Mit­te 1967, die Chris­ten­heit fei­er­te gera­de das Drei­ei­nig­keits­fest (Tri­ni­ta­tis), fand ein meh­re­re hun­dert Sei­ten umfas­sen­des Buch­ma­nu­skript in fran­zö­si­scher Spra­che sei­nen Abschluß. Sein Autor, der unge­nannt blei­ben woll­te, sprach von 22 Medi­ta­tio­nen, die er als »Brie­fe an einen unbe­kann­ten Freund« ver­ste­hen woll­te. Die­ser unbe­kann­te Freund ist der jewei­li­ge Leser, die Lese­rin. Der fran­zö­si­sche Autor wie sich spä­ter her­aus­stel­len soll­te, der rus­si­sche »Anony­mus d’Outre-Tombe« (jen­seits des Gra­bes) — fand mitt­ler­wei­le unge­zähl­te »unbe­kann­te Freun­de«. Sein Buch wur­de ins Deut­sche über­setzt und wie­der­holt her­aus­ge­ge­ben. Des­sen Titel: »Die Gro­ßen Arca­na des Tarot«. Es war kei­nes der unzäh­li­gen Tarot-Bücher, die Anlei­tung zur ora­kel­haf­ten Befra­gung (Divin­a­ti­on) der 22 Spiel­kar­ten geben wol­len, son­dern ent­hielt in der Tat Medi­ta­ti­ons­übun­gen, Beleh­run­gen, Besin­nun­gen zu jenen soge­nann­ten Gro­ßen Arca­nen. (aus Ger­hard Wehr, “Spi­ri­tu­el­le Meis­ter des Wes­tens”)

In der Ein­füh­rung zur deut­schen Aus­ga­be hält der Theo­lo­ge und Kul­tur­phi­lo­soph Hans Urs von Bal­tha­sar, der in Basel leb­te und lehr­te u.a. fest:
Ein christ­li­cher Den­ker und Beter von bezwin­gen­der Lau­ter­keit brei­tet Sym­bo­le der christ­li­chen Her­me­tik in ihren Stu­fen — Mys­tik, Gno­sis und Magie — unter Her­an­zie­hung des Kab­ba­lis­mus und gewis­ser Ele­men­te der Alchi­mie und Astro­lo­gie vor uns aus, Sym­bo­le, die in den zwei­und­zwan­zig soge­nann­ten “Gros­sen Arca­na” des Tal­rot-Kar­ten­spiels zusam­men­ge­fasst sind und die er medi­tie­rend in die tie­fe­re, weil all­um­grei­fen­de Weis­heit des katho­li­schen Mys­te­ri­ums heim­zu­füh­ren sucht.

Hin­ter die­sem “christ­li­chen Den­ker und Beter von bezwin­gen­der Lau­ter­keit”, dem “Anony­mus”, steht Valen­tin Tom­berg. Des­sen Leben, eine ein­zi­ge Odys­see: 1900 in Peters­burg gebo­ren, flieht er nach der bol­sche­wis­ti­schen Okto­ber­re­vo­lu­ti­on nach Est­land, nach­dem sei­ne Mut­ter auf der Stras­se erschos­sen wor­den war. Dort arbei­tet er als Land­ar­bei­ter, Phar­ma­zeut, Künst­ler  und Leh­rer, wäh­rend er gleich­zei­tig an der Uni­ver­si­tät ver­glei­chen­de Reli­gi­ons­wis­sen­schaf­ten und meh­re­re alte und neue Spra­chen studiert.

Dort ent­deckt er auch das Werk von Rudolf Stei­ner und schliesst sich der anthro­po­so­phi­schen Bewe­gung an. Doch sein eigen­stän­di­ges Den­ken führt schon bald zu Kon­flik­ten und schliess­lich — er ist inzwi­schen nach Hol­land wei­ter gewan­dert — zum Aus­schluss aus der Anthro­po­so­phi­schen Gesell­schaft. In Hol­land enga­giert er sich wäh­rend der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Beset­zung in der Wider­stands­be­we­gung und über­sie­delt nach dem Krieg mit sei­ner Fami­lie 1948 nach Eng­land, wo er bei der BBC arbei­tet. Er stirbt 1973 auf Mallorca.

Dass ein gewich­ti­ger katho­li­scher Theo­lo­ge wie Bal­tha­sar, den Johan­nes Paul II. sogar zum Kar­di­nal erhe­ben woll­te, sich an die “Gros­sen Arca­na” Tom­bergs wag­te, hängt mit Sicher­heit damit zusam­men, dass die­ser sich in sei­nem spä­te­ren Leben  der katho­li­schen Kir­che zuwandte.

Doch genug der bio­gra­phi­schen Details. Wer­fen wir nun einen Blick auf eini­ge weni­ge Aspek­te der Inter­pre­ta­ti­on Tom­bergs zur Tarot­kar­te des Nar­ren, “das Arca­num der Lie­be” (40 Seiten!)

… Der Narr wan­dert von links nach rechts. Er hält den Wan­der­stab mit sei­ner rech­ten Hand und mit sei­ner Lin­ken hält er über sei­ner rech­ten Schul­ter den Stock fest, an dem der Bet­tel­sack hängt. Sein Kopf ist zu Drei­vier­teln nach rechts gedreht. Er ist also der Narr mit Rechts­ten­denz, der Narr des Guten und nicht des Bösen, was auch dadurch ersicht­lich ist, dass er sich nicht gegen den Hund wehrt, obwohl er ihn leicht mit dem Stock fort­ja­gen könnte.
Der Narr des Guten … Es genügt die­se Wor­te aus­zu­spre­chen, um an die blas­se, hage­re Gestalt von Don Qui­chot­te de la Man­cha, den fah­ren­den Rit­ter, erin­nert zu wer­den, der jeden zum Lachen bringt und der sich durch sein Leben den Bei­na­men “El Loco” (Der Narr) ver­dien­te und nach sei­nem Tode den des “El Bue­no” (Der Gute).

Dann kommt er auch auf den Thyl Ulen­spie­gel von de Cos­ter zu sprechen:
… der tra­gi­sche Held des Epos von de Cos­ter, ist der Arche­ty­pus des revo­lu­tio­nä­ren Anar­chis­mus, der infol­ge sei­ner völ­li­gen Ent­täu­schung von jeg­li­cher mensch­li­chen Auto­ri­tät weder Glau­be noch Gesetz kenn. Er ist der Geist der Rebel­li­on gegen jede Auto­ri­tät im Namen der Frei­heit des Indi­vi­du­ums — der Frei­heit des Land­strei­chers, der nichts hat, der nie­man­dem gehorcht, der vor nichts Angst hat und kei­ner­lei Beloh­nung erwar­tet noch Stra­fe fürch­tet, weder hier noch im Jen­seits. Gleich­zei­tig ist er der spöt­ti­sche Geist, der die Tem­pel und Altä­re der Mensch­heit umstürzt, indem er sie mit­tels sei­nes Zau­ber­stabs, der Lächer­lich­keit, in sich zusam­men­bre­chen lässt.

Er lässt aber auch sei­ne Erfah­run­gen wäh­rend der bol­sche­wis­ti­schen Revo­lu­ti­on in Russ­land ein­flies­sen, wenn er schreibt:
Das ist nur die eine Sei­te sei­nes Wesens. Es gibt noch eine ande­re. Das ist die des kämp­fe­ri­schen Anar­chis­mus, des Auf­stan­des der klei­nen Leu­te gegen die­je­ni­gen, die ihnen Geset­ze geben und ihnen vor­schrei­ben, was sie zu tun und zu las­sen haben.

Als Bei­spiel dafür erin­nert er an die Matro­sen der bal­ti­schen rus­si­schen Flot­te, die im Okto­ber 1917 mit dem Kano­nen­feu­er des Kreu­zes “Auro­ra” auf den Win­ter­pa­last in St. Peters­burg den Bol­sche­wi­ki zum Sieg ver­hal­fen und so zu den gefei­er­ten Hel­den der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on wurden.

Die glei­chen Matro­sen ver­schanz­ten sich 1921 in Kron­stadt gegen das neue Regime, als sie erkann­ten, dass ihre Idea­le der Frei­heit und Brü­der­lich­keit von den Kom­mu­nis­ten schmäh­lich  ver­ra­ten wor­den waren: Es war kei­ne Gemein­schaft der Brü­der und Kame­ra­den, die aus der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on her­vor­ge­gan­gen war, son­dern der Eta­tis­mus eines neu­en star­ken dik­ta­to­ri­schen Poli­zei­staa­tes, beherrscht von einer Cli­que, die alles zu sagen hat­te ange­sichts einer Mas­se, die nichts zu sagen hat­te. — Der Auf­stand von Kron­stadt wur­de unter der Lei­tung von Leo Trotz­ki blu­tig nie­der­ge­wor­fen, Thyl Ulen­spie­gel mach­te sich wie­der auf Wanderschaft …

Und ein letz­ter klei­ner Auszug:
Das Arca­num “Der Narr” oder “Der Tor” lehrt die Fähig­keit, von der Intel­lek­tua­li­tät, die von der Wiss­be­gier bewegt wird, zu der höhe­ren Erkennt­nis über­zu­ge­hen, die aus der Lie­be her­vor­geht. … Es bezieht sich auf die Ver­wand­lung des per­sön­li­chen Bewusst­seins in das kos­mi­sche Bewusst­sein, wo das Ich nicht mehr Urhe­ber des Erkennt­nis­ak­tes ist, son­dern sein dem Gesetz der Armut, des Gehor­sams und der Keusch­heit unter­wor­fe­ner Empfänger.

… Nun ist das Arca­num “Der Narr” dop­pel­sin­nig. Es kann in der Tat auf zwei ver­schie­den Wei­sen zugleich ver­stan­den wer­den: als Vor­bild und als War­nung. Denn es lehrt einer­seits die Frei­heit des über die Din­ge die­ser Welt erha­be­nen tran­szen­den­ten Bewusst­seins, und ande­rer­seits stellt es deut­lich eine sehr drin­gen­de War­nung dar vor der Gefahr, die die­se Erha­ben­heit mit sich  bringt — Sorg­lo­sig­keit, Unzu­läng­lich­keit, Unver­ant­wort­lich­keit und Lächer­lich­keit. Mit einem Wort: Torheit.

Viel­leicht wird hier schon deut­lich, dass hin­ter den Tarot­kar­ten mehr steckt, als ein ober­fläch­li­cher Augen­schein ver­mu­ten lässt. Das wird noch deut­li­cher, wenn wir uns in der nächs­ten Fol­ge Paul Fos­ter Case zuwen­den, — und das wie immer

am kom­men­den Sams­tag, den 12. Juni.

 

 

Bede Griffiths — integraler Revolutionär 6
Flugplatz Sternenfeld: Blätzbums, scho sin si wach!

Deine Meinung