Den Namen Bede Griffiths schon mal gehört? — Die Chance dafür dürfte klein sein. Griffith, der 1993 87-jährig in Indien starb, machte keine Schlagzeilen in den Medien. Aber sein Leben und Werk bieten spirituellen Sprengstoff — im positiven Sinne.
Das Wort “integral” ist heute in vieler Leute Munde. Das birsfaelder.li ist hier und hier schon einmal der Frage nachgegangen, was das auf politischer und gesellschaftlicher Ebene heisst, und hat auf jene beiden Persönlichkeiten hingewiesen, die man als die “Väter” der integralen Weltsicht betrachten kann: Jean Gebser und Ken Wilber. Interessierte finden mit dem kleinen Buch “Wissen, Weisheit, Wirklichkeit” von Michael Habecker und Sonja Student eine ausgezeichnete Einführung in die Integrale Theorie.
Inzwischen findet man neben integraler Philosophie Buchtitel zu integraler Führung, integraler Erziehung, integraler Meditation, integraler Psychotherapie, integralem Christentum und inzwischen auch schon zum neuen integralen “Gott 9.0” 😉
Bede Griffiths steht für eine andere Ebene der Integralität. Was das bedeutet, macht ein Blick auf sein Leben deutlich:
Geboren 1906 im kleinen Städtchen Walton-on-Thames in Südostengland, lernte er wegen eines familiären Dramas schon früh die Armut kennen. Aber dank seiner herausragenden intellektuellen Fähigkeiten erhielt er ein Stipendium für das Studium englischer Literatur und Philosophie an der Universität Oxford. Dort lernte er C.S. Lewis, den Autor der “Chroniken von Narnia” kennen und blieb ihm ein Leben lang freundschaftlich verbunden.
Nach seinem Studium experimentierte er mit zwei Freunden mit einem einfachen Leben auf dem Lande, arbeitete in den Slums von London, um sich auf eine Ordination in der anglikanischen Kirche vorzubereiten, wandte sich aber nach der Lektüre der Werke von Kardinal Newman zum Schrecken seiner Mutter dem Katholizismus zu. (In England hatte die Katholische Kirche nach den massiven religiösen Auseinandersetzungen im 17. Jhdt — Pulververschwörung !!- bekanntlich einen schweren Stand).
1931 trat er in die Benediktinerabtei Prinknash ein, erhielt dort den Mönchsnamen “Bede” und wurde 1940 zum Priester geweiht. Offensichtlich setzte er sich schon damals intensiv mit östlichem Gedankengut, mit Yoga und den Veden auseinander, und als er einen andern indischstämmigen Priester kennenlernte, der das Projekt verfolgte, ein benediktinisches Kloster in Indien aufzubauen, schloss er sich der Idee enthusiastisch an. Sein Vorgesetzer widersetzte sich diesem Plan, gab aber schliesslich unter der Bedingung nach, dass Griffith nicht als Ordensmitglied nach Indien ging, sondern als gewöhnlicher Priester unter der Leitung eines örtlichen Bischofs.
1955 fuhr Griffiths nach Indien, und das Land wurde ihm zu seiner zweiten, seiner wahren Heimat. Damit begann seine lebenslange Auseinandersetzung mit dem Hinduismus, die ihm erlaubte, auch seine eigene christliche Tradition in ganz neuem Lichte zu sehen. Er nahm den Sanskritnamen “Dayananda” (Glückseligkeit des Mitgefühls) an, kleidete sich als Sannyasin und lebte und lehrte in verschiedenen christlichen Ashrams in Südindien. Gleichzeitig interessierte er sich für die neuen Weltbilder, die von Forscherpionieren wie Fritjof Capra, (Das Tao der Physik), David Bohm oder Rupert Sheldrake entworfen wurden.
Auf vielen Vortragsreisen in die USA und nach Europa setzte er sich unermüdlich für einen intensiven Dialog zwischen Christentum und Hinduismus ein, — ein Revolutionär der ersten Stunde für eine integrale Religiosität!
Hier schon mal ein kleines Intro:
Heute, mit der Verbreitung der westlichen Wissenschaft und Technologie, entdecken wir die katastrophalen Grenzen dieser (rational-logischen) Denkweise . Wir entdecken, dass sie durch die Nutzung einer Gehirnhälfte entsteht; die andere Gehirnhälfte, die für das konkrete, intuitive Denken zuständig ist, wurde vernachlässigt. Unsere Zivilisation ist nach wie vor grundlegend unausgewogen, so dass sie die tatsächliche Zerstörung der Welt bedroht.
Wir erkennen, dass unsere westliche Kultur eine patriarchalische Kultur ist und dass sie den männlichen Geist, das, was die Chinesen das Yang nennen, auf Kosten des weiblichen Geistes, des Yin, entwickelt hat. Wenn die Welt ihr Gleichgewicht wiederfinden soll, muss sie den weiblichen Geist wiederentdecken. Während der männliche Geist abstrakt, logisch, analytisch, wissenschaftlich und rational ist, ist der weibliche Geist konkret, symbolisch, synthetisch, fantasievoll und intuitiv. Diese beiden Gemüter sind komplementär, und die menschliche Gesundheit und Ganzheit hängen von der Balance dieser Gegensätze ab.
An diesem Punkt muss die Begegnung von Ost und West stattfinden. Obwohl der westliche Verstand überwiegend rational ist, gehen die anderen Fähigkeiten natürlich nie ganz verloren; der östliche Verstand ist überwiegend intuitiv, und es ist die intuitive Weisheit des Ostens, die die westliche Welt und die westliche Kirche lernen müssen.
(aus dem Vorwort von Bede Griffiths in “Bede Griffiths, An Introduction to his Interspiritual Thought” von Wayne Teasdale)
In den kommenden Folgen — die nächste wie immer am kommenden Freitag, den 7. Mai — werden wir uns mit einigen seiner Gedanken und Einsichten vertraut machen und so vielleicht auch unser Weltbild etwas bereichern und erweitern 🙂
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Kästli
Apr 30, 2021
Interessant — ich freue mich auf die Fortsetzung !