Wie faszinierend Meyer in Prag auf seine Zeitgenossen gewirkt haben musste, machen Erinnerungen zweier Bekannter deutlich:
“Seine diskrete Manier, seine Weltläufigkeit hatten etwas an sich, das irgendwie in einem undeutlichen Zusammenhange an Exotisches erinnerte, die Geselligkeit belebte, Trägheit wachrüttelte, aufreizend in die Augen stach. Die Gesellschaft, die er bevorzugte, war vielgestaltig wie das Temperament, mit dem er sich überall einfühlte. Er sass mit Ärzten und Künstlern in der Kaffeehausecke, riss Börsenwitze mit Agenten und Maklern, ging in Begleitung der goldenen Jugend abends Vergnügungen nach, die eine schofle Industrie in den Nachtlokalen servierte. Immer elegant, schlagfertig und freigebig, wurde er mit Respekt zu den oberen zweihundert gezählt.”
“Meyrink, der in seiner Kaffeehausecke das metaphysische Gedränge mit Gleichmut dirigierte, wusste wunderbar zu erzählen. Der Einfluss, der von ihm ausging, der nicht nur das literarische Prag, der Leute aus allen Sphären, Studenten, Kaufleute, modische Müssigänger in seinen Bannkreis zog, war ungeheuer. Bemerkenswert war die Zahl seiner Feinde. Es gab Kreise, die ihn am liebsten, einem modernen Sokrates gleich, der Verführung der Jugend beschuldigt und wegen unsittlicher Lehren zum Tode verurteilt hätten.”
Gleichzeitig braute sich um die Jahrhundertwende ein Schicksalsschlag nach dem andern über seinem Kopf zusammen:
— Seine Bankgeschäfte liefen mehr schlecht als recht und manchmal wahrscheinlich auch hart an der Grenze des Legalen. Privatbanken standen kaum unter staatlicher Kontrolle. Um seinen ewigen finanziellen Nöten zu entfliehen, versuchte er sich parallel als Autoverkäufer und wurde so zum “ersten Sterblichen, der in Prag ein Automobil besass”. Als auch dieses Geschäft nicht so recht gelingen wollte, verlegte er sich auf das Vertreiben von Glühkörpern für Gaslampen.
- Eine Rückenmarkserkrankung erlaubte ihm nur noch das Gehen mit Krücken. Acht renommierte Fachärzte gaben ihm noch eine Überlebenszeit von wenigen Monaten. Doch er erholte sich wie durch ein Wunder nach ein paar Monaten “mittels unerhörter Willenskonzentration”. Darüber wird später noch zu sprechen sein.
- Seine Ehe ging nach wenigen Jahren in die Brüche. Sie sei von Anfang an unglücklich gewesen, meinte er später. Im Ruderklub “Regatta” verliebte er sich in Philomena Bernt, mit der er sein restliches Leben verbringen sollte. Die Verbindung musste allerdings wegen Meyers aus bürgerlicher Warte höchst dubiosen Rufs jahrelang geheim bleiben.
- Er verwickelte sich in eine ganze Reihe von Ehrenhändeln. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, welche “Ehrenetiketten” damals noch lebendig waren. Eine Bemerkung, die als beleidigend empfunden wurde, ja sogar ein abschätziger Blick konnten eine Duellaufforderung nach sich ziehen, denn ein Ehrenmann hatte “eine beständige und niemals unterbrochene Unverletztheit der persönlichen Achtungswürdigkeit” einzufordern.
Es musste Meyer tief verletzen, dass ein “Ehrenrat” ihm aus diversen Gründen die Satisfaktionsfähigkeit absprach, — u.a. wegen seiner unehelichen Geburt. Seine Gegner hatten alle einen militärischen Hintergrund, und er sollte sich für die erlittene Demütigung in seinen Kurzgeschichten und Romanen immer wieder dafür rächen.
- 1902 wurde er schliesslich einen Tag vor seinem 33. Geburtstag aufgrund von Betrugsvorwürfen seitens einiger seiner Banksklienten verhaftet. Es folgte ein mehrmonatiger traumatisierender Gefängnisaufenthalt, bis er schliesslich freigesprochen wurde. Aber das Bankgeschäft war definitiv ruiniert und sein Ruf irreparabel beschädigt.
Die grosse Wende in seinem Leben begann schon 1900 während eines Kuraufenthaltes im Sanatorium Weisser Hirsch in Dresden im Anschluss an seine lebensgefährliche Erkrankung. Er lernte dort einen Schriftsteller kennen, der Meyers Erzähltalent bewunderte und ihn aufmunterte, seine Geschichten niederzuschreiben.
“Davon wollte er anfangs nichts hören, er habe nicht die geringste literarische Ader. Ich versprach ihm, die Geheimnisse des Handwerks … schnell beizubringen. In seinem ersten Manuskript waren einige primitive Stilunarten, die ich ihm erklärte. Am zweiten war fast nichts zu ändern, das dritte blieb von meiner Hand unberührt. Wir schickten alle drei an den Simplicissimus. Bald traf die Antwort ein. Die Redaktion fragte, ob es noch mehr solche Geschichten gäbe und machte den Vorschlag einer ständigen Mitarbeiterschaft mit gutem Gehalt. Damit fand der Verfasser die langersehnte Möglichkeit, bald den Bankierberuf aufzugeben. Heute kennt ihn jeder als Gustav Meyrink.”
Damit ist es höchste Zeit, wenigstens eine kleine Auswahl seiner Kurzgeschichten vorzustellen, — beissende Satiren, Blicke in abgrundtiefe menschliche Bosheit und fantastisch-okkulte Erzählungen. Sie können hier als PDF heruntergeladen werden:
Das Automobil Die Königin unter den Bregen Der Schrecken Der Mann auf der Flasche
Das Präparat Der Fluch der Kröte
— und wer sich zutraut, noch zwei Geschichten in der Original-Frakturschrift zu lesen:
Die Erstürmung von Sarajewo Blamol
Ein entscheidend wichtiger Aspekt in seinem Leben, der sicher für die beruflichen Misserfolge mitverantwortlich war, blieb bis jetzt nur am Rande erwähnt: Seine jahrelange intensive — auch zeitintensive — Beschäftigung mit den “Geheimwissenschaften”, — Alchimie, Magie, Kabbalah, Astrologie, Spiritismus, Theosophie … Ohne diesen Hintergrund sind seine Romane nicht zu verstehen. Ihm werden wir uns in der nächsten Folge
am Sa, den 26. Dezember zuwenden.
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