Nach 2017, 2018 und 2020 hat uns Wal­ter Bochsler erneut eine Wei­h­nachts­botschaft zur Veröf­fentlichung zur Ver­fü­gung gestellt. Die Redak­tion des Pünggt.li dankt Wal­ter Bochsler für sein Ver­trauen in uns und in seine Botschaft.

 

Wei­h­nachts­botschaft 2o22, Men­schw­er­dung

 

Der Wei­h­nachts­markt hat Konkur­renz bekom­men, grosse Konkur­renz. Ich meine natürlich nicht den auf dem Barfüsser- oder Münsterplatz, ich meine den grossen Wei­h­nachts­markt weltweit in allen Geschäften und auf allen Han­del­splat­tfor­men. Doch eben: die Konkur­renz ist gross: Sin­gle Day, Black Fri­day, Cyber Mon­day und wie sie alle heis­sen. Sie verdrängen das Kerngeschäft von Wei­h­nacht­en, wo viele jahre­lang ihre Jahresumsätze verbessert haben. Markt verdrängt Weihnachtsmarkt.Die Wege zur Geld­ver­mehrung sind zahl­los, ja unerschöpflich. Schon ist nach Aus­sage der Zeitun­gen das Weihnachtsgeschäft von den Konkur­renten überrundet wor­den.

Wer mich ken­nt weiss, dass ich mit diesen Vorgängen meine grosse Mühe haben, je länger je mehr sog­ar. Dabei habe ich nichts gegen das Schenken, im Gegen­teil. Doch ist es zuerst eine Frage des Mass­es und eine Anfrage an den Mech­a­nis­mus Schenken und beschenkt wer­den. Häufig entwick­elt sich eine Mass­losigkeit, die eigentlich nicht zu begreifen ist. Und zweites die noch viele entschei­den­dere Frage, ob Schenken wirk­lich der Inhalt von Wei­h­nacht­en, der gewei­ht­en Nacht ist. Macht schenken diese Nacht zur gewei­ht­en Nacht?

ChristIn­nen bege­hen in dieser nicht das Schenken, son­dern die Men­schw­er­dung Gottes. Über diese Men­schw­er­dung wur­den ganze Bib­lio­theken voller Bücher geschrieben. Aber was ist sie tatsächlich, was bedeutet sie, wenn sie auch heute noch eine Bedeu­tung haben soll und nicht bloss ein Geschehen vor rund 2ooo Jahren bet­rifft, eine schöne Erin­nerung, aber ohne wirk­liche Rel­e­vanz.

Ich habe bei einem bedeu­ten­den Philosophen fol­gende Stelle gefun­den:

“Die Kri­tik der Reli­gion endet mit der Lehre,
dass der Men­sch für den Men­schen das höchste Wesen ist.…”

(K. Marx: Kri­tik der hegelschen Recht­sphiloso­phie, MEW I S. 385)
Ich habe mir diesen Satz vielfach durch den Kopf gehen lassen und mich gefragt, ob Marx von der Men­schw­er­dung Gottes – er als bib­lisch sehr gebilde­ter Men­sch, in sein­er Fam­i­lie gab es 2 Rab­bin­er, und er wusste wovon er spricht- nicht mehr ver­standen hat als ganze Gen­er­a­tio­nen in vie­len Jahrhun­derten von The­olo­gen, die sich zum The­ma aus­ge­lassen haben. Dass das Chris­ten­tum von seinem Ansatz her gar keine Reli­gion ist, son­dern eine Bewe­gung, kann hier nicht ausgeführt wer­den.
Und hin­ter dieser Aus­sage ste­ht doch die Frage, welch­er Gott wird da Men­sch, was ist das für ein Gott, der Men­sch wird und den Men­schen zum höchsten Wesen macht. Entschei­dend ist doch nicht, ob Gott Men­sch wird oder nicht, son­dern welch­er Gott es ist, und welche Götter oder Götzen es bes­timmt nicht sind, min­destens alle nicht, die den Men­schen nicht zum höchsten Wesen machen, aber den­noch als Götter verehrt wer­den: Besitz und Geldgi­er, Machthunger, Überheblichkeit, Aggres­sion und Kriegstreiberei, Gewinnstreben auf Teufel komm raus. Alle Götter und Götzen, die nicht der ein­deuti­gen Bes­tim­mung des ersten Tes­ta­mentes entsprechen: «Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Sklaven­haus Ägyptens befre­it. Keine andern Götter sollst du neben mir haben!»

Ich denke, dass Wei­h­nachts­markt und Men­schw­er­dung Gottes nicht nur nicht kom­pat­i­bel, son­dern wahrhafte Gegensätze sind, weil die wahn­hafte Ver­mehrung des Kap­i­tals das Men­sch­sein nicht nur nicht befördert, son­dern es ver­hin­dert, denn es geht davon aus, dass der Markt und das Kap­i­tal die höchsten Wesen für den Men­schen ist und nicht der Men­sch selb­st.

Ein Gott, der Men­sch wird, macht den Men­schen nicht göttlich, son­dern men­schlich. Der Men­sch wird human­er, er human­isiert sich. Damit der Men­sch endgültig Men­sch wer­den kann, muss auch Gott Men­sch wer­den. Damit stellt sich die Frage nach der Gle­ich­heit von Gott und Men­sch. In der Men­schw­er­dung Gottes wird Gott gle­ich, aber nicht das­selbe. Unter­schiede bleiben, aber Gott will den Men­schen befreien, men­schlich­er machen und nicht ihn unter­w­er­fen und beherrschen. Somit heisst Gle­ich­heit Gle­ich­w­er­tigkeit nicht Besei­t­i­gung der Unter­schiede, son­dern nur die gegen­seit­ige Unter­w­er­fung, sei es die Unter­w­er­fung des Men­schen unter Gott oder die Unter­w­er­fung Gottes unter den Men­schen.

Paulus spricht nicht von Unter­w­er­fung, son­dern davon, dass Gott alles in allem sein wird. Das geht nicht ohne eine Ver­men­schlichung, eine Human­isierung des Men­schen. Es geht da also darum, Verhältnisse zu schaf­fen, wo Men­schen­rechte einge­hal­ten und menschenwürdiges Leben erst möglich ist. Und da bin ich eben der Mei­n­ung, dass unsere kom­merzial­isierte Form von Wei­h­nacht­en dies nicht fördert, son­dern ver­hin­dert, in dem die Gle­ich­w­er­tigkeit der Men­schen als wirk­liche Men­schen leben zu können und zu dürfen, verunmöglicht. Eine wirk­liche Men­schw­er­dung ist so nicht möglich. Auch die mass­lose Schenkerei überbrückt die Gegensätze nicht, son­dern baut sie erst noch aus.

Der zweite Teil des Zitates von Marx lautet: “darum gilt der kat­e­gorische Imper­a­tiv, alle Verhältnisse umzuw­er­fen, in denen der Men­sch ein erniedrigtes, ein geknechtetes , ein ver­lassenes, ein verächtliches Wesen ist.
Das zeigt uns, Men­schw­er­dung, die Chance zu einem Leben in menschenwürdigen Verhältnissen, ist ohne grundle­gende Veränderung nicht möglich. Nicht nur Men­schen müssen sich ändern, son­dern auch alle Verhältnisse müssen verändert wer­den, die ein Men­sch­sein in Würde, eine grundle­gende Gle­ich­w­er­tigkeit der Men­schen ermöglichen. Keine Herrschaft von Men­schen über Men­schen, damit kein Men­sch Opfer eines andern Men­schen wird. Verhältnisse, die ein Leben auf Augenhöhe ermöglichen, ein Leben von Angesicht zu Angesicht, wie die Bibel es nen­nt.
Der­jenige, der die Men­schw­er­dung Gottes lebt, verkündet nach Markus: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe her­beigekom­men. Kehret um und set­ztet eure ganze Hoff­nung auf diese froh- und freimachende Botschaft (Mk 1. ) , Ohne Umkehr ist es nicht zu haben, dieses Reich. Nicht eine kleine Kursko­r­rek­tur, eine Umkehr, ein totaler Neuan­fang. So wie Men­schw­er­dung, das Wer­den des Men­schen zum wahren Men­schen, ein Neuan­fang, ein totaler Neuan­fang ist. Wenn er auch schon durch di8e Propheten des ersten Tes­ta­mentes vorge­spurt, die Rich­tung vorgegeben wird. Wahres Men­sch­sein, wahre Men­schlichkeit, das Wis­sen darum und das Han­deln danach, dass ich nicht bin, wenn der/die andere nicht ist. Wenn der/die andere keine Möglichkeiten hat zu einem menschenwürdigen Leben oder wie Johannes sagt, zu einem Leben in Fülle.
Wir kom­men nicht darum herum, uns zu ver­ab­schieden von ein­er Vorstel­lung, dass Men­schw­er­dung Gottes ein Geschehen der Ver­gan­gen­heit ist. Son­st wird Wei­h­nacht­en zu einem Sachver­halt der Geschichte, für die heutige Zeit aber irrel­e­vant, bedeu­tungs­los. Men­schw­er­dung ist ein Prozess, der von den höchsten Wesen für den Men­schen vor­angetrieben wird in der eige­nen Men­schw­er­dung, der eige­nen Ver­men­schlichung, im Ver­wirk­lichung dieser Welt anders, jedem/jeder nach seinen und ihren Bedürfnissen und eben­so Fähigkeiten. Wo kein Men­sch mehr Opfer von Men­schen wird, kein Men­sch mehr Abfall­pro­dukt eines Sys­tems, das die ganze Men­schheit bedro­ht. Ich wünsche uns allen, dass uns diese Men­schw­er­dung gelingt, dass wir den tiefen Sinn von Wei­h­nacht­en anziehen wie einen wärmenden Man­tel. Machen wir es mit den Worten von Alt­bischof Franz Kam­phaus: “mach es wie Gott, werde Men­sch!”

Wal­ter Bochsler, Wei­h­nacht­en 2022

Titel­bild © Man­u­fac­tum

 

Aus meiner Fotoküche 92
Mattiello am Mittwoch 22/52

4 Kommentare

Kommentiere

Deine Meinung