Liebe Mitglaubende!
Bereits am 7. November war im Blick zu lesen: „Entwickelt sich Weihnachten gänzlich zum Event voller Luxus und Konsum, aber ohne jeglichen Inhalt? Weihnachten wird immer unchristlicher! Die Journalistin des Blick wunderte sich, dass die Dekorationen schon anfangs November die Geschäfte zu besetzen beginnen. Dass sich die Weihnachtszeit also dauernd mehr in die Länge zieht. Ein Sachverhalt, der sich schon lange beobachten lässt. Weihnachten bald das ganze Jahr. Doch halt: am 27. Dezember werden wir die ersten Fastenwähen und Fasnachtskiechli in den Läden haben.
Immer länger Weihnachten also und immer mehr ohne die vertrauten christlichen Symbole. Die Krippen verschwinden und auch die Weihnachtssterne. Doch ich frage mich, ob das wirklich das Bestürtztendste ist.
Sie, liebende Mitglaubende, sind zum Weihnachtgottesdienst hier in der Kirche zusammengekommen. Vielleicht, weil es Tradition ist und immer so war. Vielleicht aber auch, weil Sie an Weihnachten kein Event feiern und sich keiner Konsumorgie hingeben wollen. Vielleicht doch, weil Sie das Fest der Menschwerdung nicht ganz aus den Augen und aus dem Herzen verlieren wollen. Vielleicht, weil Sie sich fragen: was hat Menschwerdung mit mir, mit uns zu tun? Vielleicht auch, weil Sie selbst Menschwerdung für eine Aufgabe, fast eine Verpflichtung ansehen, die nicht auf früher einen, heute schon zwei Monate beschränkt werden darf.
Gott, wir feiern heute kein Event, nicht einmal etwas Aufregendes. Wir begehen eine Geburt an einem ganz gewöhnlichen, unspektakulären Ort. Gott, erbarme dich!
Gott, wir feiern heute nicht das Geschäft, nicht das Verdienen und nicht die Verdienste, wir begehen die Gnade der Menschwerdung. Christus, erbarme dich!
Gott, wir feiern heute keine Kursgewinne, keine Boni und keinen Börsenhandel. Wir begehen den Tag, da Gottes Menschlichkeit vollends zu leuchten beginnt. Gott, erbarme dich!
Besinnung I
Menschwerdung:
Keine himmlische Inszenierung als Zeitvertreib eines unnahbaren Gottes
Menschwerdung:
Kein Experiment, nicht abgebrochen als es lebensgefährlich wurde
Menschwerdung:
Teilhabe an unserem Menschsein mit allen Konsequenzen bis zum bitteren Ende
Menschwerdung:
unwiderrufliche Liebeserklärung unseres menschenfreundlichen Gottes, der uns nahe sein will – hautnah!
Liebe Mitglaubende!
Weihnachten zieht sich immer mehr in die Länge. Vielleicht haben Sie jetzt, wo das Fest da ist, auch genug von der Weihnachtsbeleuchtung, die gelegentlich die wirklichen Stern verschwinden lässt und auch genug von den Weihnachtsmärkten, die wie Pilze aus dem Boden schiessen und letztlich auch nur zum Einkaufen motivieren wollen. Vielleicht haben Sie auch genug von dem gleissenden Licht und beobachten die Veränderung der Symbole und denken gelegentlich, früher war alles besser. Oder wenigstens noch anders, bescheidener. Manchmal staune ich über diese Veränderungen, wie wenn man fast planmässig die Erinnerung an das, worauf sich Weihnachten bezieht in der Nacht des Vergessens versinken lassen möchte, dass man fast gezielt den Ursprung Menschwerdung unterschlagen möchte, weil dieser Ursprung doch eigentlich das Geschäft behindert und das Konsumevent stört. So ganz im Sinne des einen Begründers des Neoliberalismus in den Papieren der Société du Mont Pélérin, Friedrich August von Hayek, der schreibt, die Mitmenschlichkeit, die Nächstenliebe ist schädlich für die Wirtschaft, weil sie die Vermehrung des Kapitals nicht nur nicht fördert, sondern gar verhindert.
Besinnung II
Seit Gott Mensch geworden ist, sind die Orte und Worte, an denen er sich suchen und finden lässt: Armut und Demut, Krippe und Kreuz, Altar und Alltag.
Seit Gott Mensch geworden ist sind die Orte und Worte, an denen er sich erahnen und erfahren lässt: Gespräch und Gebet, Klage und Bitte, Lob und Dank.
Seit Gott Mensch geworden ist, sind die Orte und Worte, an denen er sich hören und sehen lässt: Stille und Schweigen, Augen und Ohren, Herzen und Hände.
Was mich mehr bewegt als der Verlust an christlichen Symbolen, dass Krippen ersetzt werden durch den Cocacolalastwagen und der Nikolaus durch den Weihnachtsmann und der erst noch auf dem Harley daher gefahren kommt, ist der Verlust an Menschlichkeit. Entchristlichung prägt unsere ganze Zeit und Gesellschaft je länger je mehr und die nicht nur zur Weihnachtszeit. Ich denke, es ist schlicht und einfach die Folge davon, dass alles, insbesondere die Menschen der besseren Verwertung des Kapitals untergeordnet werden, die Papst Franziskus immer wieder betonen lässt: este economia mata, diese Wirtschaft tötet. Sie tötet immer mehr die Menschen und die Menschlichkeit. Und dies auch gerade jetzt, wo wir doch das Fest der Menschwerdung begehen.
Das Verschwinden der christlichen Weihnachtssymbole mag man beklagen, mir gefällt es auch nicht, aber ich halte es nicht für das Entscheidende. Das Entscheidende für mich ist, dass die Menschlichkeit, die Mitmenschlichkeit zunehmend vor die Hunde geht.
Sie werden sich jetzt vielleicht wundern und sich fragen: wie kommt denn der dazu uns am Weihnachtstag ein solches Zitat vorzulegen. Und sich fragen: was hat das denn mit Weihnachten zu tun? Karl Marx, der von sehr gescheiten Menschen als Kirchenvater von Trier bezeichnet wird, schreibt in seinem Werk „Kritikder Hegelschen Rechtsphilosophie“: „der Mensch ist für den Menschen das höchste Wesen!“ Ich habe lange über diesen Satz nachgedacht und ihn schliesslich verbunden mit dem Satz meines verehrten Lehrers und Freundes Franz Josef Hinkelammert, der schreibt: „Menschlichkeit, Nächstenliebe ist das Wissen darum und das Handeln danach, dass ich nur bin, wenn der/die andere auch ist.“ Und ich denke je länger je mehr, dass darin das alles Entscheidende für Weihnachten liegt und für das Christentum insgesamt: Menschlichkeit, Mitmenschlichkeit, Menschwerdung.
Wir sagen so leichthin: Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung Gottes. Das ist leichthin gesagt. Und wird meist verbunden mit Vorstellungen von der Bosheit der Menschen, die durch Gott korrigiert werden muss, indem er den Menschen seinen Sohn sendet (Herr, send herab uns deinen Sohn!) Da kommt dann der augustinische Gedanke von der Erbsünde hinzu, die abgewaschen werden muss bis hin zur Vorstellung des Anselm von Canterbury im 12. Jahrhundert, dargelegt in seiner Schrift „Cur Deus Homo? Warum wird Gott Mensch“? Dort führt er aus, dass Gott seinen Sohn schickt und ihn sterben lässt als Opfer für die Sünden der Menschen. Dies geistert immer noch in vielen Köpfen herum. Auf dem Boden des Evangeliums aber muss solche Deutung als monströs, als gotteslästerlich abgelehnt und ausgemerzt werden. Denn wir feiern am heutigen Tag nicht einen Schlächtergott, sondern den Gott der Mensch wird, ganz einfach und unspektakulär. Und gerade darin liegt die Bedeutung des Satzes von Marx: der Mensch ist für den Menschen das höchste Wesen. Und dieser Mensch, der ein Jude war, Enkel eines Rabbiners und der die Schriften seines Testamentes, der Thora bestens kannte und aus ihnen lebte und seinen Messianismus entwickelte, er wusste wohl besser als die meisten Theologen, was an Weihnachten begangen werden muss: die Menschwerdung des Menschen und dies nicht einfach als Behauptung, sondern weil der Gott des Lebens, der das Leben seiner Menschen will, sie als Töchter und Söhne (jüdisch) haben will, mit seiner Menschwerdung ihnen genau das zeigen will: es gibt für den Menschen kein höheres Wesen als den Menschen!
Besinnung III
Lass uns hell werden trotz aller Finsternisse in unsern Seelen, damit wir leben können im Glanze deines Lichts.
Lass es gut werden trotz aller Schrecken, die uns umfangen, damit wir gelassen werden und frei.
Lass uns gewärmt werden trotz aller Kälte, die uns widerfährt, damit wir auftauen aus jeglicher Starre.
Lass es Weihnachten werden in den Herzen aller Menschen, damit wir alle das Wunder erkennen, es erwarten und in uns aufnehmen, dass du Gott Mensch bist unter uns Menschen.
Viele Jahre sind es her, seit ich zum ersten Mal den auf eine Wand gesprayten Satz las: mach es wie Gott, werde Mensch! Dieses heute geboren Kind, das als Erwachsener den Menschen zeigen wird, was ein Mensch sein und werden kann, kein Zauberer und Übermensch, sondern ein zum wirklichen menschgewordenen Mitmensch heranreift und zum Boten seines Gottes, der sein Reich der Gerechtigkeit und der verwirklichten Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit für real möglich hält und die Menschen für fähig, dass sie sich je länger je mehr an seiner Menschwerdung orientieren und sich einsetzen, dass eine Welt möglich wird, wo es für jeden und jede einen menschenwürdigen Platz gibt (Samuel Ruiz). Dann werden wir das Verschwinden von Weihnachtsymbolen verschmerzen können, wenn wir als Gegenleistung dafür sorgen, dass die Mitmenschlichkeit und die Menschlichkeit wachsen, indem wir erkennen, wozu wir bestimmt sind: zur Menschwerdung als Menschen. Und es wird uns nicht stören, dass die Weihnachtszeit immer länger dauert, denn unsere Menschwerdung, unser zu Menschen Gottes- Werdung, dauert viel länger, nämlich das ganze Jahr hindurch. Amen