Manchmal kann ein Blick in die Geschichte der Schweiz und auch in die Geschichte Birsfeldens ein bisschen Nachdenklichkeit bewirken …
1816/1817 wanderten viele Menschen aus der Schweiz aus.
Dazu gab es verschiedene Ursachen:
In der Zeit von 1798 bis 1815 verursachten französische, österreichische und russische Truppen sowie der Durchmarsch alliierter Armeen bei der Niederwerfung Napoleons im Land schwere materielle Schäden. Besonders hart traf es die Nordschweiz.
Die Hoffnung auf bessere Zeiten wurde bereits 1816 zerschlagen: Ein Jahr nach Beendigung der Kriege bringt ein nasskaltes Jahr katastrophale Auswirkungen für die Landwirtschaft. Jeden Monat schneit es. Ursache für diese anhaltende Schlechtwetterlage war die gewaltige Explosion des Vulkans Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa im April 1815 und vermutlich noch andere grosse Vulkanausbrüche, die diesem Ereignis vorausgingen.
Die schlechten Ernteaussichten ziehen eine starke Verteuerung der Lebensmittel nach sich und Ende Jahr kommt es zu einer Hungersnot. In der Deutschschweiz ass man aus Not die »eckelhaftesten Speisen«, berichtete der Chronist R. Zollikofer: Brei aus Knochenmehl oder zerriebenem Heu, gedörrte Kartoffelschalen und – als Leckerbissen – Hunde und Katzen. In der Innerschweiz »haben die Kinder oft im Gras geweidet wie die Schafe«, berichtete der Schwyzer Armenfürsorger Augustin Schibig.
Speziell von Birsfelden weiss an:
1877
Die Bevölkerung litt grosse Not, die Sorge um das tägliche Brot verleitete allzu oft zum »Feldfrevel«, d.h. Diebstahl von Früchten auf fremden Äckern. Während der Sommerzeit musste der Gemeinderat regelmässig solche Vergehen ahnden, auch wenn er um die Ursache dieser Verfehlungen wusste: »Lass dich nicht erwischen« lautete wohl schon damals die Losung. Hier ein krasses Beispiel:
Ein vierjähriger Knabe wird beim Rüben-Ausgraben erwischt. Ein Gemeinderat hatte zugesehen. »… wegen der Unmündigkeit kann er nicht bestraft werden, doch seine Eltern
sollen bessere Aufsicht üben …«
1879, 10. Dezember
Zur Linderung der allgemeinen grossen Not wird im Winter 1879/1880 eine »Suppenanstalt« eingerichtet, finanziert durch Spenden, bar oder natura.
Montag bis Samstag erhalten 102 bedürftige Familien Gratissuppe. Die Gemeinderäte amten im Wechsel als Aufseher bei der Ausgabe.
1883
Das noch mit Wald bewachsene Dreieck Rheinfelderstrasse-Burenweg-Lindenweg wird wegen »Unterschlupf für Landstreicher und Vagabunden« abgeholzt.
So entstand der heutige Hardhügel.
1883
Überaus zahlreich waren die Gesuche um Bewilligung zwecks »Versteigerung des Hausrates wegen Auswanderung«. Die Lebens- und Verdienstaussichten in Birsfelden waren sehr schlecht. Der Gemeinderat musste offen eingestehen, dass es mit der Bettelei und dem Stromertum seine Richtigkeit habe.
Als Begründung dafür, dass so viele ihr Auskommen anderswo suchten, gab er an:
• dass die meisten Auswanderer wegen Fehlen eines Arbeitsplatzes oder zu geringen Verdienstes fortziehen,
• wegen Aussicht auf besseren Erwerb und besserer Vorsorge für das Alter wegziehen,
• dass bereits früher fortgezogene Familienväter ihre Frauen und Kinder nachkommen lassen und dafür Geld geschickt haben.
1894, 26. Dezember
Das Eidgenössische Auswanderungskommissariat in Bern teilt mit:
»… dass für Auswanderungslustige nach überseeischen Ländern Gelegenheit geboten sei, uneigennützige, glaubwürdige Auskünfte über alle betreffenden Fragen zu erhalten …«
Die Not war nicht nur in Birsfelden gross. Aus der ganzen Schweiz gibt es Berichte über die Not: Missernten, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Armut. So wurde z.B. in Gemeinden ausgelost, wer ein Handgeld bekam und dann auswandern musste.
Ohne Jahrgang
in Fritz Grieders Biographie zu Martin Birmann gelesen:
»Armut wurde im Baselbieter Dorf (Anmerkung der Red.: Birsfelden) wohl nur insofern als stossendes Ärgernis empfunden, als sie für die Gemeindekasse häufig unangenehme Konsequenzen nach sich zog. Daraus ergab sich dann die Praxis gewisser Gemeinden, arme Mitbürger mit einem Handgeld zu versehen und nach den U.S.A. abzuschieben.
Solche Praktiken wurden allerdings übel vermerkt und als Unfreundlichkeit empfunden. Der amerikanische Kongress verwahrte sich mehrmals dagegen, dass die Europäer sein Land als ‚Armenhaus Europas‘ missbauchten, und liess dies u.a. auch die basellandschaftliche Regierung auf diplomatischem Wege wissen.«
Wie wär‘s mit einem Vergleich mit den heutigen
Auswanderungsbewegungen?