Schweiz ohne Gott. Die Anrufung des Allmächtigen soll aus der Verfassung gestrichen werden. Dabei steht der Gottesbezug seit Jahrhunderten für den schweizerischen Freiheitswillen.
So titelte vor kurzem die Weltwoche einen Artikel angesichts der geradezu gotteslästerlichen Idee der Linken in der Schweiz, auf diese Anrufung in der Bundesverfassung zu verzichten. Ausgerechnet im Land, das Gott noch rasch am achten Tag als “special edition” erschuf, und sah, dass es gut war 🙂 . Wir, die Hätschelkinder des lieben Gottes, sollen auf böswilliges Anraten subversiver linker Kreise auf ihn verzichten — na sowas!!
Zugegeben, das mit dem achten Tag ist wohl etwas übertrieben, denn der Verfasser des Artikels, Erik Ebneter, hält immerhin fest: Die Schweiz ist kein heiliges Land, die Schweizer sind kein auserwähltes Volk. Trotzdem gäbe es ohne Gott — ohne den Glauben an ihn — keine Schweiz, wie wir sie heute kennen.
Das ist — einmal davon abgesehen, was sich der Journalist denn unter diesem Gott vorstellt (siehe Gottesbilder) — eine ziemlich wuchtige These. Schauen wir uns deshalb einmal etwas genauer an, wie sie Ebneter begründet. Dazu greift er weit zurück in die Geschichte der Eidgenossenschaft:
Als die alten Eidgenossen im Spätmittelalter gegen die Fürsten aufbegehrten, galt auch auf schweizerischem Gebiet eine ständische Ordnung: oben die Geistlichen und der Adel, unten das breite Volk. Diese Ordnung, so hiess es, sei gottgewollt.
Um ihre Rebellion zu rechtfertigen, erfanden sich die Eidgenossen als “fromme, edle Bauern”. Fromm wie die Geistlichen und edel wie der Adel wollten sie sich selbst regieren, nur Gott verpflichtet (anfangs noch dem Kaiser).
Anders ausgedrückt und nur leicht überspitzt: Die alten Eidgenossen fürchteten Gott — und sonst nichts. Vor Gott knieten die frommen Bauern mit ausgebreiteten (“zertanen”) Armen nieder, nicht aber vor einem Menschen, vor einem Herrscher. Gott war für sie der Schirmherr ihrer Freiheit auf Erden.
Alle alteidgenössischen Bündnisbriefe ab 1291 beginnen mit dem Aufruf “In nomine Domini. Amen”; einzige Ausnahme ist der Vertrag mit Basel. Das wichtige Stanser Verkommnis (1481) kenn eine ähnliche Formel.
Ihre Freiheit verstanden die Eidgenossen als Zeichen göttlicher Auserwähltheit. Ein altes Wappenwort lautet: “Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur” — “Die Schweiz wird regiert durch die menschlichen Verwirrungen und durch die Vorsehung Gottes.
Darauf, dass die “frumen, edlen puren” im 14. Jahrhundert tatsächlich eine Gotteserfahrung in sich trugen, die eher unkonventionell gewesen sein muss, deutet der Marchenstreit zwischen dem Kloster Einsiedeln und den Schwyzern hin, als diese wegen der strittigen Allmendfragen trotz Kirchenbann und Exkommunikation in der Dreikönigsnacht 1314 das Kloster überfielen und dort gar übel hausten: Sie entweihten gemäss dem Augenzeugenbericht des Schulmeisters Rudolf von Radegg Hostien und Reliquien, stahlen teure Kelche und Messgewänder, verbrannten Dokumente und Bücher und leerten den Weinkeller, sodass sie “taumelten und die Kirche mit ihrem Unrat schändeten”. Damit nicht genug: Sie trieben die adeligen Mönche als Gefangene im tiefen Schnee nach Schwyz und liessen sie erst nach einigen Wochen wieder frei. Offensichtlich war “ihr Gott” nicht unbedingt identisch mit “dem Gott der Adels- und Kirchenhierarchien”, sonst hätten sie sich angesichts des drohenden ewigen Höllenfeuers ins Bockshorn jagen lassen. Und — nur nebenbei erwähnt — lösten sie mit dieser Aktion mit der Schlacht am Morgarten die erste militärische Auseinandersetzung mit den Habsburgern, den Schirmherren des Klosters, aus …
Die “frumen, edlen puren”, zu denen sich im 15. Jhdt. auch schon bald die Stadtbürger zählten, um sich vom Adel abzugrenzen, hatten es dann aber schon bald nicht mehr so mit der Freiheit: die eidgenössischen Städteorte herrschten nämlich genau so gnadenlos über ihre ländlichen Untertanen wie der Adel in den umliegenden Gebieten. Und so kam es, dass im 17. Jhdt. Eidgenossen andere Eidgenossen so knechteten, dass sich die Spannungen schliesslich im Grossen Bauernkrieg entluden. Diese soziale Hierarchisierung
zerbrach erst dank einer ausländischen Intervention, als im Gefolge der Französischen Revolution französische Truppen den “Söhnen Wilhelm Tells” erneut die Freiheit zu bringen versprachen, — und damit den langwierigen Entwicklungsprozess vom Staatenbund hin zu einem Bundesstaat in Gang setzten.
Wenn also Erik Ebneter plakativ verkündet: Die alten Eidgenossen fürchteten Gott — und sonst nichts, oder Ihre Freiheit verstanden die Eidgenossen als Zeichen göttlicher Auserwähltheit, dann tönt das ziemlich nach Geschichtsklitterung.
Schon näher an die geschichtliche Realität dürfte hingegen der Wappenspruch Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur kommen: Als sich im Gefolge der Burgunderkriege Stadt- und Landorte heillos zerstritten und man mit dem Schlimmsten rechnen musste, nämlich dem völligen Auseinanderbrechen der diversen Bündnisse und damit dem Ende der Alten Eidgenossenschaft, kam die Rettung dank eines Impulses durch den einzigen Schweizer Heiligen, Niklaus von Flüe, — auch wenn das moderne Historiker gerne etwas herunterspielen.
Und wieder zeigt sich, dass die Religiosität dieses Einsiedlers ziemlich quer in der etablierten “religiösen Landschaft” jener Zeit steht: Niklaus von Flüe hat Visionen mit schamanistischem Unterton, die mehr schlecht als recht in die kirchenchristliche Dogmatik passen und die später die C.G. Jung-Mitarbeiterin Marie Louise von Franz zu einer interessanten Monographie anregen. Er weckt mit seiner Nahrungslosigkeit das Misstrauen der Kirchenhierarchie, die ihn mit ihrem Test beinahe umgebracht hätte,
wenn nicht sein Freund, Ritter Adrian von Bubenberg, mutig dazwischen gegangen wäre.
Hat “Gott” in der Geschichte der alten Eidgenossenschaft also auf unkonventionelle Weise doch ab und zu die Finger im Spiel? Die Antwort hängt, wie schon angedeutet, davon ab, was wir unter dem Begriff “Gott” verstehen.
Zurzeit outet sich der Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel im Zusammenhang mit der Gottesfrage als grosser Bibel-Fan und Verehrer des Theologen Karl Barth. Für einmal gehe ich mit Herrn Köppel einig: Karl Barth war tatsächlich eine eindrückliche Gestalt. Er stellte sich bekanntlich als einer der wenigen Theologen mutig der nationalsozialistischen Ideologie entgegen und verurteilte die Appeasement- und Flüchtlingspolitik der Schweizer Regierung, die ihm daraufhin prompt einen publizistischen Maulkorb verpasste:
… Bundesrat Eduard von Steiger mahnte, Barth solle den Schweizer Staat nicht öffentlich über dessen Aufgaben belehren. Trotzdem erinnerte dieser 1941 zum Jubiläum der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Sie habe sich durch „die Idee einer durch das Recht verbundenen Gemeinschaft freier Völker“, nicht sprachliche oder völkische Konzepte gegründet. Sie sei neutral gegenüber jedem Vormachtstreben europäischer Einzelstaaten, müsse aber gegen die sein, die als Friedensstörer und Rechtsbrecher gegen alle Staaten Europas vorgingen. Würde der Nationalsozialismus in der Schweiz siegen, verlöre sie ihre Existenzberechtigung. Weil die Zensur aktuell für die Achsenmächte unangenehme Berichte unterdrücke, würden die Schweizer nur unvollständig über die Lage in Europa informiert.
Barth sandte diesen Vortrag an Bundespräsident Ernst Wetter und Henri Guisan. Am 29. Juli 1941 verbot die Zensurbehörde, den Vortragstext zu verbreiten: Barths feindselige Einstellung zu Deutschland störe die friedlichen Beziehungen zum Nachbarland. Er benutze die theologische Umrahmung als Deckmantel für gefährliche politische Stellungnahmen. Er protestierte: Gerade die reformierte Theologie begründe seine Sicht der Schweizer Verfassung. Es greife das reformierte Bekenntnis an, zu verlangen, er dürfe nur theologisch, nicht zugleich politisch reden. Diese „Zweischubladenlehre“ sei der verhängnisvolle Irrtum des deutschen Luthertums und habe die aktuelle Lage in Deutschland verschuldet. Die Schweizer Regierung werde eines Tages froh sein, gegenüber England und Amerika auf Schweizer Bürger hinweisen zu können, die so wie er geredet hätten und denen dies gerade wegen der Neutralität erlaubt geblieben sei. (Wikipedia)
Genau hier zeigt sich das “Wischi-Waschi”-Geschichtsbild und die unlautere Haltung der Weltwoche: “Gott” soll zwar durchaus auf die Schweiz aufpassen, aber wehe, wenn sich die Kirchen anmassen, auch politisch und gesellschaftlich klar Stellung zu nehmen, wie Karl Barth es forderte, , — zum Beispiel anlässlich der Konzernverantwortungsinitiative. Dann höhnt die Weltwoche plötzlich über “Gutmenschen”, “nette Linke” und Pfarrer, die von der Kanzel Moralschleim absondern.
Und nicht nur das: Es ist dem Chefredakteur der Weltwoche noch nicht einmal bewusst, dass er mit Karl Barth einen Theologen propagiert, der sich ganz im Gegensatz zum “Linken-Bashing” der Weltwoche ganz massiv für linke Anliegen einsetzte:
In seinem Vortrag Jesus Christus und die soziale Bewegung (Dezember 1911) im Arbeiterverein Safenwil würdigte er den Sozialismus als direkte Fortsetzung der Geisteskraft, die Jesus von Nazaret in die Geschichte gebracht habe. Geist sei keine von Materie getrennte Welt und nicht nur innerlich zu verstehen. Zugespitzt formulierte Barth: „Nicht wir sollen in den Himmel, sondern der Himmel soll zu uns kommen.“ Jesus und der Kapitalismus seien unvereinbar. Dieses System müsse fallen, besonders seine Grundsäule, das Privateigentum an Produktionsmitteln. Die Kirche müsse endlich mutig aussprechen, dass soziale Not nicht sein solle, und sich dafür voll einsetzen. … Er hielt am Sozialismus als politische, nicht religiös zu vereinnahmende Perspektive fest und trat darum im Januar 1915 in die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) ein. (Wikipedia)
Aber es kommt noch besser: In der SP vertrat Barth die Positionen des Zimmerwalder Manifests, das aus der 1915 vom Schweizer Sozialdemokraten Robert Grimm geheim organisierten internationalen Zimmerwalder-Konferenz hervorging und dessen Verfasser kein Geringerer als Leo Trotzki war …
In der nächsten Folge am Donnerstag, den 22. April befassen wir uns mit der Fortsetzung des Artikels von Erik Ebneter und fühlen dem Autor und der Weltwoche noch ein bisschen mehr auf den Zahn 😉
ueli kaufmann
Apr. 15, 2021
Wieder einmal eine Gelegenheit auf Den Song „With God on our Side“ des Literatur Nobel-Preisträgers Bob Dylan hinzuweisen.
Hier die beiden ersten von sieben Strophen der kongenialen Adaption auf die Schweiz von Franz Hohler unter dem Titel „Der Liebgott isch Derby“:
Das Land woni wohne
isch chly aber schön
s het Bärgen und Gletscher
und mängisch chli Föhn
und s schönschten isch das
dass me sicher cha sy
was immer au chunnt
der Liebgott isch derby
Sit em Rütlichwur weiss mes
sit Laupe no meh
und ds Sempach hets au no
der Leopold gseh
der Winkelried isch nur
wäge dem e so dry
will me ihm vorhär gseit het
der Liebgott syg derby
und weil es so schön ist, noch die letzte Strophe:
Wemer schtatt üsre Wält
e besseri wei
denn wärs glaub am gschydschte
mir miechtes elei
und ohni e Schprutz
us de Weihwasserchrüeg
wär der Liebgott derby
gäbs scho lang meh kei Chrieg
max feurer
Apr. 15, 2021
:-))
Und wenn wir schon bei Franz Hohler sind, hier ein weiteres Gedicht:
Kulturkonzept
Ich hätte gerna
aus jedem Kindergarten
täglich eine Zeichnung
von dem, was grade aktuell ist
sei es ein Hund
ein Frosch
ein Vogel
eine Maus
ein hoher Berg
ein Flugzeug
Rennautos
die Feuerwehr
Piratenschiffe
oder Schmetterlinge
und würde
diese Bilder streuen
in der Tagesschau des Fernsehns
zwischen Kriege
Konferenzen
Hungersnöte
und auf die Titelseite
jeder Zeitung
müsste täglich
eine Kinderzeichnung
als Nachricht
die nicht berichtet
von dem, was war
nein, die berichtet
von dem, was sein will
oder könnte
damit wir endlich
sehen lernen
damit wir endlich
träumen lernen
damit wir endlich
wägen können
das Gewicht
der Welt.