Zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest wurden im Mittelalter Kirchen zum Schauplatz seltsamer Spektakel:
An der Messfeier traten Diakone, Subdiakone und Chorknaben mit russverschmierten oder grotesk maskierten Gesichtern in den unglaublichsten Kostümen auf. Einige erschienen als Frauen verkleidet, andere im Narrengewand mit Schellenkappe und Narrenzepter. Während der Messe wurde ein Narrenbischof gewählt, meist ein einfacher Bettler, den man von der Strasse geholt hatte. Man verlieh ihm mit grossem Prunk die Weihen und überzog ihm das Bischofsornat.
Sogleich waltete der Narrenbischof seines Amtes: Mit der Mitra auf dem Haupt und dem Kreuz in der Hand erteilte er dem Volk seinen feierlichen Segen. Nachdem der Klerus ihn mit Tanz und Gesang in den Chor und vor den Altar geführt hatte, stopfte man sich vor der Nase des Priesters mit Blut- und Bratwürsten voll, goss sich kübelweise Wein hinter die Binde, spielte Karten und Würfel und erzählte sich Zoten. In den Weihrauchfässern wurden alte Schuhe verbrannt, um an der heiligen Stätte üble Gerüche zu verbreiten. Anschliessend führte der Narrenbischof eine Prozession durch die Stadt an. Obszöne Gesänge, witzige Zurufe, ironische Gesten der Verehrung und mit sarkastischen Spässen vermengte Gebete der Zuschauermenge begleiteten ihn.
Aber damit nicht genug: Diese Narrenbischöfe — manchmals sogar Narrenpäpste — besassen sogar das Recht auf Münzprägung! Sie trugen den Namen des Gewählten, das Datum seiner Wahl und ein sarkastisches Bilderrätsel an Stelle des Wappens. Und sie waren (leider 😉 ) aus Blei.
Es kommt noch besser: Im Städtchen Sens — das stolz auf seine erste gotische Kathedrale ist — wurde eine schier endlose “Eselsmesse” gefeiert. Als die Priester schliesslich das “Puer natus est” anstimmten, öffnete sich das Haupttor und der Held des Tages erschien, nämlich ein Esel in einem reichbestickten Kardinalsrock. Manchmal wurde er rückwärts am Schwanz hereingezogen. Zwei Domherren verneigten sich respektvoll und führten ihn zum Altar, begleitet vom Klang von Drehleiern und Blockflöten und der Hymne: “Dieser Tag ist ein Freudentag! Glaubt mir, jeder der traurig ist, soll von diesen Feierlichkeiten verjagt werden! … Die, die das Eselsfest feiern, wollen nichts als Fröhlichkeit!”
In den Klöstern Frankreichs übernahmen die einfachen Laienbrüder, die “frères coupe-choux” (Kohlschneider-Brüder) das Szepter. Sie streiften sich umgedrehte, zerrissene Messgewänder über, hielten die heiligen Bücher verkehrt herum und taten so, als würden sie mit Brillen darin lesen, deren Gläser durch Apfelsinenschalen ersetzt worden waren. “In diesem Aufzug”, entrüstete sich ein Kirchenoberer, “singen sie weder Hymnen noch Psalmen, noch die Messe wie gewöhnlich, sondern murmeln wirre Worte und stossen Schreie aus, die ebenso verrückt, unangenehm und misstönend sind wie das Grunzen einer Schweineherde.”
Ganz schön närrisch, was da abging … Und die Kirchenhierarchie setzte deshalb auch alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein — zornige Hirtenbriefe aus Rom, Konzilsbeschlüsse, Kirchenbann — um dem anstössigen Treiben ein Ende zu setzen. Nichts half. Erst im 16. Jahrhundert begann es von alleine auszusterben.
Woher kamen diese Bräuche?
Die Kirchenautoritäten betrachteten diese Narrenpossen als ein skandalöses Fortbestehen heidnischer Riten und als einen vom Teufel inspirierten Angriff auf die sakrosankte Hierarchie der alleinseligmachenden Kirche.
Tatsächlich erinnert vieles an die römischen “Saturnalien”, an denen eine völlige Umkehrung der sozialen Klassen stattfand. Die Herren wurden zu Dienstboten ihrer eigenen Sklaven, die ungestraft Befehle erteilen und die Herren behandeln konnten, wie sie wollten: sie beschimpfen, ihnen befehlen zu singen, zu tanzen oder vor den Zuschauern unanständige Posen einzunehmen. Unter dem Gejohle der Menge mussten sie allen Anweisungen ohne Widerrede Folge leisten. Sie hatten weder das Recht, den Gehorsam zu verweigern, noch im Nachhinein ihre Sklaven zu bestrafen.
Dass es zwischen den Saturnalien und den mittelalterlichen Bräuchen eine historische Verbindung gibt, ist zwar denkbar, aber eher unwahrscheinlich. Sehr viel einleuchtender ist die Überlegung, dass beide ihre Wurzeln in der gleichen Funktion haben könnten. Aber welche?
Das herauszufinden wäre die kleine Hausaufgabe für alle geneigten Leserinnen und Leser bis zur nächsten Episode am kommenden Samstag, den 20. März 🙂