Bei uns war es Tradition, am Abend des ersten Advents mit den ersten Mandarinen, den ersten Nüssen und den ersten Gutzis, beisammen zu sitzen und mit der ersten brennenden Kerze am Kranz die Wunschzettel gemeinsam zu besprechen, die Wünsche aufzuschreiben (oder zu zeichnen), das Papier zu falten und unter einem Stein auf den äusseren Fenstersims des Küchenfensters zu legen.
Das Christkind sammelte nachts und spät die Wunschzettel ein. Am nächsten Morgen waren die Zettel weg, die Steine da, alles war in Ordnung und die besinnliche Zeit konnte beginnen.
Mein Vater hatte den kürzesten Wunsch und somit den kleinsten Stein:
„Ich wünsche mir weniger Elternabende“.
Dann kam der Zettel von Mama:
„Ich wünsche mir folgsame, hilfsbereite Kinder und einen höheren Zaun zum Nachbarhaus.“
Die älteste Schwester (14):
„Ich würde mich sehr freuen über ein Velo für Erwachsene und weniger Dressurzeit.“ (Mit „Dressurzeit“ meinte sie Babysitting und mit Baby meinte sie mich).
Die zweite Schwester (12):
„Ich will endlich ein eigenes Radio im Mädchenzimmer, oder mindestens einen Kasetten Rekorder“.
Ich (6) war der Jüngste und brauchte den grössten Stein um meine Wunschzettel zu beschweren. Da ich noch nicht schreiben konnte, legte ich unter meinen Stein herausgerissene Seiten aus dem Katalog von Franz Carl Weber.
Drei oder vier Tage später, wir Kinder hatten uns tags zuvor offenbar gezankt. (Nach 70 Jahren erinnere ich mich nicht worum, wozu und weshalb.)
Unsere Mutter meinte dann beim nächsten gemeinsamen Frühstück, wir sollten doch mal aus dem Küchenfenster sehen: Die Wunschzettel waren wieder da! Sorgfältig unter den Steinen. Die Wunschzettel von Vater und Mama fehlten. Offenbar hatte das Christkind die Wünsche über Nacht selektiv zurückgebracht.
Das Velo von Ingrid, das Radio von Gisela und den Franz Carl Weber von mir.
Die Schwestern waren erschüttert, ich weniger; an Ostern sollte ich in eingeschult werden, der Schutornister mit Robbenbabyfell, war mir sicher. Der war zwar nicht im Angebot von Franz Carl Weber. Dieser hatte sich mehrheitlich auf bildungsfremdes Spielzeug spezialisiert.
Und dann kam White Chrismas.
In der Weihnachtsnacht gab es Schnee. Soviel, dass mein Vater den Käfer stehen liess und zu Fuss von Binningen zum Bahnhof SBB ging um Zeitungen zu kaufen, die es nur heute und nur dort gab. Rundum hörte man damals schon die Tschingels bellen. Ich durfte und wollte mitgehen, trug stolz zum ersten Mal meinen ersten Schulsack, leer, auf dem Heimweg gefüllt mit Papas Zeitungen geschützt vom Robbenbabyfell.
max feurer
Dez 26, 2023
🙂