Das Leben beste­ht aus dem, woran der Men­sch den ganzen Tag denkt.
Ralph Wal­do Emer­son

Der Stel­len­wert der “Intu­ition” wird heute nicht ger­ade hoch ange­set­zt, — wenn sie über­haupt noch als mögliche Erken­nt­nisquelle anerkan­nt wird,  meinte der birsfaelder.li-Schreiberling in der let­zten Folge, — und muss sein Urteil etwas rev­i­dieren, nach­dem er einen Blick in das aktuelle Bücherange­bot zum The­ma gewor­fen hat. Allein schon im deutschen Sprachraum häufen sich die Titel.
Hier eine kleine Auswahl:


Die Klap­pen­texte tönen vielver­sprechend:
Ler­nen Sie wieder auf sich selb­st zu hören! Dieses Buch öffnet Ihnen die Tür für ein glück­lich­es und zufriedenes Leben im Ein­klang mit Ihrem inneren Selb­st .… Führen Sie durch die Kraft der Intu­ition pos­i­tive Verän­derun­gen in Ihrem Leben her­bei. … Das Herz ist der Schlüs­sel zum wahren Sein des Men­schen — ist der “Sitz” der Intu­ition … Der Ver­stand analysiert die Welt mit Logik, der Geist erken­nt sie durch Intu­ition … Schlum­mert in jedem von uns ein kleines Genie, begraben unter unser­er viel beschwore­nen Ver­nun­ft? .… Intu­ition ist eine Herzan­gele­gen­heit, denn ihr liegt nichts mehr am Herzen, als dich best­möglich durch dein Leben zu führen.

Auch nur ein flüchtiger Blick macht deut­lich, dass die meis­ten Titel dem oft geschmäht­en Eso­terik-Bücher­markt zuzurech­nen sind. Das bedeutet natür­lich noch lange nicht, dass damit a pri­ori irgen­dein inhaltlich­er Schrott ange­boten wird, aber es stellt sich doch die Frage, ob das Phänomen der Intu­ition nur in der Eso­terik-Nis­che und nicht auch von etabliert­er wis­senschaftlich­er Seite ernst genom­men wird.

Das ist tat­säch­lich der Fall. Als Beispiel diene das Buch “Bauchentschei­dun­gen. Die Intel­li­genz des Unbe­wussten und die Macht der Intu­ition” des renom­mierten Psy­cholo­gie-Pro­fes­sors Gerd Gigeren­z­er:
Gigeren­z­er arbeit­et über begren­zte Ratio­nal­itätHeuris­tiken und effiziente Entschei­dungs­bäume, das heißt über die Frage, wie man ratio­nale Entschei­dun­gen tre­f­fen kann, wenn Zeit und Infor­ma­tion begren­zt und die Zukun­ft ungewiss ist (…)

Gigeren­z­er kri­tisiert kog­ni­tive Mod­elle, die das Fällen von Urteilen und Entschei­dun­gen als das Resul­tat kom­plex­er unbe­wusster Prozesse betra­cht­en, die eine möglichst ratio­nale Entschei­dung aus der Gesamtheit der ver­füg­baren Infor­ma­tio­nen erzeu­gen. Diesem Ansatz fol­gt die oft­mals in der Rat­ge­ber- und Unternehmens­ber­atungslit­er­atur zu find­ende Empfehlung, bei Entschei­dungs­find­un­gen möglichst ana­lytisch vorzuge­hen, Vor- und Nachteile aufzulis­ten und genau gegeneinan­der abzuwä­gen. Gigeren­z­er sieht das aber als Beispiel für eine Abwe­ichung von der alltäglichen Entschei­dungs­find­ung, die er für wenig erfol­gre­ich hält.

An Stelle eines solchen logisch-ratio­nalen Mod­ells des Entschei­dens betont Gigeren­z­er die Bedeu­tung des Bauchge­fühls – Entschei­dun­gen wer­den demzu­folge vor allem intu­itiv anhand von Faus­tregeln getrof­fen, denen die ratio­nalen Entschei­dungsstrate­gien als späte Hil­f­s­mit­tel nach­ge­ord­net sind. Diesen Bauchentschei­dun­gen zu fol­gen ist nach Gigeren­z­er selb­st wieder eine ratio­nale Strate­gie, da sie rel­a­tiv erfol­gre­ich ist. Das Bauchge­fühl darf dabei nicht mit ein­er zufäl­li­gen Einge­bung oder Naiv­ität ver­wech­selt wer­den. Beson­ders gut funk­tion­ieren Bauchentschei­dun­gen, wenn sie auf Fach­wis­sen beruhen. Gigeren­z­er beschreibt einen Fall, wo sich Kun­sthis­torik­er über den Ankauf eines Tor­sos durch das Get­ty Muse­um beun­ruhigt zeigten. Die wis­senschaftlichen Prü­fun­gen erkan­nten die Fälschung vor­erst nicht, später wurde das Kunst­werk als Fälschung ent­tarnt. (Wikipedia)

Auf ein­er pop­ulär­wis­senschaftlichen Web­seite schreibt ein Rezensent: Gerd Gigeren­zer vom Max-​Planck-​In­sti­tut für Bil­dungs­forschung in Berlin macht in seinem Buch „Risiko – Wie man die richti­gen Entschei­dun­gen trifft“ deut­lich, was Intu­ition jeden­falls nicht ist: „Eine Intu­ition ist wed­er eine Laune noch ein sech­ster Sinn, wed­er Hellse­herei noch Gottes Stimme. Sie ist eine Form der unbe­wussten Intel­li­genz.“ Die Annahme, Intel­li­genz sei notwendi­ger­weise bewusst und über­legt, sei ein Riesenir­rtum, so der Psy­chologe und Risiko­forsch­er. Intu­ition ist für Gigeren­z­er gle­ichbe­deu­tend mit ein­er Bauchentschei­dung: Statt dass wir uns den Kopf zer­brechen, haben wir ein Gefühl im Bauch (Entschei­dend: Bauchge­fühl oder Ver­stand?). Dieses Bauchge­fühl ist so stark und es taucht so rasch im Bewusst­sein auf, dass wir uns auf dieses Gefühl ver­lassen und nach diesem entschei­den – auch wenn uns die Gründe für das Gefühl nicht näher bekan­nt sind.

Ein immer wieder zitiert­er gewichtiger Zeuge für den Wert der Intu­ition auch in der Wis­senschaft ist Albert Ein­stein:

Angesichts der wis­senschaftlichen Def­i­n­i­tion von “Intu­ition” stellt sich die span­nende Frage, ob diese mit der Intu­ition, wie sie von eso­ter­isch geprägten Rat­ge­bern vorgestellt wird, deck­ungs­gle­ich ist. Und wenn nein, welch­er Seite die Posi­tion Ralph Wal­do Emer­sons zuzuord­nen wäre.

Ihr wen­den wir uns in der näch­sten Folge

am Wei­h­nachtssam­stag, den 25. Dezem­ber zu.

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