weiblich, schwarz, mit einem Sistrum?), — oder als leise Stimme in unserem Herzen, die uns anleitet, für Recht und Gerechtigkeit zu kämpfen, — überall auf dieser Welt.
Franz Büchler
Apr 22, 2021
Was einem so hochkommt, wenn zwei Namen nahe beieinander vorkommen: Karl Barth — Eduard von Steiger:
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So, so:
»Aussenpolitik ist nicht Gesinnungspolitik. Aussenpolitik ist Realpolitik.«
Wenn man bedenkt, wie die Schweiz 1939–1945 Realpolitik betrieben hat, wie der BGB(später SVP)-Bundesrat Eduard von Steiger »das Boot ist voll« erfunden hat, frage ich mich, ob diese Realpolitik nicht auch Gesinnungspolitik war. Und was für eine Gesinnung!
Hans-Jörg Beutter
Apr 22, 2021
natürlich war und ist realpolitik auch gesinnngspolitik (bei manchen fast ausschliesslich so).
im nachhinein überzeugen mich resistente einzelfiguren – wie hier barth – zunehmend.
(ich find es gut, dass t**** – der »viersterne trottel« – ganz aus dem titel der serie entschwunden ist. in eigener sache: mein froher nachbar hat immer noch die kampffahne dieses kriminellen demokratievernichters in seinem garten hängen – ist das gesetzlich überhaupt statthaft? … ebä.)