Die Redaktion dankt Walter Bochsler, dass dieser uns erneut seine Weihnachtspredigt zur Veröffentlichung frei gegeben hat.
Am liebsten würde ich mit Ihnen einen Transfer machen. Nicht zum FC Basel, aber auf den Münsterplatz, genauer vor die Galluspforte. Viele wissen nicht, dass diese eines der hervorragensten Beispiel eines spätromanischen Figurenportals ist, das es überhaupt gibt. Warum ich Sie transferieren möchte ist aber die Darstellung der törichten und klugen Jungfrauen, die sich an vielen Domen findet, so in Magdeburg, in Freiberg, in Erfurt und in Prag. Genau von diesem hier abgebildeten Gleichnis handelt der heutige Text aus dem Matthäusevangelium.
Töricht sagen wir heute nicht mehr, wir sagen dumm, und auch klug ist eigentlich aus dem Wortschatz verschwunden, wir sagen gescheit. Doch das trifft das Gleichnis nicht wirklich. In der neuen Bibelübersetzung steht naiv für töricht und schlau statt klug. Ich halte beides für unzutreffend. Es geht auch nicht um eine generelle Abwertung der Dummen und eine Hervorhebung der Gescheiten. Ob es eher um Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit geht. Dann hätte auch der ehemalige Geschichtslehrer an der Stiftsschule in Einsiedeln, Pater Professor Dr. Leo Helbling v/o Läbli nicht wirklich recht, wenn er den Studenten sagte. D Lüt sin nit dumm, sie sin dümmer. Was aber will uns Jesus sagen mit seinem Gleichnis, das so häufig dargestellt worden ist?
Jesus sagte: Ich danke Dir Vater, dass du es den Gebildeten und Gescheiten verborgen, denn Unmündigen aber geoffenbart hast.
Von wem lassen wir uns in unsern Entscheidungen leiten, von den sogenannten Experten oder von der Option: als Christ*in bin ich gerufen, nicht neutral zu sein, sondern Partei zu ergreifen, insbesondere für jene, die keine Lobby und keine Partei haben.
Liebe Mitglaubende!
Das ist doch nicht zu fassen: da attackiert Jesus die Dummen so: die Dummen sind wieder die Dummen! Und er lobt die Klugen und grenzt sie von den Dummen ab. Ist das denn die Möglichkeit?
Ich sage Ihnen offen: ich halte dies für eine Fehleinschätzung, eine grundlegende Fehleinschätzung. Bei der Lektüre von biblischen Texten beachten wir häufig den Zusammenhang nicht und lesen eine Stelle isoliert. Und das kann uns in die Irre führen, denn Texte sind wie ein Gewebe, das wir auch nicht erfassen können, wenn wir einzelne Fäden herausziehen und diese für das Ganze halten. Daran ändert sich nichts, wenn wir töricht mit naiv und klug mit schlau übersetzen. Die irrige Auslegung ändert sich nicht.
Beachten wir den Zusammenhang. Immer wieder wird berichtet, dass Jesus zu einfachen Landvolk spricht, das im Griechischen ochlos heisst. Die Landbevölkerung, die keinen Zugang zu Bildung hat und täglich ums Überleben kämpft. Bildungseliten bezeichnen sie als dumm und ungebildet und schauen auf diese Menschen herab. Sie selbst sind natürlich die Gebildeten und beanspruchen, es genau zu wissen und auch die andern anzuführen, ihnen unterstellen, dass sie an einer
Komlexitätsreduktion leiden. Gerade vom Landvolk aber wird berichtet, dass diese Menschen Jesus an den Lippen hängen, weil sie genau verstehen und wissen, dass er ihre Partei ergreift. Und da steht doch: ich danke Dir, mein Gott, dass du es den Weisen und Gebildeten verschlossen, den Unmündigen und Einfachen aber geoffenbart hat. Das ist doch genau nicht das, was wir falsch aus unserm Text herauslesen können.
Wer aber sind denn hier in unserm Gleichnis mit den Törichten und Kluge gemeint?
Ich meine, die Dummen sind eigentlich sehr modern. Sie kennen den Zeitplan und sie berechnen den Aufwand. Sie sagen, das reicht, mehr Öl wird nicht gebraucht. Es gilt dem modernen Menschen, mit möglichst wenig Aufwand das erstrebte, möglichst grosse Ziel zu erreichen. So funktioniert unsere Wirtschaft: möglichst wenig Aufwand und möglichst grossen Profit aus einem Sachverhalt ziehen. Kosten reduzieren, Arbeitskräfte zusammenstreichen und Kapital bilden. So wird gehandelt, die Aktienkurse steigen auch in Coronazeiten, vor allem, weil zuviel billiges Geld im Umlauf ist. Auf wessen Kosten wird nicht gefragt. Man muss so handeln, sonst wird man überrollt. Und die so handeln, werden gelobt und ihre Verdienst weitherum anerkannt.
In einem Interview im Baz Maganzin vor drei Wochen spricht der Harvardgelehrte Professor Sandel von der Meritokratie. Was sollen wir darunter verstehen? Meriten sind Verdienste. Sie werden normalerweise öffentlich anerkannt. Meriten kommt vo Lateinischen merites, was eben Verdienst meint. Kratie, wie Demokratie, stammt ais dem Griechischen. Kratein heisst herrschen. Meritokratie wäre dann die Herrschaft der Verdienstvollen. Es wird aber normalerweise nicht gefragt, worin diese Verdienste bestehen. Sind es Verdienste, die nur mich selber im Zentrum haben oder es sind es Verdienste, die auch den/die andere im Fokus haben. Professor Sandel beklagt, dass es gerade die Verdienstvollen sind, die Kriege entfachen, eine Wirtschaft auf Teufel komm raus betreiben, die Lebensgrundlagen der Menschen aufs Spiel setzen und nicht aufhören, die Utopie von der Selbstregulierung des Marktes zu betreiben ohne Rücksicht auf Verluste und Menschenleben. Ich denke, mit solchen Überlegungen kommen wir dem Sinn unsrer Geschichte näher. Und ich denke ebenso, dass hier die Törichten unseres Gleichnisses abgebildet sind.
Und wie steht es mit den Klugen? Sie sehen nicht nur das Momentum, sondern sie sehen weiter. Sie bauen die Zukunft in ihre Überlegungen und Entscheidungen ein. Und so sorgen sie vor und wollen den entscheidenden Moment nicht verpassen. Sie wollen bereit sein, wenn das Entscheidende geschieht. Ich möchte so die beiden angesprochenen Gruppen als die Kurzsichtigen und die Weitsichtigen bezeichnen. Die Weitsichtigen, die sich sorgen um das Leben der Menschheit und das Überleben allen Lebens auf dieser Erde. Die sich auch wehren gegen einen drohenden Selbstmord, die sich wehren, dass es den Meritokraten nicht gelingt, die Zukunft der Menschen aufs Spiel zu setzen und das Leben auf der Erde auszurotten. Und die, ganz besonders, nicht nur das eigene Leben und Überleben, sondern das von uns allen, ins Zentrum ihres Handelns und auch Betens zu stellen.
Liebe Mitglaubende! Unser heutiges Gleichnis gehört in die Reihe der Gerichtsgleichnisse, und die törichten und klugen Jungfrauen sind ja an den mittelalterlichen Kirchen und Kathedralen immer wieder in der Nähe der Darstellung des Jüngsten Gerichts anzutreffen, um den Menschen zu signalisieren, dass sie unter dem Gericht Gottes stehen und das zu jeder Zeit. Das Verhängnisvolle ist, dass das Gericht in der Geschichte unseres Christentums sehr bald und dann dauernd auf das Ende der Welt verlegt wurde. Am Ende der Zeit wird es geschehen. Dabei wurde auch unterschlagen, dass der griechische Ausdruck für richten – krisis — nicht verurteilen, sondern beurteilen und aufrichten heisst, was einen völlig anderen Sinn ergibt. Mit den Gerichtsgleichnissen wurde und wird den Menschen immer die Hölle heissgemacht und man wollte ihnen weismachen, dass nur wenige für die Ewigkeit bestimmt seien. Die Angst vor der Hölle und dem Fegefeuer wurde so geschürt und zur Beherrschung und Disziplinierung der sogenannten Dummen missbraucht, was auch eine Herrschaft von Meritokraten über die Gewöhnlichen bedeutet. Darum geht es aber nicht. Es geht um das Hier und Heute. Hier und Heute wird entschieden, ob wir uns gemeinsam engagieren für ein menschliches Leben und ein Zusammenleben in Frieden und Gerechtigkeit. Wer sich dieser grundlegenden Aufgabe, das Überleben der Menschen und der Umwelt sicherzustellen, verschliesst, der/die gehört zu den Kurzsichtigen, die nur sich selbst und die nächste Zeit sehen und die Zukunft und die andern Menschen zu übergehen. Wir kommen nicht darum herum, uns zu entscheiden, ob wir zu den Weitsichtigen gehören wollen oder nicht. Mein Freund, der Befreiungstheologe Franz Josef Hinkelammert sagt: eine gewisse Intelligenz und eine gewissen Belesenheit schützt vor der Verblendung nicht. Und Pater Helblings Aussage müssten wir dahingehend korrigieren: die Menschen sind nicht dumm, sondern dümmer mit: sie sind nicht dumm, aber verblendet.
Liebe Mitglaubende! Unser Gleichnis heute will uns hinführen zur Klarheit, dass heute die Zeit und die Stunde ist, wo getan oder vertan wird was zu einer Zukunft von uns Menschen allen in Würde und wahrer Menschlichkeit führen kann. Wir müssen uns entscheiden, ob wir zu den Kurzsichtigen oder den Weitsichtigen gehören wollen, denn jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Amen!
Walter Bochsler
ibis
Dez. 25, 2020
Das Gleichnis für 2020 adaptiert (mit einem Augenzwinkern): Die klugen Jungfrauen bleiben daheim und sind damit gleich doppelt weitsichtig: Sie vermeiden eine Covid-Weiterverbreitung und helfen, Co2-Emissionen durch unnötiges Verbrennen von Lampenöl zu verhindern.
Frohe Festtage!
Hans-Jörg Beutter
Dez. 25, 2020
(sinnspruch für hofnarren)
»eher kriecht ein reicher (oder eine kluge jungfrau) durchs nadelöhr …
als wieder zurück«
😉
(gozzeidank steht das ganz bestimmt auch in der bibel – und das gegenteil grad auch noch, vermutlich im uralten testament … und zum glück gibt’s ja in so fällen auch noch »maria im gfängnis« oder wie das heisst)
bei frohen festtagen stimme ich ein.