Von Pechmann bringt den gewichtigen Einwand, warum die Hobbes’sche “Leviathan-Variante” mit dem Unterwerfungsvertrag nie und nimmer ein Zukunftsprojekt sein darf und kann, so auf den Punkt:
.. denn im Hobbes’schen Modell müssen die Staaten mit ihrer Souveränität zugleich auch auf ihre Macht verzichten, um an ihrer Stelle eine Weltregierung und ‑verwaltung zu setzen, die alle Gewalt in sich vereinigt. Da deren Sache heute nicht nur die Sicherung des Weltfriedens ist, sondern auch die Herstellung der sozialen Verträglichkeit und ökologischen Nachhaltigkeit des globalen Wirtschaftssystems, hätte diese Weltregierung die Aufgaben, als Sicherheitsrat für den Frieden zwischen den Nationen zu sorgen, als zentraler Wirtschafts- und Sozialrat den global produzierten Reichtum sozialverträglich an die Konsumenten zu verteilen sowie als Umweltrat das globale System der Produktion und Konsumtion ökologisch nachhaltig zu gestalten. Sie wäre eine Weltbürokratie, an und in der wohl nur Polit‑, Sozial- und Ökostrategen und ‑techniker ihre helle Freude hätten.
(Sämtliche Auszüge aus Alexander von Pechmann, Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert)
Noch gewichtiger ist allerdings die düstere Perspektive, dass so ein “Weltstaat” sich in eine dystopische “Weltdiktatur” verwandeln könnte:
Die kategorische Ablehnung von Weltstaatkonzeptionen, die in vielen Texten der Politischen Philosophie zum Ausdruck kommt, lässt sich gewöhnlich darauf zurückführen, dass die mit der Errichtung eines Weltstaats einhergehende Gefahr von globaler Uniformität und Nivellierung, von totaler Überwachung und kulturellem Imperialismus, d.h. von einer globalen Diktatur, aus der es kein Entkommen gibt, als so gross eingeschätzt wird, dass die Etablierung von weltstaatlichen Strukturen ethisch-politisch nicht vertretbar ist. (Mark Joob, Globale Gerechtigkeit im Spiegel zeitgenössischer Theorien der Politischen Philosophie, Ödenburg 2008, 315)
Wobei: So ein “Weltstaat” müsste gar nicht als brutale Diktatur daherkommen. In “Schöne Neue Welt” schildert Aldous Huxley eine uniforme Gesellschaft, die — von der Religion des “Grossen Ford” programmiert — ein Leben in Luxus und mit allen erdenklichen Vergnügungen verbringt. Und falls mal ein Problem auftaucht, kann man es mit der “Soma”-Droge bequem zum Verschwinden bringen. Mit einer Sonderbewilligung für die oberste Kaste ist es möglich, einmal im Leben einen Blick in eine Art “Menschenzoo” zu werfen, wo noch ein paar Indigene ein kümmerliches Leben fristen …
Baruch Spinoza und Jean-Jacques Rousseau ihrerseits bieten ein erfreulicheres Konzept für einen zukünftigen Weltstaat:
Er funktioniert nicht mittels eines “Unterwerfungsvertrags”, sondern ist das Resultat einer Partizipation. So schreibt Spinoza in seinem “Theologisch-politischen Traktat”:
In der Demokratie als der “natürlichsten Regierungsform” (maxime naturale) überträgt niemand sein Recht derart auf einen anderen, dass er selbst fortan nicht mehr zu Rate gezogen wird; vielmehr überträgt er es auf die Mehrheit der gesamten Gesellschaft, von der er selbst ein Teil ist.
Ganz ähnlich formuliert Rousseau, der Verfasser des “Contrat Social”:
Scheidet man … vom Gesellschaftsvertrag alles aus, was nicht zu seinem Wesen gehört, so wird man sich überzeugen, dass er sich in folgende Worte fassen lässt: Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Leitung des allgemeinen Willens, und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des Ganzen auf.
Nach diesem Modell wird der Verzicht auf Souveränität also nicht so gedacht, dass durch ihn die Macht aufgegeben, sondern dass sie durch die Vereinigung vermehrt wird; dass sie nicht auf eine andere Person übertragen wird, sondern dass dadurch eine Person als vereinte Menge oder als “Summe von Kräften” entsteht; und dass schliesslich an die Stelle der Souveränität nicht der Gehorsam, sondern die Partizipation und Teilhabe tritt. Die Konstitution des Rechtszustands erscheint hier also als ein Zugewinn an Macht, an der der einzelne als untrennbares Mitglied des Ganzen teilhat.
Spontan kommt dem birsfaelder.li-Schreiberling das Bild eines Menschheits-Organismus hoch, in dem jede “Zelle”, also jeder Mensch seine ganz bestimmte Rolle zum Wohle des Ganzen einnimmt, — aber nicht als sklavisches “Rädchen” im Getriebe, sondern in freier Entscheidung und in voller Autonomie.
Was bedeutet dieses partizipative Konzept nun genau für die Staaten, die zugunsten dieses Konzepts ihre Souveränität opfern?
Dieser Frage gehen wir in der nächsten Folge am 12. August nach.
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