Es sieht so aus, als leb­ten wir in einer Zeit der Hel­den­däm­me­rung. Wenn die moder­ne Gesell­schaft Hel­den im All­tag ver­nied­licht oder in eine Schein­welt abschiebt, dann scheint sie mit ihnen ein grund­sätz­li­ches Pro­blem zu haben. Es gibt eine ziem­lich gros­se Koali­ti­on von Intel­lek­tu­el­len, die glaubt, dass es zur­zeit schlecht um Hel­den bestellt und ihre Exis­tenz­grund­la­ge gefähr­det sei. Das Wort “post-
hero­isch” geht immer wie­der frisch gezapft über den Tre­sen der Ideen — wahl­wei­se bezo­gen auf Poli­tik, Wirt­schaft, Kunst, Kriegs­füh­rung oder … Erziehung.

Die Ver­tre­ter die­ser gros­sen Koali­ti­on kön­nen sich nicht recht ent­schei­den, was vom besag­ten Ver­schwin­den der Hel­den zu hal­ten sei. Sie schwan­ken zwi­schen Ver­lust­er­fah­rung und Gewinn­erwar­tung. Mal führt ihr Befund, wir leb­ten in einer post­he­roi­schen Gesell­schaft, dazu, dass sie sich trot­zig in Hel­den­sehn­sucht erge­hen, mal fin­den sie es gera­de gut, dass die Welt angeb­lich in eine post­he­roi­sche Pha­se ein­ge­tre­ten ist.” (Die­ter Tho­mä. War­um Demo­kra­tien Hel­den brau­chen. p. 12/13)

Die­ter Tho­mä hat mit die­ser Beob­ach­tung den Zeit­geist prä­zi­se erfasst. Wir schwan-ken neu­er­dings dank Covid19 zwi­schen einer eigent­li­chen Hel­den­in­fla­ti­on im rea­len Leben  (jeder Kas­sie­rer, jede Kas­sie­re­rin gehört jetzt z.B. dazu) — und einem infan­ti­len Hel­den­spek­ta­kel in den Kinos (The Aven­gers, Bat­man und Kon­sor­ten). Höchst Zeit, sich mal die ein­fa­che Fra­ge zu stel­len, was wir über­haupt unter dem Begriff “Held” ver­ste­hen wollen.

Die­ter Tho­mä schlägt in sei­nem Buch drei Merk­ma­le vor:
1. Hel­den stel­len sich der Gefahr.
2. Hel­den wid­men sich einer Sache, die grös­ser ist als sie selbst.
3. Zu Hel­den schau­en wir auf.

Das tönt schon mal ganz gut, aber dabei tau­chen natür­lich gleich wie­der wei­te­re Fra­gen auf, z.B:
Von wel­cher Gefahr spricht er hier überhaupt?
Tho­mä: “Wel­cher Art die Gefahr ist, der sich Hel­den zu stel­len haben, dar­über gehen die Ansich­ten aus­ein­an­der. Umstrit­ten ist, ob die Stun­de der Hel­den nur dann schlägt, wenn sie auf äus­se­re Hin­der­nis­se oder Geg­ner tref­fen, oder ob sie sich auch im Kampf gegen sie selbst, also gegen inne­re Wider­stän­de, bewäh­ren kön­nen. Umstrit­ten ist vor allem, ob es beim Hel­den­tum immer um Leben oder Tod gehen muss.(p. 26)

oder: Wie muss “die Sache” beschaf­fen sein, der sich die Hel­den wid­men? Hit­ler wid­me­te sich ganz dem Sieg des Arier­tums über Skla­ven­ras­sen und Juden. War er des­we­gen ein Held?

oder: Müs­sen Hel­den immer öffent­lich bekannt sein, damit wir zu ihnen auf­schau­en kön­nen? Gibt es viel­leicht auch “stil­le Helden”?

Man sieht, die Fra­ge nach dem Hel­den scheint etwas kom­ple­xer zu sein, als es zu Beginn den Anschein hatte.

Schau­en wir mal bei einem andern Autor zu die­sem The­ma nach: Lutz Mül­ler. Der Held — Jeder ist dazu geboren:
“Der Held im bes­ten Sin­ne reprä­sen­tiert den vor­bild­li­chen schöp­fe­ri­schen Men­schen, der den Mut hat, sich selbst, sei­nen Wün­schen, Fan­ta­sien und eige­nen Wert­vor­stel­lun­gen treu zu sein. Er wagt es, das Leben zu leben, anstatt vor ihm zu flie­hen. Er über­win­det die tief­sit­zen­de Angst vor dem Frem­den, Unbe­kann­ten und Neu­en. Er schlägt Wege ein, die wir einer­seits fürch­ten, ande­rer­seits ins­ge­heim aber auch ger­ne gehen wür­den: Wege in ver­bor­ge­ne, ver­bo­te­ne, schwer zugäng­li­che Seins­be­rei­che, han­de­le es sich dabei um frem­de Län­der oder fer­ne Gala­xien, um unver­stan­de­ne Natur­vor­gän­ge oder um die Dun­kel­heit unse­rer See­le. Indem er sich weder von den War­nun­gen der ande­ren Men­schen, noch von sei­nen eige­nen Ängs­ten und Schuld­ge­füh­len von sei­nem Vor­ha­ben abbrin­gen lässt, offen und lern­be­reit ist, Kon­flik­te, Frus­tra­tio­nen, Ein­sam­keit und Ableh­nung aus­zu­hal­ten ver­mag, gewinnt er neue Ein­sich­ten und voll­zieht Hand­lun­gen, die nicht nur für ihn, son­dern auch für die Gesell­schaft von ver­än­dern­der Kraft sind. .. Sein Weg ist der Weg der Selbst­ver­wirk­li­chung. (p. 12)

Selbst­ver­wirk­li­chung — ein wei­te­rer Dis­kus­si­ons­punkt: Was ver­ste­hen wir dar­un­ter? Als Joseph Camp­bell “Hel­den in spe” den Rat­schlag gab: “Fol­low your bliss” — Fol­ge dem, was dich glück­lich macht, d.h. ver­wirk­li­che dich selbst, mach­te man ihm den Vor­wurf, er pre­di­ge nar­ziss­ti­schen Egoismus.

Da gibt es offen­sicht­lich eini­ges zu diskutieren …

Keh­ren wir also wie­der zur Rol­le des Hel­den in der Demo­kra­tie zurück, in dem wir in der nächs­ten Fol­ge  — vor­aus­sicht­lich am über­nächs­ten Sams­tag — Die­ter Tho­mä etwas genau­er auf den Zahn fühlen 🙂

 

 

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